Die Freien Wähler in Rheinland-Pfalz sind selbstbewusst – und das aus gutem Grund. Sie sind von der Basis aus groß geworden und genießen durch sachorientierte politische Arbeit vor allem im nördlichen Rheinland-Pfalz einen sehr passablen Ruf. Da hat es eine Logik, wenn sie bei immer mehr Wahlkämpfen eigene Kandidaten aufstellen – und jetzt auch bei der Wahl des neuen Landrates im Kreis Mayen-Koblenz einen der Ihren ins Rennen schicken.
Seit Freitagabend steht fest, dass es Christian Altmaier sein wird. Er wurde bei einem Kreisparteitag der Freien Wähler MYK einstimmig nominiert. Einstimmig bedeutet in dem Fall: 16 Stimmberechtigte. Nur. Aber wird das später noch jemanden interessieren? Interessieren wird vielmehr, wie sich die nun insgesamt drei Kandidaten voneinander unterscheiden werden, welche Akzente sie setzen und wie viel Bürgerkontakt sie herstellen können. Immerhin handelt es sich bei Mayen-Koblenz um den bevölkerungsreichsten Kreis in Rheinland-Pfalz mit 218.200 Einwohnern – und da ist Koblenz als kreisfreie Stadt mit 115.268 Einwohnern noch nicht eingerechnet.
Unvergessen ist sein Auftritt mit der Rücktrittsforderung an Beck
Christian Altmaier ist vor allem in Koblenz eine Hausnummer. Stephan Wefelscheid, Landeschef der Freien Wähler, nennt ihn gerne „Koblenzer Politschwergewicht“. Was Wefelscheid dabei geflissentlich weglässt, ist die Tatsache, dass der 45-jährige Altmaier ein „Politschwergewicht“ als SPD-Mitglied war. Unvergessen, vor allem in den Reihen der Genossen, bleibt sein Auftritt beim Landesparteitag der SPD im Mai 2011. Der damalige Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) wollte das Oberlandesgericht Koblenz auflösen, um damit einen ihm nicht genehmen Gerichtspräsidenten zu verhindern. Die Region stand Kopf, auch Genossen protestierten öffentlich, doch nur einer forderte Becks Rücktritt vor großem Publikum: Christian Altmaier, damals 33 Jahre alt.
Die SPD empfand das als Tabubruch, viele Genossen distanzierten sich von dem jungen Polittalent. „In dieser Form“, sagte David Langner, der heute Oberbürgermeister von Koblenz ist, „hat Altmaier keine Zukunft in der Koblenzer SPD“. Anna Köbberling, heute SPD-Landtagsabgeordnete, merkte süffisant an: „Hauptsache, die Medien interessieren sich für ihn, denn das ist Altmaiers Lebenselixier.“ Trotz des kurzen Medienhypes: Altmaiers politische Karriere in der SPD war damit quasi zu Ende. Solche Alleingänge beenden sämtliche Ambitionen meist schlagartig.
Bis 2018 blieb Altmaier noch in der SPD, dann trat er aus und 2019 bei den Freien Wählern ein. „Sie sind ideologiefrei“, sagte er unserer Zeitung, „das Ideologische hat mich bei der SPD lange gequält.“ Inzwischen ist Altmaier Fraktionsgeschäftsführer der Freien Wähler im Landtag und nebenberuflich weiter für die Versicherungsgruppe Debeka im Außendienst tätig.
Die Freien Wähler können auf respektable Wahlerfolge blicken. Nach zwei vergeblichen Versuchen 2011 und 2016 gelingt ihnen 2021 mit 5,4 Prozent der Einzug in den rheinland-pfälzischen Landtag. Auch bei Direktwahlen schneiden sie gut ab.
Kathrin Laymann (FWG) ist seit Juli 2022 Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Rhein-Mosel und setzte sich gegen den CDU-Kandidaten durch. In Andernach beendete Christian Greiner von der Freien Wählergruppe eine fast drei Jahrzehnte dauernde SPD-Dominanz und ist seit einem Jahr Oberbürgermeister der größten Stadt im Kreis MYK.
Von ihrem Selbstverständnis her sind die Freien Wähler bürgerlich-konservativ – und deshalb politischer Zufluchtsort für jene, denen SPD zu links und die CDU zu liberal geworden ist.
Was heißt das jetzt für den Landratswahlkampf im Kreis Mayen-Koblenz? Die CDU geht bekanntlich mit Pascal Badziong, Jahrgang 1988, ins Rennen – er wird unterstützt von den Grünen und der FDP. Badziong ist seit Juni 2022 hauptamtlicher Erster Kreisbeigeordneter und vertritt bereits bei vielen Terminen den noch amtierenden Landrat Alexander Saftig (CDU). Das ist praktisch für ihn: So kann er quasi nebenbei Wahlkampf machen und signalisieren, dass er das Amt als Repräsentant beherrscht.
Alle drei Kandidaten sind vomTypus her völlig unterschiedlich
Die SPD will mit Marko Boos die scheinbar zementierte CDU-Dominanz im Landratsamt brechen. Boos, Jahrgang 1975, ist Direktor und Geschäftsführer des Jugendhilfezentrums Bernardshof in Mayen. Seit 2007 ist er in der SPD, war politisch bisher aber nur auf Gemeinde- und Verbandsgemeindeebene aktiv. Die größte Herausforderung dürfte sein, kreisweit seine Bekanntheit zu steigern.
Spannend ist: Alle drei Kandidaten sind vom Typus her völlig unterschiedlich. Pascal Badziong ist so etwas wie der Philipp Amthor vom Rhein. Jung, ehrgeizig, politisch gewieft, aber schablonenhaft im Auftreten.
Der Landratswahlkampf in Mayen-Koblenz wird um eine Personalie reicher: Die Freien Wähler Mayen-Koblenz haben einstimmig Christian Altmaier als Kandidaten nominiert. Außer dem 45-Jährigen bewerben sich Pascal Badziong (CDU) und Marko Boos (SPD) um die Nachfolge von Amtsinhaber Alexander Saftig ...Freie Wähler MYK nominieren Landratskandidaten: Christian Altmaier will's jetzt wissen
Marko Boos ist der Saloppe, der mit jedem quatscht, der keine Berührungsängste hat, aber dem andere politisch vielleicht mehr zutrauen als er sich selbst und der sich das große Feld der Kreispolitik erst noch erarbeiten muss.
Christian Altmaier ist der wiederauferstandene Sonnyboy, der von der SPD verschmähte Rebell, der von den Freien Wählern jetzt die große Chance auf Amt und Würden bekommt. Der 45-Jährige ist ein politisches Talent, keine Frage, ihm darf bloß seine Neigung zur Selbstüberschätzung nicht in die Quere kommen.
Sollte keiner der drei Kandidaten bei der Wahl am 9. Juni eine absolute Mehrheit erhalten, geht es in die Stichwahl am 23. Juni – was wahrscheinlich sein dürfte.