Rückblick: Engpässe bei Versorgung mit Banknoten - Energiesparen führt zu geänderten Öffnungszeiten - Erste Telefonzellen installiert
Vor 100 Jahren: Als die Stadt Koblenz Notgeld drucken musste
Die Festhalle, die ungefähr an der Stelle der heutigen Rhein-Mosel-Halle ihren Platz hatte, war in den 20er-Jahren die „gute Stube“ der Stadt. Im November 1922 fand dort ein Schillerabend zu Ehren des 163. Geburtstag von Friedrich Schiller statt. In der voll besetzten Festhalle sang unter anderem ein 300-köpfiger Schülerchor eine Vertonung der Ballade „Das Lied von der Glocke“. Foto: Stadtarchiv Koblenz (FA 421, Nr. 10, Bild 243)
Stadtarchiv Koblenz

Mit Heiterkeit und Lebensfreude glänzt der November in unseren Breiten selten. Und 1922 macht da sicherlich keine Ausnahme. In unserer Reihe blicken wir 100 Jahre in die Vergangenheit – auch damals sorgte die Inflation die Koblenzer. Und zwar noch deutlich drastischer als heute.

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Die Festhalle, die ungefähr an der Stelle der heutigen Rhein-Mosel-Halle ihren Platz hatte, war in den 20er-Jahren die „gute Stube“ der Stadt. Im November 1922 fand dort ein Schillerabend zu Ehren des 163. Geburtstag von Friedrich Schiller statt. In der voll besetzten Festhalle sang unter anderem ein 300-köpfiger Schülerchor eine Vertonung der Ballade „Das Lied von der Glocke“. Foto: Stadtarchiv Koblenz (FA 421, Nr. 10, Bild 243)
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Die Koblenzer werden den Trauermonat vielmehr als besonders düster empfunden haben, denn die wirtschaftliche Situation ist desolat. Die Inflation treibt Preise und Löhne immer schneller in die Höhe. Ein Ende ist nicht in Sicht. Da es in Deutschland im Zuge der Inflation Engpässe bei der Versorgung mit Banknoten gibt, taucht immer häufiger regionales Notgeld auf. So auch in Koblenz.

Notgeld: Der Reichsbank gelingt es Mitte 1922 nicht, ausreichend Geldnoten zur Verfügung zu stellen. Deshalb erhalten viele Städte in Deutschland die Erlaubnis, Notgeld auszugeben. Auch in Koblenz wird die Druckmaschine angeworfen. Koblenzer Banknoten gibt es in den Ausgaben zu 5, 10, 20, 25, 100 und 500 Mark. Und die meisten Banknoten haben einen Bezug zu Koblenz. So ziert die Moselbrücke den Koblenzer 10-Mark-Schein, das Deutsche Eck die Notgeldscheine zu 20 und 500 Mark. Ein Porträt von Joseph Görres mit Federkiel am Schreibpult gibt es hingegen auf dem Koblenzer Geldschein zu 100 Mark.

Da es zu Engpässen bei der Ausgabe von Banknoten kommt, erlaubt die Reichsbank im Herbst 1922 den Kommunen, eigene Geldscheine zu drucken. Den 100-Mark-Schein der Stadt Koblenz ziert ein Porträt von Joseph Görres am Schreibpult, auf dem Koblenzer 500-Mark-Schein ist das Deutsche Eck zu sehen. Lange Gültigkeit hatten die Scheine nicht. Ein Jahr später wurde mit der Rentenmark eine neue Währung eingeführt. Foto: Stadtarchiv Koblenz (S 8, Nr. 2)
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Dass dieses Notgeld überall als Zahlungsmittel ohne Bedenken und ohne Abzug akzeptiert wurde, darf man allerdings durchaus bezweifel. Auf Vorbehalte trifft auf jeden Fall das Notgeld, das der Kreis Neuwied druckt. So schreibt die „Coblenzer Zeitung“: „Es wird von verschiedenen Stellen geklagt, dass das Geld des Kreises Neuwied außerhalb des Kreises, besonders in Coblenz, von Geschäftsleuten nicht im vollen Umfang in Zahlung genommen wird. Die Empfänger machen vielfach einen Abzug von etwa 5 Prozent des Nennbetrages mit der Begründung, dass ihnen Unkosten in dieser Höhe durch die Einlösung des Geldes bei der Neuwieder Kreissparkasse entstünden.“

Wirtschaftlich betrachtet birgt die Ausgabe von Notgeld natürlich die Gefahr, dass die Inflation noch weiter angeheizt wird. Zumal viele Kommunen die Ausgabe von Notgeld auch nutzen, um eigene Finanzengpässe zu überbrücken. „Dank strenger Auflagen für die Emission konnte die Reichsregierung den Umlauf an Notgeld bis Juli 1923 auf 2,4 Milliarden Mark beschränken. Dann aber ließ die Knappheit an gesetzlichen Zahlungsmitteln eine ,Notgeldwelle‘ aufbranden, die, von einer explosionsartigen Vermehrung dieser Geldzeichen und ihrer Ausgabestellen begleitet, den Damm der staatlichen Regulierungen brach“, so der Wirtschaftshistoriker Fritz Blaich in seinem Buch „Der schwarze Freitag – Inflation und Wirtschaftskrise“.

Da es zu Engpässen bei der Ausgabe von Banknoten kommt, erlaubt die Reichsbank im Herbst 1922 den Kommunen, eigene Geldscheine zu drucken. Den 100-Mark-Schein der Stadt Koblenz ziert ein Porträt von Joseph Görres am Schreibpult, auf dem Koblenzer 500-Mark-Schein ist das Deutsche Eck zu sehen. Lange Gültigkeit hatten die Scheine nicht. Ein Jahr später wurde mit der Rentenmark eine neue Währung eingeführt. Foto: Stadtarchiv Koblenz (S 8, Nr. 2)
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Winterhilfe: Die Inflation schreitet auch im November weiter gnadenlos voran. Bezahlten die Koblenzer im September für einen Liter Milch aus der Kanne noch 32 Mark, so sind es zwei Monate später bereits 145 Mark. Und bei anderen Lebensmitteln sieht es nicht besser aus. Leidtragende der rasanten Inflation sind dabei nicht so sehr die Lohnempfänger, sondern vor allem die Empfänger staatlicher Leistungen und diejenigen, die auch von eigenen Rücklagen leben. „Die ungeheure Not der Kleinrentner, Sozialrentner und kinderreichen Familien, die durch die Entwertung der Mark und die dadurch hervorgerufene Preissteigerung vor dem Hungertod stehen, hat nach dem Vorbild verschiedener Städte die Stadtverwaltung zu Ergreifung von Abwehrmaßnahmen veranlasst“, schreibt die „Coblenzer Zeitung“.

Es wird ein Ausschuss der Wohlfahrtsverbände und der Gewerkschaften gebildet. Dieser beschließt, dass die Volksküche der Franziskanerinnen in der Elzerhofstraße, die bereits während des Weltkrieges bestand, ab Dezember wiedereröffnet wird. Sollte diese Volksküche nicht ausreichen, dann soll noch eine weitere im Antoniuskloster am St.-Josef-Platz 1 in der südlichen Vorstadt eröffnet werden. „Die Volksküche bietet für Minderbemittelte ein normales Essen unentgeltlich oder zu verminderten Preisen an“, schreibt die „Coblenzer Zeitung“. Anmelden kann man sich für die Volksküche bei den katholischen Vinzenz- und Elisabethvereinen, beim evangelischen Frauenverein, beim israelischen Frauenverein und bei den christlichen und freien Gewerkschaften.

In der Castorstraße in der Altstadt, hier eine Aufnahme Ende der 30er-Jahre, lebten zwischen den Weltkriegen rund 5000 Menschen. In der engen Straße kannte jeder jeden. Anonymes Wohnen war in den 20er-Jahren eher unbekannt. Foto: Stadtarchiv Koblenz (FA 1-06, Kastorstrae 112-114 um 1938)
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Die Hilfe wird vonseiten der Stadt aber nicht nur an die Wohlfahrtsverbände delegiert, sondern ein jeder Koblenzer ist aufgefordert, sich einzusetzen. „Darum ergeht an alle, die ausreichende Einkünfte haben, die dringende Bitte, sich einen Gast zum Mittagessen einzuladen oder ein warmes Mittagessen abzugeben. Meldungen werden beim städtischen Wohlfahrtsamt angenommen. Es wird um Angabe erbeten, ob eine ältere Person oder ob ein Kind erwünscht ist“, schreibt die „Coblenzer Zeitung“. Nicht zuletzt werden die Bauern um Spenden gebeten. „Um die Not zu lindern, wurden in Neuendorf bei allen Landwirten Sammlungen von Kartoffeln, Gemüse und dergleichen gehalten. Die Beiträge waren recht reichlich. Der Ertrag wird den Koblenzer Wohlfahrtsanstalten übergeben“, schreibt die „Coblenzer Zeitung“.

Schiller: Die Klassiker sind Anfang der 20er-Jahre sehr hoch im Kurs. So wird am 10. November Schillers 163. Geburtstag in der Koblenzer Festhalle mit einer großen Feier begangen. Organisator der Veranstaltung ist die Ortsgruppe Koblenz des Deutschen Schillerbundes. „Der Saal war vollständig besetzt, sodass sich viele mit Stehplätzen zufriedengeben mussten“, berichtet die „Coblenzer Zeitung“.

Das Programm auf der Bühne, die eine mit Pflanzen geschmückte große Schillerbüste ziert, gestalten neben dem städtischen Orchester vor allem die Koblenzer Schüler. So singt ein Chor aus 300 Schülern das Lied „Holder Friede“, eine Vertonung von Andreas Jacob Romberg (1767 – 1821) von Schillers Ballade „Das Lied von der Glocke“. Zudem trägt ein Schüler des Kaiser-Wilhelm-Realgymnasiums das Gedicht „Heros, bleibe bei uns“, das Ernst von Wildenbruch (1845 – 1909) anlässlich des 100. Todestages Schillers 1905 schrieb, vor.

Dass Friedrich Schiller Anfang der 20er in Mode ist, zeigt aber nicht nur die Feier in der Festhalle. Auch der Coblenzer Frauenrat präsentiert einen Schillerabend im evangelischen Gemeindesaal am Altlöhrtor. Laienschauspieler zeigen dabei Szenen aus „Maria Stuart“, „Kabale und Liebe“ sowie „Wilhelm Tell“. Und natürlich darf auch hier ein Vortrag aus Schillers Glocke nicht fehlen. Die Kenntnis von Versen wie „Fest gemauert in der Erden / Steht die Form, aus Lehm gebrannt / Heute muss die Glocke werden. / Frisch Gesellen, seid zur Hand“ gehören damals wohl zum Bildungskanon.

Goldene Hochzeit: Dass ein Paar 50 Jahre miteinander verheiratet ist, ist in den 20er-Jahren ein seltenes Ereignis. Ursache hierfür ist aber weder eine hohe Scheidungsquote noch ein spätes Heiratsalter. Grund dafür ist vielmehr der frühe Tod. So hatten Neugeborene, die im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhundert auf die Welt kamen, statistisch betrachtet nur eine Lebenserwartung von 46 Jahren. Umso größer wird die Goldene Hochzeit dann gefeiert, wenn sie einmal eintritt.

Ein Bericht aus der „Coblenzer Volkszeitung“ gibt darüber ein beredetes Zeugnis. „Die Bewohner der Castorstraße hatten einmal mehr Gelegenheit, ihren seit alters her gepflegten Gemeinschaftsgeist zu dokumentieren. Und das taten sie redlich aus Anlass der Goldenen Hochzeit der Eheleute Schreinermeister Wilhelm Rogalsky und Frau Amalie, geborene Schweikert. Reicher Flaggen- und Girlandenschmuck bekundete nach außen hin die allgemeine Teilnahme an dem seltenen Feste und gab gleichzeitig die Verehrung kund, die man allseits für das Jubelpaar empfindet.

In einem stattlichen Zug wurde das Jubelpaar zur Castorkirche geleitet, allein 43 Enkelkinder, teilweise Girlanden tragend, schritten voran“, schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“. Und als das Paar zur erneuten Segnung der Ehe in die Kastorkirche eintritt, sind „die weiten Hallen des Gotteshauses bis auf den letzten Platz gefüllt“. Und auch für den musikalischen Part sorgen die Altstädter. „Der Chor der Jungfrauen-Kongregation von St. Castor verherrlichte die Feier durch schöne Gesänge“, weiß die „Coblenzer Volkszeitung“.

Energiesparen: Mangel herrscht nicht nur an Lebensmitteln, sondern auch an Kohle. Das hat zwei Gründe. Einerseits hat das Deutsche Reich nach dem Weltkrieg mit dem Saarland und Teilen von Oberschlesien zwei wichtige Gebiete der Kohleförderung verloren. Und andererseits muss Deutschland Kohle als Reparationsleistung vor allem an Frankreich liefern. In Koblenz führt dieser Mangel dazu, dass die Weihnachtsferien in den Schulen in diesem Jahr zehn Tage früher anfangen und zehn Tage später enden als geplant. Um Kosten für Licht und Heizung zu sparen, reduziert auch die Stadtbibliothek ihre Öffnungstage.

Die Bibliothek, die ihren Sitz in der Casinostraße 39 hat, ist nur noch drei Tage in der Woche von 10 bis 13 Uhr und von 16 bis 19.30 Uhr geöffnet. Ausgenommen von der Reduktion ist allerdings der Lesesaal, der täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet ist. Generell steht die Stromversorgung nicht unbedingt auf sicheren Füßen. So heißt es in einem Leserbrief: „In Ehrenbreitstein flackert das elektrische Licht, was nicht nur schädlich für die Augen ist, sondern auch das Schreiben, Arbeiten und Lesen an Winterabenden direkt unmöglich macht“.

Telefonzelle: In den 20er-Jahren ist das Telefon noch den begüterten Schichten, dem Handel und Gewerbe sowie öffentlichen Institutionen vorbehalten. Der gewöhnliche Haushalt hat kein Telefon. An stark frequentierten Orten installiert die Stadt allerdings im November 1922 erste öffentliche Fernsprecher. So schreibt die „Coblenzer Zeitung“ Anfang November: „In der Vorhalle des Bahnhofs gibt es nun eine öffentliche Fernsprechstelle, die täglich ununterbrochen für den Orts- und Fernverkehr geöffnet ist.“ Eine weitere Telefonzelle wird einige Tage später in der Halle des Postamts am Clemensplatz „zur Benutzung des Publikums“ eingerichtet.

Johanna Gisbert Mostert: Die Koblenzer Schriftstellerin Johanna Gisbert Mostert wird im November zu Grabe getragen. Die gebürtige Koblenzerin, die vor allem unter dem Pseudonym „Hanns Gisbert“ Romane, Novellen und Feuilletonbeiträge veröffentlichte, lebt zuletzt in der Löwenburg in Lay, die ihr Bruder, Alfons Mostert, ein hiesiger Zigarrenfabrikant, 1917 erworben hatte. „Ihr edles Gemüt und ihre gewiefte Menschenkenntnis machten ihre Arbeiten für die Leser zu einem hohen Genuss. Die „Coblenzer Volkszeitung“ verliert mit ihr eine ihrer besten Mitarbeiterinnen“, heißt es im Nachruf der Volkszeitung. Johanna Gisbert Mostert, die auch dem Koblenzer Frauenrat angehörte, widmete sich literarisch nicht zuletzt der Mosel, so in den Werken „Moselwind und -wellen“ oder „Schiffsleut‘ an der Mosel“. Ihr Grab ist auf dem Koblenzer Hauptfriedhof, es ist ein Ehrengrab der Stadt Koblenz.

Wetter: Es herrscht klassisches Novemberwetter, nass und ungemütlich. Zumindest ist der November 1922 aber noch kein vorgezogener Wintermonat, harter Frost bleibt den Koblenzern erspart. Die tiefste Temperatur wird am 17. und 28. November gemessen mit jeweils einem Grad, die Höchsttemperatur liegt am 10. November bei 12 Grad.

Von Peter Karges

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