Der Spruch „Der Tod gehört zum Leben dazu“ ist so abgedroschen wie wahr. Denn obwohl wir wissen, dass wir alle sterben werden, schieben die meisten von uns Gedanken an das Lebensende möglichst weit weg. Für manche sind vielleicht die Kar- und Ostertage noch ein Anlass, über die eigene Sterblichkeit nachzudenken. Ein neues Buch könnte dabei helfen.
Für „Auf den letzten Metern“ haben Michael Defrancesco und Bettina Gerlowski-Zengeler mit Menschen gesprochen, die in ein Hospiz eingezogen waren. Gerlowski-Zengeler führt dort die Geschäfte, Defrancesco ist Journalist und war auch lange Jahre Redakteur dieser Zeitung. Zusammen besuchen sie acht Zimmer und zeichnen acht Lebenswege nach, die zu Ende gehen. Was bewegt diese Menschen? Wie blicken sie auf ihr Leben zurück? Was erwarten sie nach dem Tod? Mit Michael Defrancesco haben wir über die Entstehung eines Buches gesprochen, das zum Nachdenken anregen will – und das berührt.
Herr Defrancesco, wie kam es zu dem Projekt?
Meine Co-Autorin Bettina Gerlowski-Zengeler ist Geschäftsführerin des Hospizes „Arche Noah“ in Schmitten/Taunus. Wir kennen uns schon lange, und sie erzählte oft sehr tiefgründig von ihrer Arbeit und von ihren Gesprächen mit den Menschen, die im Hospiz leben. Irgendwann hatten wir dann die Idee: Wir schreiben darüber ein Buch! Wir unterhalten uns mit Menschen, die im Hospiz leben, und wir fragen sie nach ihren Gedanken. Wir wollen wissen, was sie auf den letzten Metern ihres Lebenswegs beschäftigt, was sie erfreut und wovor sie vielleicht auch Angst haben.
Sie treffen auf sehr unterschiedliche Menschen, die auch sehr unterschiedliche Sichtweisen auf das haben, was nach dem Tod kommt oder auch nicht kommt. Wie bereitet man sich auf solche Begegnungen vor?
Man nimmt eine kalte Cola in die linke Hand, klopft mit der rechten Hand an der ersten Zimmertür an und lässt sich überraschen. (lacht) Es ist tatsächlich so: Wir sind ganz offen in jedes Gespräch und in jede Begegnung gegangen. Wir haben eine Vertrauensbasis geschaffen und dann die Hospiz-Bewohner erzählen lassen. Wir haben gemeinsam gelacht, manchmal auch eine Träne vergossen – und wir haben uns von den Menschen berühren lassen.
Es war nie unser Plan, mit den Bewohnern zu diskutieren oder sie zu irgendetwas zu bekehren – sondern wir haben uns ganz unvoreingenommen auf sie und auf ihre Gedanken eingelassen. Ich war begeistert, wie vielfältig die Antworten gerade auf die Frage, was wohl nach dem Sterben kommen wird, waren! Wir thematisieren das auch ausführlich im Buch und philosophieren darüber, warum im Prinzip jeder Mensch diese Frage anders beantwortet.
Gab es Momente, die Sie überrascht haben?
Jedes einzelne Gespräch war ein Erlebnis und einzigartig für mich. Ich habe mein Herz vor allem an Albert verloren – unser „Zimmer 4“. Der war so ein Sonnenschein, und er hat mir ganz persönlich Mut gemacht, wie man die letzten Meter mit tiefer Freude und viel Sonne im Herzen gehen kann. Er war so versöhnt mit seinem Leben – dabei hatte er es wirklich nicht leicht!
Was mich auch sehr berührt hat, war die Reaktion von Angehörigen nach Erscheinen des Buchs. Wir haben, wenn es möglich war, jeweils persönlich ein Exemplar des Buchs vorbeigebracht, und die Tochter einer unserer Frauen, die wir porträtieren, war zutiefst gerührt. Sie erzählte nach dem Lesen, dass ihre Mama genauso war, wie sie im Buch beschrieben wird, dass sie sie regelrecht sprechen hört, wenn sie die Zeilen liest. Und dass sie das Kapitel in wenigen Tagen schon fünfmal gelesen hat und sich jedes Mal ihrer Mama wieder nahe fühlt. Das sei ein wunderschönes Andenken.

Gab es besonders schwere Momente?
Als Bettina mich anrief und mir mitteilte, dass Albert verstorben ist. Er war unser erstes Gespräch, mit ihm fing im Prinzip alles an. Das war ein wirklich trauriger Moment. Und ich realisierte damals, dass niemand von den Bewohnern, mit denen wir sprechen würden, das fertige Buch in den Händen halten würde.
Welche Rolle spielt der Glaube für die Menschen, mit denen Sie für das Buch gesprochen haben? Hilft er ihnen „auf den letzten Metern“?
Ich war überrascht, wie wenig Bedeutung der Glaube hatte. Die meisten haben uns erzählt, dass sie Christen sind – aber niemand sagte, dass der Glaube wirklich eine tiefe Stütze ist und Kraft gibt. Das finde ich traurig, denn eigentlich sollte der Glaube an Gott Menschen ja gerade in den schweren Zeiten und vor allem am Lebensende Kraft geben.
Uns ist in vielen Gesprächen aufgefallen, dass man sich von der Kirche als Institution abgewandt hat, man hat sich auseinandergelebt oder fühlte sich von der Kirche nicht wertgeschätzt und angenommen. Mit dem inneren Rückzug oder gar Austritt aus der Kirche wurde auch der Glaube an Gott diffuser. Meine These ist: Wer es zeitlebens nicht geschafft hat, eine persönliche Gottesbeziehung aufzubauen, für den spielt auch im Alter Gott kaum eine Rolle.
Und was ist den Menschen dann wichtig?
Viele leben in der Phase kurz vor dem Tod eher ganz bewusst im Hier und Jetzt. Sie beschäftigen sich damit, ob sie schmerzfrei sind, ob sie noch Fernsehschauen können und freuen sich, dass ihnen das Schnitzel noch schmeckt. Sie erleben die letzten Tage ganz bewusst auf der Erde. Aber die Frage, wie man leben kann und sollte, damit Gott wirklich eine Kraftquelle auch beim Sterben wird, ist eine hochinteressante. Da kann ich nur einladen: Lesen Sie das Buch – allein über diese Frage nach der Bedeutung von Gott und Glaube kann man hinterher wunderbar ins persönliche Nachdenken oder ins Gespräch mit anderen kommen.
Hat sich Ihr eigener Blick auf das Lebensende, auf das Sterben durch das Buchprojekt verändert?
Auf jeden Fall. Man kann versuchen, den Tod wegzudrängen, aber das verdrängt den Tod nicht. Irgendwann erleben wir ihn – meistens ja zunächst in der Familie, wenn die Großeltern oder Eltern sterben. Wenn Eltern einen natürlichen Zugang zum Tod haben und auch ihre Kinder entsprechend aufwachsen lassen, dann hat das eine unglaublich befreiende Wirkung. Auch das thematisieren wir im Buch: Es ist so wichtig, sich angstfrei diesem Thema zu nähern. Tod ist auch nicht einfach „sterben und leiden“. Nein, Tod bedeutet: Liebe, Versöhnung, Einssein. Ein Tod bedeutet nicht das Ende, sondern einen neuen Anfang.
Michael Defrancesco, Bettina Gerlowski-Zengeler: Auf den letzten Metern. Echter Verlag, 120 Seiten, 24,90 Euro