André Bender kann dazu viel sagen. Er ist Sachverständiger für barrierefreies Planen und Bauen. In seiner Wahlheimat Koblenz kennt er viele Stellen, die für Menschen mit Beeinträchtigungen ein Problem sind. Bender sagt: „Es kommen immer wieder Beschwerden von Betroffenen bei uns an, weil irgendwo die Barrierefreiheit nicht gegeben ist.“
Viele Orte, die eigentlich barrierefrei sein müssten, sind es auch in Koblenz nicht. Ein entscheidendes Kriterium für Barrierefreiheit ist das Zwei-Sinne-Prinzip, erklärt André Bender: „Wenn ich mich auf einen meiner Sinne nicht verlassen kann, dann müssen zwei andere ihn ausgleichen.“ An einer potenziellen Gefahrenstelle wie einer Ampel gibt es so zum Beispiel für Blinde im besten Fall sowohl Leitlinien auf dem Boden als auch einen gut hörbaren Signalton.
Licht und Schatten auf der Straße
Stiefmütterlich behandelt wird die Barrierefreiheit Benders Erfahrung nach oft in öffentlichen Baustellen. Von denen gibt es im Koblenzer Zentrum derzeit mehrere große. Zum Beispiel die Sanierung des Stadttheaters. Große Containerbauten stehen vor dem Theater. Damit Passanten weiter davor entlanglaufen können, wurden extra die großen Blumenbeete auf dem Deinhardplatz mit Asphalt eingegossen. Die Barrierefreiheit wurde dabei offenbar aber nicht mitgedacht, kritisierte Bender schon vor einigen Wochen.
Neben dem teils unebenen Steinpflaster und der Enge des Weges waren aus seiner Sicht das Hauptproblem die Ränder der Beete, die er als „richtige Stolperkanten“ und große Hindernisse für Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator ansah. Mit dieser Ansicht war Bender offenbar nicht allein. Denn mittlerweile wurden die Stolperkanten mithilfe von Mini-Rampen aus Asphalt beseitigt. Ein kleiner Erfolg für die Barrierefreiheit und die erfreuliche Botschaft, dass Missstände auch gesehen und beseitigt werden können.
Zur Erfüllung der DIN-Norm fehlt noch etwas
Wobei das mit der Beseitigung auf Baustellen möglicherweise sogar einfacher ist, als im bestehenden öffentlichen Raum. Laut Landesbauordnung müssen bestimmte Einrichtungen barrierefrei zugänglich sein, darunter fallen unter anderem Verwaltungsgebäude oder auch Arztpraxen. So etwa das ärztliche Gesundheitszentrum in der Charlottenstraße in Ehrenbreitstein. Doch barrierefrei ist der öffentliche Raum bis zur Eingangstür nicht, sagt André Bender.
An Ort und Stelle zeigt er, warum: So sei die gepflasterte Rampe zum Eingang des Ärztehauses zu steil, „das sind mehr als sechs Prozent“, sagt Bender, „ich hatte die vor Jahren bereits gemessen, als sie noch im Bau war“. Der Handlauf an der Treppe vor dem Gebäude erfülle zudem nicht die DIN-Norm 18040 für Barrierefreies Bauen.
Ein dritter Kritikpunkt: Die weiße Leitlinie an der Bushaltestelle hört mitten auf dem Gehweg einfach auf. Bender dazu: „Leitlinien müssen immer einen logischen Anschluss haben, ansonsten bringen sie nichts. Der Anschluss kann eine Hauswand sein oder einer Kante zu einer Bepflanzung. Die Linie müsste also im weiteren Verlauf von der Straße weggeleitet werden, sonst wissen Betroffene ja nicht, wie es weitergeht“, sagt Bender und betont: „Barrierefreiheit bringt wenig, wenn sie nicht sinnvoll an das weitere Umfeld angeschlossen ist.“
Einheitlichkeit hilft viel
Genau darin liegt auch aus Sicht von Katharina Kubitza häufig ein Problem. Seit fünf Jahren ist sie die Behindertenbeauftragte der Stadt. Im Oktober hat der Stadtrat sie einstimmig wiedergewählt. Im Gespräch mit unserer Zeitung sagt Kubitza: „Was nützt mir zum Beispiel ein neues barrierefreies Haus, wenn ich nicht barrierefrei dort hinkomme? Oder wie soll man sich orientieren können, wenn jede Ampel mit anderen taktilen Elementen auf dem Boden ausgestattet ist?“ Um Einheitlichkeit zu schaffen, seien in der Regel bauliche Eingriffe nötig. Doch Kubitza weiß auch: „Nur für das Ziel der Barrierefreiheit wird in den Bestand nicht eingegriffen, die Wirtschaftlichkeit spielt in klammen Kommunen immer eine Rolle.“
In Koblenz bescheinigt die Behindertenbeauftragte der Verwaltung schon den Willen, etwas für die Barrierefreiheit zu tun. Als Beispiel nennt sie den barrierefreien Ausbau der Bushaltestellen, den die Koveb Stück für Stück vorantreibt. Und auch bei anderen Neubauprojekten ist die Barrierefreiheit mittlerweile mehr als eine schöne Begleiterscheinung. Zum Beispiel in der Südallee. „Wenn die Gestaltung genau so umgesetzt wird, wie geplant, dann wird das eine ganz tolle barrierefreie Flanier- und Generationsmeile“, ist Kubitza überzeugt.
Im ersten umgestalteten Abschnitt zwischen Friedrich-Ebert-Ring und Rizzastraße kann man schon erkennen, wo der Weg in der Südallee hingeht. „Generell ist alles sehr ebenerdig gestaltet. Wir haben die Straßenbeläge auf Rutschfestigkeit geprüft. Die Steine, die wir ausgewählt haben, dunkeln nicht nach, bieten also einen guten Kontrast“, sagt Kubitza.
Und trotzdem: So positiv wie in der Südallee verläuft es ihrer Erfahrung nach nicht immer. „Ein Problem, das mir aufgefallen ist: Manchmal stimmt der Plan, aber die Ausführung nicht“, bemängelt Kubitza. Immer wieder mal habe sie die Erfahrung gemacht, dass Barrierefreiheit bei Projekten in Koblenz zwar mitgeplant, aber im Bau dann nicht richtig umgesetzt werde. Als Beispiel nennt sie das Fahrradparkhaus: „Mit einem behindertengerechten Fahrrad kommt man da nicht durch die Eingangstür.“ Eine Erklärung, warum die Barrierefreiheit manchmal auf der Strecke bleibt, hat Kubitza nicht, sie sagt aber: „Manchmal wäre es gut, wenn die Behindertenbeauftragte früher in einen Planungsprozess mit einbezogen würde.“
Rücksicht baut Barrieren ab
Generell, glaubt sie, braucht es in der Gesellschaft noch mehr Verständnis und Sensibilität für Barrierefreiheit. „Zugeparkte Stellflächen für Menschen im Rollstuhl oder Baustellen mit Barrieren sind keine Seltenheit. In Koblenz sind Leitlinien entlang von Hausfassaden oft an kleinen Pflastersteinen zu erkennen. Aber was nützen die, wenn sie dann mit Werbebannern und Bestuhlung vollgestellt werden?“ Perspektivisch möchte Kubitza eine Checkliste zur Barrierefreiheit für Veranstaltungen in Koblenz anfertigen. Hilfreich wäre aus ihrer Sicht auch, wenn die DIN-Normen zum Barrierefreien Bauen kein „Soll“, sondern ein „Muss“ würden.
„Barrierefreiheit ist die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes, inklusives Leben“, sagt Sachverständiger André Bender. Koblenz‘ Behindertenbeauftragte Katharina Kubitza betont, es gehe eben nicht nur um „zehn bis zwölf Prozent, die faktisch schwerbehindert sind.Barrierefreiheit: Wem hilft sie eigentlich?
Auch André Bender sieht an einigen Ecken in der Stadt positive Veränderungen, zum Beispiel die Fußgängerüberwege an der Kurt-Schumacher-Brücke in der Koblenzer Straße. Gut sei auch, dass es bei der neuen Pfaffendorfer Brücke einen Fahrstuhl auf der Pfaffendorfer Seite geben soll. Insgesamt aber sieht Bender in Koblenz noch viele Barrieren, die behoben werden müssen.
Helfen könnte da aus seiner Sicht ein hauptamtlicher Behindertenbeauftragter, der sich intensiver mit Beschwerden und Projekten auseinandersetzen könnte. Da ist er sich mit Katharina Kubitza einig. Über ihr Ehrenamt als Behindertenbeauftragte in einer Großstadt sagt sie: „Es ist viel Zeit, die man investieren muss. Man sollte auch rechtlich bewandert sein.“ In anderen Städten, die auch kleiner als Koblenz sind, sei ihr Amt ein Hauptamt.