Zum wirtschaftlichen Aufschwung gesellte sich in Koblenz zudem noch die Freude über eine große Zahl von Rückkehrern. Die Franzosen hatten sie als Repressalie auf den passiven Widerstand im Sommer und Herbst 1923 ausgewiesen.
Rückkehr: Der prominenteste Rückkehrer war der erste Bürger der Stadt. Am 10. Juli 1924 durfte Oberbürgermeister Dr. Karl Russell Koblenz wieder betreten und die Amtsgeschäfte übernehmen. Die Franzosen hatten ihn im Oktober 1923 aus dem besetzten Rheinland ausgewiesen. Grund hierfür war, dass der Zentrumspolitiker vehement die Demonstranten unterstützte, die gegen die rheinischen Separatisten protestierten. Das Schicksal des Exils teilten mit ihm im Herbst 1923 viele Koblenzer. Auch sie hatten die Franzosen ausgewiesen, oft weil sie dem Aufruf der deutschen Reichsregierung zum passiven Widerstand Folge geleistet hatten.
Unter den Streikenden befanden sich vor allem viele Eisenbahner. Auch sie kehrten im Juli 1924, nachdem die französische Regierung die Ausweisungen annulliert hatte, wieder zurück, begleitet von ihren Familien, die ebenfalls ausgewiesen worden waren. Bei ihrer Rückkehr mussten sie jedoch oft feststellen, dass ihre Wohnungen mittlerweile weitervermietet worden waren.
Ertrunken: Wie zerbrechlich menschliches Glück ist, erfuhr eine in den Julitagen 1924 nach Niederlahnstein zurückgekehrte Familie auf tragische Weise. Kaum in der Heimat angekommen, ertrank ihr Sohn im Rhein. Die Eltern hatten ihm, wie die „Coblenzer Volkszeitung“ berichtete, Geld mitgegeben, damit er in ein öffentliches Schwimmbad gehe. „Doch muss er sich gedacht haben, er könne durch das Baden im Freien das Geld sparen, und so ertrank er um die Mittagszeit“, schrieb die „Coblenzer Volkszeitung“. Das Geld befand sich noch in den zurückgelassenen Kleidern am Badeplatz am Rhein.
Der Tod des kleinen Jungen war kein Einzelfall. Wie in den Sommern zuvor ertranken in und um Koblenz wieder zahlreiche Menschen in den beiden Flüssen – so ein 17-Jähriger in Winningen, ein Metternicher in der Mosel auf der Höhe des Kemperhofs und ein Kaufmann aus Stolzenfels im Rhein bei der Insel Niederwerth. Als besonders gefährlich galten vor allem zwei Stellen: das Gänsefürtchen in der Mosel, in unmittelbar Nähe der heutigen Staustufe gelegen, und der Bereich rund um die Horchheimer Brücke. Hier entging ein Kind im Juli 1924 nur knapp dem Tod.
„Ein Junge schwamm im Rhein unterhalb der Horchheimer Brücke, als er in einen Wirbel geriet, der ihn in die Tiefe zu ziehen drohte. Auf die gellenden Angstschreie hin schwamm ein älterer Herr, wie es hieß ein Lehrer, und rettete, nicht achtend der drohenden Gefahr des Versinken in dem gefährlichen Strudel, das Kind im letzten Augenblicke. Ein Bravo dem mutigen Lebensretter, der sich ganz bescheiden rasch entfernte, so dass nicht einmal sein Name festgestellt werden konnte“, berichtete die „Coblenzer Volkszeitung“.
Kühkopf: Ein beliebter Ausflugsort im Stadtwald war neben dem Hotel Rittersturz der Kühkopf. Im Juli 1924 veranstaltete der Turnverein Coblenz-Lützel dort ein Volksfest. Jenseits von „Speis und Trank zu volkstümlichen Preisen“ warteten die Turner mit einem großen Programm auf. Im Mittelpunkt stand dabei die Aufführung „Das Tellspiel der Schweizer Bauern“ von Franz Johannes Weinrich. Gespielt wurde das zeitgenössische Theaterstück sowohl von Mitgliedern des Turnvereins als auch des katholischen Jünglingsvereins aus Lützel, wobei „das Koblenzer Stadttheater die Kostüme hierfür zur Verfügung gestellt hat“, so die „Coblenzer Volkszeitung“.
Außerdem präsentierten die Lützeler Turner Vorführungen und der Männergesangverein Lützel ein Konzert mit Volksliedern. Den Besuchern war allerdings keineswegs nur die Rolle des passiven Betrachters zugedacht, denn das Programm bot weiterhin gemeinsamen Gesang, Tanz und allgemeine Volksbelustigungen, worunter wohl Spiele wie Sackhüpfen oder Eierlaufen zu verstehen sind. Parkplatzprobleme gab es im Stadtwald übrigens keine, denn der Abmarsch zum Volksfest am Sonntag erfolgte um 13 Uhr vom Lützeler Schüllerplatz unter dem Vorantritt einer Musikkapelle.
Glocken: Im Laufe des Weltkriegs wurden sehr viele Glocken in den Koblenzer Kirchen abgehängt und der Rüstungsindustrie zugeführt. Im Sommer 1924, knapp sechs Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, wurden in einigen Koblenzer Kirchen wieder neue Glocken aufgehängt. So berichtete die „Coblenzer Volkszeitung“, dass die Lützeler Antoniuskirche zwei neue Glocken erhielt. Die größere Glocke trug die Inschrift „Sancta Maria immaculata – Ora pro nobis“ (Heilige unbefleckte Maria – Bitte für uns), hatte einen Durchmesser von 1,14 Meter und wog 23 Zentner.
Gleich vier neue Glocken erhielt im Juli 1924 die Pfaffendorfer Pfarrkirche Peter und Paul. „Die Glocken wurden von der Bahnstation Ehrenbreitstein auf zwei Rollwagen geladen und festlich geschmückt durch den Ort gefahren“, berichtete die „Coblenzer Volkszeitung“. Weiterhin nur eine Glocke läutete im Sommer 1924 vom Turm der Herz-Jesu-Kirche, die vier anderen waren im Weltkrieg abgeliefert worden. Allerdings nahte Ersatz. „Noch in diesem Jahr sollen die neuen Glocken, nicht zuletzt durch den Opfersinn der Gläubigen, installiert werden. Sie sind bereits bei der Glockengießerei Otto in Hemelingen bei Bremen bestellt“, so die „Coblenzer Volkszeitung“.
Die Glocken der Kastorkirche, die allesamt aus dem 19. Jahrhundert stammen, mussten nicht abgeliefert werden. Noch älteren Datums sind zwei der vier Glocken der Liebfrauenkirche, die Marienglocke von 1701 und die Annenglocke von 1705. Beide läuten heute noch. Die fünf Glocken in der St. Josefskirche waren bereits 1922 ersetzt worden. Die älteste Glocke von Koblenz hängt übrigens in der Florinskirche, sie stammt von 1511. Die anderen Glocken dieser evangelischen Kirche sind aus den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, was dafür spricht, dass ihre Vorgänger ebenfalls im Weltkrieg abgeliefert werden mussten.
Kölsche Töne: Willy Millowitsch, Black Fööss, BAP, die Höhner – die Liste der Künstler, die mit Kölner Mundart weit über die Grenzen der Domstadt hinaus Erfolg hatten, ist lang. Den Export „kölschen Lebensgefühls“ gab es allerdings schon vor 100 Jahren. So gastierten mit dem Humoristen Willi Ostermann und mit dem Schauspieler Ludwig Schmitz im Juni und Juli 1924 gleich zwei Kölner Künstler in Koblenz. Ostermann trat dabei mit seinem Programm „Och, wat war das fröher schön doch en Colonia“ in der Gaststätte „Zur Traube“ in der Rheinstraße auf.
Ludwig Schmitz wiederum trat als Protagonist in dem zeitgenössischen Schwank „Die drei Zwillinge“ im Stadttheater auf. Die „Coblenzer Volkszeitung“ lobte ihn in den höchsten Tönen: „Ludwig Schmitz, der liebe Jung aus Köln, hat seinen Ruf als bester rheinischer Komiker gefestigt, denn solche herzhaften Lachsalven sind lange nicht gehört worden in unserem Musentempel. Man kann die verschiedensten Arten von Lachkrämpfen an seinen Abenden beobachten, von den Naturlauten der ,höheren Besucher‘ bis zur Dame in der Loge, die in verzweifelter Anstrengung zur Wahrung ihrer Bildung das Taschentüchlein in den Mund stopft, so mehrfach beobachtet. Das Gastspiel wurde wegen der großen Nachfrage mehrfach verlängert.“
Löhrstraße: „Immer die Radfahrer“ heißt eine Filmkomödie von Heinz Erhardt und Hans-Joachim Kulenkampff aus den 50er-Jahren. In Koblenz hatte man Zweiradfahrer bereits in den 20ern als „Unsicherheitsfaktor“ ausgemacht. Nachdem ihnen noch während der amerikanischen Besatzungszeit, die Anfang 1923 endete, das Befahren der Rheinanlagen verboten worden war, gab es nun von der Stadtverwaltung ein Verbot für einen Teil der Löhrstraße.
„Monatelang wurde es als schwerer Übelstand empfunden, dass bei dem starken Verkehr in der engen Hauptstraße Autos, Motorrad- und Radfahrer in Geschwindigkeiten fuhren, die zu Unglücksfällen führen mussten. Deshalb ist der Verkehr für Fahrräder und Motorräder in der Löhrstraße vom Löhrrondell bis zum Plan ganz untersagt und der gesamte Fuhrwerksverkehr auf dieser Strecke nur in Richtung ,Vier Türme‘ erlaubt“, berichtete die „Coblenzer Volkszeitung“.
Wetter: Juni und Juli boten vor allem eine feuchtwarme, schwüle Witterung. So schrieb die „Coblenzer Volkszeitung“ Mitte Juli: „Tropische Hitze herrschte, es war erdrückend und erschlaffend wie selten zuvor. Selbst das große Konzert des städtischen Orchesters in den Rheinanlagen hatte keine Zaungäste.“ Ende Juli änderte sich allerdings die Wetterlage. Das Blatt sprach von kräftigen Regenfällen und erheblich gesunkener Luftwärme.