Bundestagswahl in Koblenz
Warum wirken Wahlplakate auch 2025 noch, Herr Meier?
Groß, geballt und aufmerksamkeitserregend: Wahlplakate beziehen meist Plätze, die im Alltag sonst eher frei von Werbung sind, daher lassen sie sich kaum ignorieren.
Rico Rossival

Die Tage des Wahlkampfs und damit des Wahlplakates sind fast gezählt – zumindest für die anstehende Bundestagswahl. Doch ein Koblenzer Medienexperte ist sich sicher, dass es das Plakat immer geben wird. Warum? Einfach, weil es wirkt.

Stefan Meier (55) ist nach Stationen an mehreren Universitäten, etwa in Oldenburg, Berlin, Leipzig und Göttingen, als außerplanmäßiger Professor der Medienwissenschaften seit 2017 an der Uni Koblenz tätig. Er sei Fachmann für Wahlplakate, da er sich bereits sein „gesamtes wissenschaftliches Leben“ mit visueller Kommunikation beschäftigt, sagt Meier im Gespräch mit unserer Zeitung. Daher kann er einschätzen, welche Botschaften mittels welcher Bildstile rübergebracht werden sollen.

Herr Meier, welche Elemente gehören in ein Wahlplakat?

Meier: Da hat sich ein Wandel vollzogen, im Prinzip von der Weimarer Republik bis heute: Während früher eher symbolische Bilddarstellungen und Textparolen vorherrschend waren, stehen heute die Kandidaten und Kandidatinnen „eyecatchend“ im Vordergrund, dann gibt es Slogans, die Konzentrationen von programmatischen Aussagen sind. Man sieht es beispielsweise bei der AfD, die ihre Plakate mit „Zeit für XYZ“ betitelt, das stellt Einheit her und kann von Plakat zu Plakat weitergelesen werden. Es gibt auch reine Textplakate, die sich mit aktuellen Diskursen auseinandersetzen, wie etwa bei der FDP, mit Aussagen zur aktuellen Migrationsbereitschaft. Ansonsten werden reine Textplakate eher von Parteien genutzt, die weniger Prominente vorweisen können. Die Partei Volt etwa. Sie zeigt zwar auf einigen Plakaten Kandidaten, beschränkt sich aber hauptsächlich auf ein Logo als ästhetisches Element und einen Slogan.

Der Koblenzer Medienwissenschaftler Stefan Meier beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Wahlplakaten. Daher weiß er, welche Elemente zu diesen gehören und wie sie ihre Wirkung entfalten.
Stefan Meier (Selbstauslöser)

Wie bekommen Wahlplakate Aufmerksamkeit?

 Politikerköpfe sind absolut aufmerksamkeitserregend. Jeder Augenkontakt ist eine Gesprächseinladung und in der Regel sind Politikerinnen und Politiker auf Plakaten zentral mit Blick in Richtung Kamera zu sehen. Da steht das Menschliche im Vordergrund. Ein anderer Punkt sind Kontraste, hell und dunkel, Farben. Die Grünen machen das vorbildlich: Anna-Lena Baerbock mit hellem Teint, dunklen Haaren und schwarzer Kleidung, dazu der einfarbige grüne Hintergrund. Die Farbe ist hinter dem Kopf etwas aufgehellt, was eine Art Heiligenscheincharakter erzeugt.

Kann man sich dem überhaupt entziehen?

Wahlplakate sind Outdoorwerbung und auch so konzipiert, dass sie an bestimmten Stellplätzen angebracht werden. Klar, wir blenden viel Werbung an den etablierten Punkten wie Litfasssäulen schon aus, aber zu Wahlkampfzeiten werden eigene Stellplätze bezogen, als ein Unterschied zum Alltag. Hinzu kommt die Geballtheit. Deswegen wird das Wahlplakat auch nie tot sein, sondern immer eine Wirkung haben.

Sind Wahlplakate alle gleich oder gibt es Ausreißer?

Der Promipolitiker steht im Zentrum, da gibt es keine Ausreißer. Es gibt immer mal wieder Kampagnen, die auf Komik und Satire setzen, wie bei Die Partei. Aber die etablierten Parteien bleiben beim Altbekannten. Bei Satire ist da auch die Angst, dass man nicht als ernst oder verantwortungsbewusst wahrgenommen wird. In diesem Wahlkampf wurde bei Habeck und Baerbock mit sehr freien Assoziationen eine Vermenschlichung und Charakterisierung versucht, für den Politiker und seinen Stil: Habeck als Zuversichtsspender und Baerbock als Teamplayerin.

Als "Garanten für das Gute" könnten sich die jeweiligen Kandidaten nach dem Ampel-Aus aufstellen.
Arne Dedert. dpa

Wie spielt das Ampel-Aus hier rein?

Bei allen Parteien gibt es Bezüge zur Ampel: Die Grünen wurden natürlich mit der Ampel zusammengebracht und müssen sich nun auf ihre Persönlichkeiten konzentrieren. Die Botschaft könnte bei allen lauten: „In der Ampel musste man Kompromisse machen, aber wäre ich alleine, wäre ich der Garant für das Gute.“ Die Habeckassoziation „Zuversicht“ etwa setzt immer ein „trotzdem“ voraus, das ist eine gängige Strategie, mit Ellipsen und Verkürzungen zu arbeiten, die der Rezipient im Kopf erweitert und vervollständigt, anhand seiner eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Zuversicht fühlt jeder anders, also macht der Rezipient sich sozusagen sein Wahlplakat selbst.

Welche Emotionen sollen Plakate ansprechen?

Die AfD hat hier zum Beispiel eine Dringlichkeit aufgebaut, die suggeriert, dass man einen gewissen Zeitpunkt auch verpassen, verspielen kann. Da wird eine Schuld aufgebaut gegenüber der Verantwortung des Wählers. Erreicht wird das durch die Wiederholungen in den Plakaten.

Bei der Bundestagswahl 2021 ging es bei der SPD mit schwarzweißen Porträts vor rotem Hintergrund eher experimentell zu. Ganz anders als im aktuellen Wahlkampf.
Revierfoto. picture alliance/dpa/Revierfoto

Gibt es Trends bei Plakaten?

Da kann man den jetzigen und den früheren Wahlkampf der SPD vergleichen: Bei der letzten Wahl wurde es sehr experimentell mit Schwarzweiß-Fotografien auf rotem Hintergrund, jetzt ein Brustporträt von einem fast übermächtigen Scholz vor einer Deutschlandflagge. Das ist schon recht seltsam, wie staatstragend er sich da gibt. Suggeriert wird: Er war derjenige, der den Staat getragen hat. So dominant hat die SPD noch nie gearbeitet.

Ihre persönliche Einschätzung: Wer macht das Rennen?

Von den Plakaten her würde ich schätzen, dass die CDU es macht, sie hat das Ende der Ampel nicht verursacht und Merz kann sich nun als Retter aufstellen. Auffällig ist, dass es ein Promiwahlkampf war, weniger mit Programmen und Botschaften, sondern mit Personen, die persönlich für etwas stehen, Verantwortlichkeit und Schuld für das Vergangene sind Themen.

Top-News aus der Region