Als der Koblenzer Peter Frein geboren wurde, wäre er fast gestorben. Mehr als einmal. „Meiner Mutter war sofort klar, da stimmt was nicht“, erzählt der 61-Jährige beim Treffen mit der RZ. Denn der kleine Peter trank nicht, weder an der Flasche, noch an der Brust. „Jungs sind oft zu faul zum Trinken“, urteilte der Arzt. Doch es steckte keine Faulheit dahinter, sondern ein großes Loch im Herzen, ein sogenannter Ventrikelseptumdefekt, wie sich herausstellen sollte. Zu dieser Zeit – 1964 – fast ein sicheres Todesurteil.
Und eine Situation, wie man sie sich heute nicht mehr vorstellen kann und will: Der Säugling wurde ins Krankenhaus verlegt. Und da lag er. Allein. Nur ab und zu durften die Eltern kommen und ihn nur durch eine Glasscheibe sehen. „Heute ist das unvorstellbar“, sagt der gebürtige Adenauer. Aber damals war das normal. „Meine Eltern sind mal hinter zwei Ordensschwestern hergegangen, die sich austauschten: ,Aus dem Kind wird nix mehr’, sagten sie über mich.“
Monatelang wird er durch eine Magensonde ernährt
Doch sie sollten nicht recht behalten. Zwar war es zu dieser Zeit noch nicht möglich, den Herzfehler bei so kleinen Kindern zu operieren, aber der kleine Peter hatte in gewisser Weise Glück: Denn der Arzt Hans Carlo Kallfelz wurde zurate gezogen, ließ ihn die Universitätskinderklinik Bonn verlegen. Die Diagnose wurde gestellt, was schwierig genug war, weil die Methoden noch nicht ausgereift waren.
Tun aber konnten die Ärzte wirklich erst einmal nichts. Peter blieb im Bettchen in der Klinik, wurde phasenweise durch eine Magensonde ernährt, seine Eltern durften ihn zweimal in der Woche eine Stunde durch eine Glasscheibe anschauen. Erst mit acht Monaten war er so weit, dass man eine lebensverlängernde Operation wagen konnte. Eine Verengung der Pulmonalarterie sollte die Lunge vor einem höheren Blutdruck und somit vor einer lebensbedrohlichen Schädigung schützen.
Viele denken, er ist faul – aber er kann nicht mehr
Peter Frein schildert diese Anfänge seines Lebens ganz nüchtern, sowohl beim Treffen mit unserer Redaktion am großen Esstisch der Familie im Haus auf der Karthause als auch in seinem Buch. „Der Schnellherzler“ heißt es, und es ist ihm wichtig, dass die Leser wahrnehmen: Es gibt schwere Erkrankungen, die man nicht sieht, und die den Betroffenen doch sein Leben lang beeinträchtigen.
So, dass der Erkrankte nicht so leistungsfähig ist wie andere, so, dass er im Beruf nicht so viel erreichen kann, so, dass er mehr Pausen und Regenerationsphasen benötigt. Denn da ist ihm in seinem Leben immer wieder Verständnislosigkeit begegnet, sagt Peter Frein, und man merkt, dass ihm das etwas ausmacht.

Dabei hat er im Grunde unheimlich viel Glück gehabt, sagt er rückblickend. Die meisten Kinder, die Anfang der 1960er-Jahre einen solchen Herzfehler hatten wie er, sind einfach gestorben. Er aber wurde in München zum ersten Mal operiert. „Meine Eltern haben unheimlich viel auf sich genommen“, sagt er dankbar. In seinem Buch schildert Frein die Fahrt mit dem Zug in die bayerische Landeshauptstadt, wie seine Eltern es ihm später berichtet haben: Die Eltern hatten extra ein ganzes Abteil reserviert, damit er nicht zu vielen Krankheitskeimen ausgesetzt war. In München dann konnte eine Operation vorgenommen werden, die zwar das Problem selbst nicht lösen konnte, ihm aber Zeit verschaffte, bis Peter dann 1974 groß genug für die rettende OP war.
Bis dahin aber war es ein schwerer Weg: Der kleine Junge war schwach und kränklich, bekam jeden Infekt, den man bekommen kann, erlebte kaum fröhliche Zeit mit anderen Kindern. Nicht nur im Kindergarten, sondern auch später in der Grundschule erlebte der kleine Peter, dass er kein „normales“ Kind war, nicht rennen, nicht mit den anderen spielen konnte. Es war eine grausame Zeit, schildert er.
Auch auf die Berufswahl hat die Krankheit großen Einfluss
Den medizinischen Durchbruch brachte dann die Operation in Hannover, wo der Mediziner Kallfelz unterdessen arbeitete. Da war Peter Frein zehn Jahre alt. Das etwa Zwei-Mark-Stück große Loch in der Herzscheidewand wurde geschlossen, ein Tumor entfernt. Es war eine lange, schwere Operation. „Ich habe danach eine Weile gebraucht, um mich zu erholen“, sagt der Wahl-Koblenzer. Die langen Fehlzeiten machten sich auch in der Schule bemerkbar – nach der Grundschule gab es keine Empfehlung fürs Gymnasium, sondern für die Realschule.
Weiterhin war der Junge oft nicht so leistungsfähig wie andere, war häufig krank. Das war nicht immer einfach, er fühlte sich oft abgestempelt, übergangen, außen vor. Auch auf seine Berufswahl hatte die Erkrankung massiven Einfluss. Denn obwohl er eine große Leidenschaft für die Restaurierung alter Möbel oder technisches Zeichnen entwickelte, beugte er sich doch dem Rat des Vaters, sich unbedingt eine Stellung im öffentlichen Dienst zu suchen, damit er abgesichert sei.
„Wir wollten unsere Kinder in einer toleranten Umgebung aufwachsen sehen.“
Peter Frein hat einen Sohn und eine Tochter.
„Der größte Fehler meines Lebens“, urteilt der heute 60-Jährige auch heute noch rückblickend. Denn der Beruf machte ihm keinen großen Spaß, und dafür ist ein Berufsleben zu lang, schreibt er in seinem Buch. Immerhin war er nun aber endlich an dem Punkt angelangt, an dem er von seiner Erkrankung nicht mehr allzu viel spürte und holte jede Menge Leben nach.
Auch die Eifel verließ er, zog 1983 mit seiner Lebensgefährtin nach Koblenz. Im Buch berichtet er von seinen Erlebnissen im Job, von seiner Heirat, vom Kauf eines alten Häuschens, weil dies sein Lebenstraum war. Er erzählt von der Geburt zweier Kinder und der Entscheidung, der Eifel doch wieder den Rücken zu kehren. Das hatte vor allem persönliche Gründe: Im Ort hatte es Probleme mit dem Kindergarten gegeben, „und da haben wir gemerkt, wie intolerant die Menschen dort waren, wenn man in ihren Augen die Kirche angriff“, sagt Peter Frein. „So wollten wir unsere Kinder nicht aufwachsen lassen.“
„Heute haben auch Kinder mit einem solchen Herzfehler, wie ich ihn hatte, ganz andere Chancen. Damals galt ich als hoffnungsloser Fall.“
Peter Frein
Intoleranz erlebte Frein auch immer wieder in Bezug auf seine Erkrankung, und das ist auch der Hauptgrund, warum er das Buch über sein Leben geschrieben und das Gespräch mit unserer Redaktion gesucht hat. Denn die Vorerkrankungen fordern ihren Tribut: „Oft war ich mittags schon so müde, dass ich eigentlich nicht mehr konnte.“ Zumal Frein 2015 einen Herzstillstand hatte und fast gestorben wäre. Von außen aber sah und sieht man ihm die gesundheitlichen Probleme nicht an, sodass nicht immer Verständnis für die Situation da war.

Mittlerweile ist er im Ruhestand und genießt das, kruschelt zusätzlich zum Familienhaus auf der Karthause in einem alten Haus an der Mosel herum, das er ausbaut, restauriert Möbel, ist leidenschaftlicher Großvater. Das Buch hat er nicht geschrieben, weil er sich wirtschaftlichen Erfolg verspricht, sagt er. Für kranke Menschen wie ihn sei es wichtig, dass sie akzeptiert werden, und dazu will er einen Beitrag leisten.
„Heute haben auch Kinder mit einem solchen Herzfehler, wie ich ihn hatte, ganz andere Chancen“, sagt er, „damals galt ich als hoffnungsloser Fall.“ Aber auch wenn sie medizinisch viel besser als früher versorgt werden, so haben sie doch nicht immer die gleichen Chancen. Auch heute nicht. Noch immer kommen jedes Jahr rund 7000 Kinder mit einem Herzfehler zur Welt, der sie oft ihr Leben lang begleitet.
Das Buch „Der Schnellherzler“, Ein Leben mit einem angeborenen Herzfehler, ist im Medu-Verlag erschienen, im Buchhandel erhältlich und kostet 16,95 Euro.
Der Arzt
Ohne den Kinderkardiologen Hans Carlo Kallfelz, der im Alter von 91 Jahren vor wenigen Wochen gestorben ist, hätte Peter Frein sicher nicht überlebt. „Sein unermüdlicher Einsatz für herzkranke Kinder, seine herausragende fachliche Expertise und seine tiefe Menschlichkeit haben nicht nur die Medizin, sondern auch viele Familien nachhaltig beeinflusst“, heißt es in einem Nachruf. „Als Pionier der Kinderkardiologie trug er maßgeblich zur Entwicklung neuer Behandlungsansätze bei und machte sich um die Verbesserung der Versorgung herzkranker Kinder verdient.“
Kallfelz hat auch einen Begleittext zu Peter Freins Buch geschrieben. „Diese Autobiografie ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert“, schreibt er. „Sie ist vor allem ein bewundernswertes Dokument von Lebensmut und Resilienz.“ Und: Sein Weg vom todgeweihten Baby zum fast 60-jährigen Mann spiegelt aber auch die großartige Entwicklung der Herzmedizin in diesem Zeitraum.“ dos