Sonnenlicht fällt in die Ausstellung im Innenhof am Dreikönigenhaus in der Koblenzer Altstadt, fällt auf Kleidungsstücke, die mitten im Raum auf Bügeln hängen. Eine Lederjacke und eine schwarze Jeans, ein blaues Sommerkleid, Jogginghose und geringeltes T-Shirt, ein Oma-Nachthemd. Auf weißen Blättern daneben berichten Frauen, was sie erlebt haben, als sie diese Kleidungsstücke trugen. Wie Männer ihnen sexuelle Gewalt angetan, sie vergewaltigt haben. Ein Fremder im Park. Der eigene Mann. Ein guter Freund. Der Pfleger im Altenheim.
Und sie berichten, wie sie von Polizisten befragt, von Anwälten gelöchert werden. „Was hatten Sie denn an?“, ist eine der Fragen, die sich Vergewaltigungsopfer anhören müssen, so wie Alice es in der Ausstellung schildert, nachdem sie morgens um 7 Uhr in einem Park vergewaltigt worden war. So, als hätte das irgendetwas damit zu tun.

„Was ich anhatte“ ist der Titel der Ausstellung, die noch bis Freitag, 28. Februar, im Lichthof in der Kornpfortstraße 13 zu sehen ist. „Es geht darum, gegen das sogenannte Victim Blaming vorzugehen, bei dem Frauen eine Mitschuld gegeben wird, wenn sie sexueller Gewalt ausgesetzt sind“, sagt Regina Bies. Die 30-Jährige arbeitet in der Interventionsstelle in Koblenz und unterstützt und berät Frauen, die körperliche, psychische, soziale Gewalt oder Stalking in engen soziaIen Beziehungen erlebt haben. Träger der Interventionsstelle ist der Sozialdienst katholischer Frauen, der die Ausstellung mit dem Frauennotruf nach Koblenz geholt hat.
Das Interesse ist riesig, sagt Regina Bies. „Und viele kommen mehr als einmal.“ Denn die Geschichten der Frauen sind schwer auszuhalten, alle zwölf Schilderungen zu lesen, ist fast nicht möglich. „Es berührt einen wirklich sehr“, sagt eine Besucherin, und ihr steigen die Tränen in die Augen.
„Die haben Witze gemacht, wie ich wohl ohne Jogginghose aussehe.“
Mona
Denn beim Lesen wird überdeutlich klar: Es könnte jede treffen. So wie die 17-jährige Mona, die plötzlich bei einer Party in einer Waldhütte allein mit mehreren Kumpels ist, die anderen Mädchen sind weg. „Die haben Witze gemacht, wie ich wohl ohne Jogginghose aussehe.“ Einer hält sie fest, einer versucht, ihr die Hose herunterzuziehen. Sie wehrt sich, tritt mit aller Kraft zu. Das ist bei vielen anderen Frauen anders: Sie wehren sich nicht, sind völlig erstarrt. Wenn sie später Anzeige erstatten und der Täter vor Gericht steht, wird ihnen das zum Vorwurf gemacht werden.
Der Mann hört nicht auf. Er macht weiter. Immer weiter.
Dass sexuelle Gewalt auch in ganz engen Beziehungen vorkommt, dass auch das eigene Schlafzimmer kein geschützter Ort ist, zeigt die Schilderung von Xenia. Sie trägt an diesem Abend einen schwarzen Spitzenslip, hat sich gefreut, wieder mit ihrem Mann Sex zu haben, nachdem sie wegen einer Geburt eine längere Pause gemacht haben. Doch auch, als es ihr zu viel wird, hört er nicht auf. Er macht immer weiter. Immer weiter.
Alina erzählt nicht ihre eigene Geschichte, sondern die ihrer Oma. Die 80-Jährige ist dement, lebt im Pflegeheim. Dort vergewaltigt ein Pfleger sie. Nicht nur die grauenvolle Geschichte selbst, sondern auch die Reaktionen im Dorf machen der Enkeltochter zu schaffen. „Der hatte es aber nötig“, „Das würde ich nicht mal für Geld machen“, sagen Leute, die davon hören. Das Opfer wird ein weiteres Mal erniedrigt.

Viele Besucherinnen der Ausstellung sagen: „Ich habe das auch erlebt“, berichtet Sozialarbeiterin Regina Bies. Viele brechen ihr Schweigen. So, wie auch sie selbst ihr Schweigen gebrochen hat. Früher, wenn sie Frauen in der Interventionsstelle unterstützt hat, hat sie nie gesagt, dass sie selbst sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung, häusliche Gewalt erlebt hat. Es kam ihr unprofessionell vor. Das ist nun anders: Denn es gehe ja genau darum, öffentlich zu machen, wie weit verbreitet Gewalt gegen Frauen auch in unserer Gesellschaft ist.
„ Gründe für eine Mitschuld wie Kleidung, Aussehen oder Verhalten sind irrelevant, da es nicht um Sex, sondern um Unterdrückung geht.“
Die Initiatorinnen der Ausstellung
Das Konzept der Ausstellung ist so einfach wie genial: Beatrix Wilmes, Autorin und Dokumentarfilmerin, hat in den sozialen Medien einen Aufruf gestartet und Frauen, die einen sexuellen Übergriff erlebt haben, gebeten, die Kleidungsstücke zu schicken, die sie bei dem Übergriff anhatten, nebst der dazugehörigen Geschichte. Viele Texte mit und ohne Kleidung wurden den Initiatorinnen zugesandt. Zwölf verschiedene Geschichten und Outfits wurden ausgewählt, die deutlich machen, dass sexuelle Gewalt alltäglich ist für Frauen aller Altersstufen.
Die Stücke in der Ausstellung sind größtenteils Original-Kleidung der Frauen. Die Berichte sind unverändert, um authentisch zu bleiben. „Für den Titel ,Was ich anhatte...’ haben wir uns entschieden, um deutlich zu machen, dass sexualisierte Gewalt kein individuelles Problem ist, sondern ein strukturelles. Gründe für eine Mitschuld wie Kleidung, Aussehen oder Verhalten sind irrelevant, da es nicht um Sex, sondern um Unterdrückung geht“, so die Initiatorinnen.

Die Initiatorinnen weiter: „Vergewaltigung hat in erster Linie mit Gewalt zu tun. Sex ist hier die Waffe, aber nicht die erste Motivation bei einer Vergewaltigung.“ Durch Victim blaming, also die Umkehr der Schuld, „wird die Frau zur Täterin – war sie doch aufreizend angezogen, und der Mann ist das Opfer – er konnte nicht widerstehen. Diese falsche Opferschuld macht die Ausstellung deutlich.“ Im Übrigen bleiben die Schilderungen der Frauen nicht bei den Schilderungen der Taten stehen. Sie erzählen auch, was ihnen geholfen hat, ihr Trauma zu bewältigen. Zu überleben.
Laut Schätzungen wird jede dritte Frau in Deutschland Opfer von Gewalt
So wie Alice Westphal, deren Geschichte Teil der Ausstellung ist. Nachdem sie vergewaltigt worden war und in der Gerichtsverhandlung die Frage beantworten sollte, was sie denn anhatte, hat sie ein neues Leben angefangen, ist mit ihrem kleinen Sohn nach Berlin gezogen, hat studiert und sich als Autorin und Aktivistin einen Namen gemacht, unter anderem mit dem Hashtag #IchbinjededritteFrau. Denn davon gehen die Schätzungen aus: Jede dritte Frau in Deutschland wird im Lauf ihres Lebens Opfer von Gewalt.
Die Ausstellung im Lichthof der Koblenzer Hochschule für Gesellschaftsgestaltung (Kornpfortstraße 13) ist noch bis Freitag, 28. Februar, zu sehen. Geöffnet ist sie Montag bis Freitag, 10 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag, 13 bis 16 Uhr. Der Eintritt ist frei, begleitete Führungen sind buchbar per E-Mail an rb@ist-ko.de. Da der Besuch der Ausstellung aufwühlen kann, ist ständig eine Ansprechperson da. Es gibt einen geschützten Raum und Infomaterial.