Rückblick: Große Hitze und hohe Inflation lassen die Schängel im Juli 1923 stöhnen - Lichtblick ist hingegen die Abschaffung des Brückengeldes
Vor hundert Jahren in Koblenz: Als ein Pfund neue Kartoffeln 10 000 Mark kostet
Tausende benutzten in den 1920er-Jahren die Koblenzer Schiffsbrücke auf ihrem Weg zwischen Ehrenbreitstein und der Koblenzer Altstadt. Im Juli 1923 wurde für Fußgänger das Brückengeld abgeschafft, es betrug zuletzt in Folge der Inflation 20 Mark. Die Schiffsbrücke bestand aus 37 eisernen Kähnen und hatte eine Länge von 325 Metern.
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1923 ist ein schwieriges Jahr für die Koblenzer. Die Inflation rafft die Ersparnisse hinweg, und die politische Lage ist wegen des passiven Widerstands infolge der Ruhrbesetzung und der Ausweisungen von Streikenden ins unbesetzte Deutschland durch die Franzosen äußerst angespannt.

Tausende benutzten in den 1920er-Jahren die Koblenzer Schiffsbrücke auf ihrem Weg zwischen Ehrenbreitstein und der Koblenzer Altstadt. Im Juli 1923 wurde für Fußgänger das Brückengeld abgeschafft, es betrug zuletzt in Folge der Inflation 20 Mark. Die Schiffsbrücke bestand aus 37 eisernen Kähnen und hatte eine Länge von 325 Metern.
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Im Juli 1923 trifft manche Koblenzer Familien jedoch ein weiteres, schlimmeres Unglück: Tod in den Fluten von Rhein und Mosel.

E rtrunken: Nach einem verregneten und kühlen Mai und Juni schnellt im Juli die Quecksilbersäule in die Höhe. Es ist heiß, die „Coblenzer Volkszeitung“ berichtet von Temperaturen bis zu 35 Grad. Abkühlung suchen viele Koblenzer im Rhein und in der Mosel. „Die Badeanstalten sind nunmehr überfüllt mit großen und kleinen Badegästen. Und auch im freien Wasser tummeln sich Tausende Schwimmer und Badegäste herum. Leider hat die Baderei auch schon wieder mehrere Opfer gefordert“, schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“ am 9. Juli.

Insgesamt ertrinken im Juli vier Menschen, ein vierjähriges Mädchen an der Pfaffendorfer Brücke, ein 19-jähriger Friseur an der Gülser Eisenbahnbrücke sowie zwei Brüder aus der Altstadt. Über diesen Unglücksfall, der sich am Lützeler Moselufer an der „berüchtigten Pferdekaul, der früheren Dameschen Bleiche“ ereignet, berichtet die „Coblenzer Volkszeitung“ ausführlich: „Plötzlich hörten in der Nähe befindliche Personen gellende Hilferufe. Der ältere Junge, Walter, war in den Strudel geraten und untergegangen. Der jüngere Otto wollte ihn retten und sprang ihm nach, versank aber ebenfalls. Nun eilten alle in der Nähe befindlichen Leute herbei, aber die meisten waren des Schwimmens unkundig. Einige beherzte ältere Leute holten dann aber doch beide Kinder heraus.“ Zwei Ärzte, die zur Stelle waren, können beim Älteren nur den Tod feststellen, den Jüngeren versuchen sie eine Stunde lang wiederzubeleben. „Vergeblich, gegen 18 Uhr war man sicher, dass der Tod eingetreten war. Die unglückliche Mutter warf sich in namenlosen Schmerze über ihre Lieblinge und küsste sie ein letztes Mal. Auch viele Zuschauer weinten angesichts dieses furchtbaren Leides. Dann wurden die Leichen eingesargt“, schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“. Die beiden Kinder, die das Kaiserin-Augusta-Gymnasium besuchten, waren 12 und 14 Jahre alt.

Wohl nicht zuletzt wegen der vielen Ertrunkenen beschäftigt sich auch die Stadtverordnetenversammlung in ihrer Julisitzung mit dem Thema Baden in Rhein und Mosel. Der Zentrumsabgeordnete Heinrich Quast, Rektor der katholischen Thielen-Schule, einer Volksschule, die sich auf dem Gelände der heutigen St.-Franziskus-Realschule am Moselring befand, fordert, das Schwimmen nur noch an ungefährlichen und bewachten Stellen zu erlauben. Aus praktischen Gründen wird dies aber abgelehnt. „Für eine Überwachung aller Flussufer stehen nicht genug Kräfte zur Verfügung“, antwortet der Polizeipräsident und Beigeordnete Ernst Biesten.

In einem Leserbrief weist ein Koblenzer darauf hin, dass in Deutschland jährlich rund 5000 Menschen ertrinken. Ursache hierfür sei zumeist fehlende Sicherheit beim Schwimmen. „Deshalb lasst eure Kinder schwimmen lernen. Die beiden in Coblenz bestehenden Schwimmvereine erteilen kostenlosen Schwimmunterricht“, so der anonyme Leserbriefschreiber. Über die Jahrzehnte ist in Deutschland übrigens die Zahl der Badetoten kontinuierlich gesunken. Registrierte man 1951 noch 2100 Ertrunkene, waren es im vergangenen Jahr nach Angaben der Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) 355 Badetote.

Inflation: Immer schneller dreht sich das Teufelsrad der Inflation im Juli. Stand ein Dollar Anfang des Monats noch bei 150.000 Mark, überspringt er am 31. Juli die Millionenmarke. Für das englische Pfund muss man sogar mehr als vier Millionen hinblättern. Entsprechend hoch sind Preise, aber auch Gehälter. Ein Postbote erhält 4,6 Millionen Mark pro Monat, ein Schaffner 5 und ein Lokomotivführer 7 Millionen Mark. Die günstigste Straßenbahnkarte kostet demgegenüber Mitte Juli 4000 Mark.

Und auf dem Markt am Münzplatz werden Ende Juli 10.000 und mehr Mark für ein Pfund neue Kartoffeln verlangt. „Die Erregung des Publikums ist begreiflicherweise nicht gering, sodass es heute auf dem Markt wiederholt scharfe Auseinandersetzungen gab. Auf alle Fälle muss hier unbedingt eingegriffen werden, sonst gibt es böse Unruhen“, warnt die „Coblenzer Volkszeitung“ Ende Juli.

N otgeld: Die hohen Preise verlangen einen entsprechenden Gegenwert an Papiergeld. Die Reichsbank kann die Nachfrage allein aber nicht mehr bewältigen, weshalb auch die Stadt Koblenz Notgeldscheine druckt. Anfang Juli kündigt die Stadt an, Banknoten zu 50.000 Mark zu drucken. Das Design ist recht simpel, auf der Vorderseite prangt einfach der Stadtstempel. Aber Ende Juli ist dieser Betrag bereits zu niedrig. Die Stadt druckt jetzt Notgeld zu 500.000-Mark-Noten. Auf der Rückseite der Banknote ist ein Bildnis des 1919 gestorbenen Oberbürgermeisters Bernhard Clostermann zu sehen.

B rückengeld: Ob es eine Folge der Hyperinflation ist, die ständige Preisanpassungen verlangt, sodass die Stadtverwaltung des Abkassierens müde wurde? Anfang Juli entfällt jedenfalls das Brückengeld, das jeder Fußgänger seit Eröffnung der Schiffsbrücke 1819 für die Passage von der Altstadt nach Ehrenbreitstein entrichten musste. „Eine neue Epoche im Leben der Städte Coblenz und Ehrenbreitstein beginnt. Auch wenn der Betrag nie sehr hoch war, wurde seine Erhebung doch immer als Belästigung empfunden“, schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“. Autofahrer und Kutscher müssen allerdings weiter für die Benutzung der Schiffsbrücke zwischen Koblenz und Ehrenbreitstein, das damals noch selbstständig war, bezahlen. Zuletzt lag das Brückengeld, das in seiner mehr als 100-jährigen Geschichte fast immer nur ein Pfennigbetrag war, bei 20 Mark.

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„Fiat lux – Es werde Licht“. Rund drei Jahrhunderte nach ihrer Errichtung erhielt die Jesuitenkirche, deren Patron Johannes der Täufer ist, eine elektrische Beleuchtung.
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S trom: „Es werde Licht. Und es wurde Licht“, heißt es in der Bibel gleich zu Beginn im Buch Genesis. Für die Kirchen bedeutete dies jahrhundertelang, dass Kerzen angezündet wurden. In der Jesuiten- und in der Kastorkirche ändert sich dies im Juli 1923, beide Gotteshäuser bekommen elektrische Beleuchtung. Die Jesuitenkirche wird zudem im Inneren neu ausgemalt. „Im Juli und August fällt deshalb jeglicher Gottesdienst, auch sonntags, aus. Die Kirche ist während dieser Zeit vollständig geschlossen, für Beichten wende man sich bitte an die Pforte“, heißt es in der „Coblenzer Volkszeitung“.

F euerwehr: Seit 1910 hat Koblenz eine Berufsfeuerwehr. Stationiert ist sie im ehemaligen Rathaus auf dem Plan. Wenn die Feuerwehreinheit alarmiert wird, dann rückt sie meistens über die Kreuzung an den „Vier Türmen“ aus. Da der Verkehr zwischen Innenstadt und Balduinbrücke auch über diese Kreuzung sowie über den Altengraben fließt, ist die Kreuzung an den „Vier Türmen“ ein Gefahrenpunkt. Die Stadt installiert deshalb dort eine Alarmglocke. „Ertönt also in Zukunft die neue Alarmglocke an den ,Vier Türmen‘, so hat augenblicklich jeglicher Verkehr stillzustehen und der Kreuzungspunkt muss gänzlich freigemacht werden vom Publikum“, weiß die „Coblenzer Volkszeitung“.

Ob die Alarmglocke einige Tage später, als die Koblenzer Feuerwehr eine spektakuläre Übung veranstaltet, auch läutet, steht nicht in der Zeitung. Objekt der Übung ist die Liebfrauenkirche, es wurde angenommen, dass der 65 Meter hohe Nordturm in Brand geraten sei. „Von dem südlichen Turm wurde der Brandherd bekämpft. Die Schlauchleitung musste zu diesem Zweck sehr hoch heraufgezogen werden. Der Schlauchdruck scheint aber zu genügen, man beobachtete, dass die Strahlen mitunter bis zum Hahn hochgingen. Die äußerst spannende Feuerlöschprobe schauten die ganze Zeit sehr viele Leute mit großer Aufmerksamkeit an, und es wurde natürlich auch eifrig Kritik gehalten“, schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“.

R aubvögel: Die Vereinigten Taubenzuchtvereine von Coblenz setzen auch in diesem Sommer wieder eine Prämie für den Abschuss von Raubvögeln aus. „Für den Abschuss von Habicht, Wanderfalke und Sperberweibchen wird eine Abschussprämie von 5000 Mark ausgesetzt, die gegen Ablieferung der geschossenen Raubvögel in dem Tapetengeschäft von Niederstein, Löhrstraße 91, gegenüber dem Apollotheater, zur Auszahlung gelangt“, heißt es in der „Coblenzer Volkszeitung“. Ein Jahr zuvor wurden im Rahmen der Aktion der Vereinigten Taubenzuchtvereine Koblenz 28 abgeschossene Vögel abgeliefert.

Ausflugsdampfer waren im Sommer 1923 recht gut besucht. Nicht wenige nutzten dabei das Schiff als Alternative zur Bahn, die heftig bestreikt wurde.
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S chiff und Bahn: Als Folge des von der deutschen Regierung ausgerufenen passiven Widerstands gegen die Ruhrbesetzung legen die Eisenbahner im Rheinland weiterhin die Arbeit nieder. Und die Franzosen reagieren auf die Arbeitsniederlegung weiterhin mit Ausweisung. Auch im Juli müssen wieder Dutzende streikende Eisenbahner Koblenz mit ihren Familien verlassen und ins unbesetzte Deutschland ausreisen. Da die Eisenbahn wegen der Streiks sehr oft nicht verkehrt, bleibt als Alternative das Schiff zumindest für die Strecken entlang von Rhein und Mosel. Im Juli wollen allerdings auch die Ausflügler auf die Rhein- und Moseldampfer, sodass diese einen ganz gewaltigen Andrang zu bewältigen haben. So vermerkt die „Coblenzer Volkszeitung“, dass der Rheindampfer „Goethe“, der von Mainz kommend mit erheblicher Verspätung in Koblenz um 22 Uhr ankommt, dermaßen belastet ist mit Fahrgästen, dass kaum noch ein Stehplätzchen da war. Ähnliches berichtet das Blatt auch über andere Ausflugsdampfer wie den Salondampfer „Elsa“, der auf dem Mittelrhein von Koblenz nach Köln verkehrt.

B ären: Gleich mehrere Bären kann man Anfang Juli in den Koblenzer Straßen erleben. „Eine ganze Karawane von Bärenführern gibt in kleineren Trupps, die jeder einige meist recht große Bären mit sich führte, Vorstellungen zu rhythmischen Klängen. Meister Petz exekutierte zum großen Vergnügen der Jugend und der Erwachsenen seine graziösen Tänze“, schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“. Die Obrigkeit nimmt an den umherziehenden Personen, die auch Affen mit sich führen, rasch Anstoß. „Da die braunen Gesellen jedoch keine Wandergewerbescheine hatten, so musste die Polizei für den Abschied der Karawane sorgen“, schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“.

W etter: „Hochsommerliche Hitze brütet seit einigen Tagen über unserer Gegend. Die lähmende Hitze macht sich umso mehr bemerkbar, als wir den ganzen Mai und Juni über ohne jede Unterbrechung nichts wie Regen, kaltes Wetter und frische Winde hatten“, heißt es in der „Coblenzer Volkszeitung“ am 9. Juli. Eine Woche später schreibt das Blatt, dass die „Hitze, die bis zu 35 Grad ging, nun einer manierlichen Temperatur gewichen ist“. Für die zweite Hälfte des Julis meldet die „Coblenzer Volkszeitung“ durchschnittliches Sommerwetter mit vereinzelten Gewittern ohne extreme Hitze.

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