Wunsch nach Macht und Beute war stärker als das Strafrecht - Historiker nennt Hintergründe
Verfolgungen an der Mosel: Gier führte zur Hexenjagd, nicht der Aberglaube
Hexentanzplatz bei Trier. Ausschnitt aus einem Flugblatt von 1594. Der Urheber der Druckgrafik ist unbekannt. Foto: Wikimedia Commons
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Winningen/Cochem. Ein dramatischer Klimawandel, fürchterliche Kriege, dazu die individuelle Gier nach Macht und Geld: Das ist eine verhängnisvolle Mixtur, auf deren Grundlage Pogrome und Hexenjagden gedeihen können.

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Genau um diese üble Mischung ging es beim dritten und letzten Beitrag der Vortragstrilogie des Historikers Dr. Walter Rummel im Evangelischen Gemeindezentrum. Im Mittelpunkt standen dabei nicht nur Winningen, sondern auch Cochem und Kastellaun.

Die Organisatoren im Winninger Ausschuss Kirche und Kultur, der für die Reihe verantwortlich zeichnete, konnten sich erneut über ein steigendes Publikumsinteresse freuen. Dennoch ist die Reihe vorerst abgeschlossen. „Wir müssten sonst anbauen”, freute sich Frank Hoffbauer, Mitglied des Gremiums, über das große Interesse an einem Thema, das aktueller nicht sein könnte.

Nachdem Walter Rummel in seinen beiden vorangegangenen Vorträgen vor allem internationale, nationale und regionale Entwicklungen analysiert hatte, ging es nun um lokale Verflechtungen im späten 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Der Historiker hat selbst zahlreiche Quellen ausgewertet, die nicht nur den Opportunismus der Akteure, sondern auch die Ohnmacht der Obrigkeit widerspiegelte.

Dass die Verhältnisse kompliziert waren, zeigt schon allein der Blick auf die grundherrschaftlichen Verhältnisse: Während Kastellaun pfalzgräflich war, hatte Cochem den Status einer kurtrierischen Landstadt. Anders Winningen. Das ursprüngliche Krongut war zunächst pfalzgräflich, ging dann aber an die Sponheimer, die 1557 die lutherischen Lehren einführten. Das Dorf war fortan ein protestantischer Flecken in einem katholischen Gebiet. Daran änderte sich auch nichts, als die Markgrafen von Baden übernahmen.

Walter Rummel arbeitete heraus, dass das gesellschaftliche Klima in einer äußerst schwierigen Zeit sehr rau war. Beleidigungen und üble Nachrede waren an der Tagesordnung, in den Wirtshäusern gab es folgenreiche Schlägereien. Unabhängig vom konfessionellen Hintergrund war damit der Boden für Schlimmeres bereitet. Es kommt nicht von ungefähr, dass ein Winninger Pfarrer über Hartherzigkeit der Menschen klagte. Dazu kam vielerorts ein ständig schwelender Generationenkonflikt.

„Die jungen Männer hatten nichts zu sagen, auch dann nicht, wenn sie geheiratet hatten“, betonte Walter Rummel. Die Folge: Aufbegehren und die Bereitschaft, Tabus zu brechen, um weiter nach vorn zu kommen. Und so richteten sich ihre Intrigen sehr gegen die örtlichen Honoratioren und ihre Ehefrauen, um sie anzuklagen und wenigstens gesellschaftlich zu ruinieren. Winninger Quellen zeigen, dass selbst die eigene Familie nicht verschont wurde. Anlass der Prozesse war also nie der Vorwurf der Zauberei – sie war bestenfalls ein Vorwand. Dabei mussten die Ankläger eigentlich auf der Hut sein: Die in der Regierungszeit des Kaisers Karl V. im Jahr 1832 erlassene „Constitutio Criminalis Carolina“ enthielt sehr wohl Bestimmungen zum Schutz der Angeklagten.

Rummel stellte fest: Dieses erste allgemeine deutsche Strafgesetzbuch war im Grunde genommen recht modern. Ankläger mussten sogar eine Bürgschaft hinterlegen oder sich zumindest für die Dauer des Verfahrens selbst in Haft nehmen lassen. In der Praxis funktionierte das aber nicht, weil die Repräsentanten der Obrigkeit am Ort zu schwach waren oder sogar mit dem wütenden Mob gemeinsame Sache machten. Dazu kam, dass oft mit dem Beifall von Repräsentanten der Kirche Machwerke im Umlauf waren, die, so Rummel, „die Superverbrechen“ an den Angeklagten ideologisch begründeten.

Der Historiker zeigte seinen Zuhörern ein Flugblatt von 1594, das einen Hexentanzplatz bei Trier mit der ganzen Palette einer gigantischen Verschwörungstheorie zeigt – Hexentanz und Ausschweifungen inklusive. Und diese Theorie kommt durchaus aus dem Denken der Kirche mit dem Ziel, „Ketzer“ zu bekämpfen. Belastende Aussagen kamen aber letztendlich meistens aus dem sozialen Umfeld der Beschuldigten. „Ohne die Nachbarn hätte es Hexenprozesse nie gegeben“, stellte Walter Rummel fest. Er verwies auch auf Trittbrettfahrer und eine „ungeheure soziale Dynamik“.

Dass die Situation schließlich auch an der Unter- und Mittelmosel eskalierte, lag auch an Kälte- und Frostphänomenen, die Spezialkulturen wie Weinbaugebiete besonders hart getroffen hatten. Da half es auch wenig, dass die Obrigkeit mäßigend einschreiten wollte, wie eine Verordnung des Kurfürsten Johann VII. zur Kontrolle der Verfolger von 1591 zeigt. Chronisten bemerkten später, dass das Lechzen nach Beute groß war und Notare, Schreiber sowie Gastwirte reich wurden. Der Theologe Cornelius Loos sprach 1592 von einer Alchemie, die aus Blut Gold mache.

Der Aufruhr von verarmten Handwerkern und Bauern ließ 1594 das Pulverfass in Cochem und Klotten explodieren. Räte wurden abgesetzt, Ausschüsse gebildet und selbst ernannte Prokuratoren wüteten, zunächst Conrad Pomerius, der dann selbst verbrannt und vom skrupellosen Andreas Gillenfeld abgelöst wurde. Stadtvogt Johann Bolen erwies sich als Trittbrettfahrer, Amtmann Emmerich von Eltz blieb tatenlos. In Winningen ließ Prokurator Christoph Koch die Situation 1631 eskalieren: Als Erste wurde die Schöffenfrau Maria Knebel hingerichtet. Bis 1659 sollte es 24 Anklagen und Hinrichtungen geben, wobei die meisten Opfer aus der Oberschicht stammten.

Mit dem „Koblenzer Skandal“ war schließlich das Maß voll. Ein Notar hatte willkürlich Listen mit „Schuldigen“ erstellt – und wurde dafür hingerichtet. Der Trierer Kurfürst Karl Kaspar von der Leyen bereitete den Exzessen im Erzstift schließlich 1652 ein Ende.

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