Das Netzwerkertreffen für Einzelhändler wurde diesmal wegen Corona aus einem Fernsehstudio auf Youtube ausgestrahlt. In den Vorjahren bildete das feierliche Ambiente der Festung Ehrenbreitstein die Kulisse. Heinemanns Impulsvortrag und die Diskussion, zu der IHK-Vizepräsidentin Hildegard Kaefer und Frederik Wenz, Citymanager und Geschäftsführer von Koblenz-Stadtmarketing, stießen, hatten in der Spitze knapp 80 Zuschauer.
Die großen Fragen, die die Branche schon länger und seit Corona noch stärker beschäftigen, wurden auch an diesem Abend nicht vollends geklärt. Aber es gab Ansätze, wie sich Einzelhändler künftig am geänderten Einkaufsverhalten der Kunden ausrichten sollten, welche weiteren Herausforderungen es gibt und welche Rolle die Digitalisierung spielt. Über all dem schwebt eine erschreckende Zahl: In der Einzelhandelsbranche geht man deutschlandweit noch in diesem Herbst von 50.000 Geschäftsaufgaben aus.
Bei einem zweiten Lockdown wären es 200.000 Insolvenzen, die Hälfte aller Geschäfte in Deutschland, wie Heinemann sagte. Betroffen wären vor allem kleinere Einzelhändler. Erschwerend kommt laut Heinemann hinzu: „Nach den Corona-Lockerungen lag die Kundenfrequenz selbst Mitte August und trotz Urlaubszeit noch 20 Prozent unter dem Vorjahresniveau.“
Daraus schließt der Wirtschaftswissenschaftler: „Viele Kunden sind immer noch verunsichert und igeln sich zu Hause ein.“ Davon wiederum profitierten die großen Onlinekonzerne und auch meist größere Einzelhändler, die über gut sortierte Internetseiten verfügen. So legte der Onlinehandel zwischen März und Mai um 20 Prozent zu. Der stationäre Handel indes verlor 10 Prozent. Die Textil- und Bekleidungsbranche machte gar 28 Prozent Verlust.
Dennoch warnt Heinemann: „Einzelhändler, die bislang keine Internetseite haben, sollten jetzt bloß keinen Kaltstart hinlegen. Das kann nur schiefgehen.“ Derzeit sollten sie ihre Nerven und Kapazitäten für andere Aufgaben bereithalten: auf Liquidität achten, Kosten einsparen, Ladenlokal neu aufstellen, mit Lieferanten neu verhandeln („Dafür ist jetzt die beste Zeit“).
Und: Wenn Einzelhändler noch keine eigene Homepage haben, sollten sie lieber einen Auftritt auf der Social-Media-Plattform Instagram aufbauen, das gehe einfacher, schneller und sei aufgrund der enormen Reichweite effizienter. Dazu könnten sie ihre Produkte auch über Onlinemarktplätze wie Ebay, Amazon und Co. vertreiben.
Einzelhändlern empfiehlt er auch, auf die „traumatisierten Kunden zuzugehen“. Etwa, indem ein Mitarbeiter vor dem Geschäft Kunden anspricht beziehungsweise die Waren herausbringt. Zudem sollten Einzelhändler untereinander (stärker) kooperieren, etwa gemeinsame Lieferketten aufbauen.
Alles Aspekte, die auch IHK-Vizechefin Hildegard Kaefer unterstützt. Nur einen Tag nach dem Lockdown sei sie mit ihrem bekannten Porzellanhaus in Sohren (Hunsrück) auf Instagram gewesen. Sie als Chefin sei vorangegangen, sonst funktioniere es nicht. Für sie ist klar: „Wir müssen den Kunden jetzt noch mehr Wertschätzung entgegenbringen, um sie an uns Fachhändler zu binden.“ Ihre durch Corona neu aufgestellte Prioritätenliste: Begegnung mit den Menschen, die Ware, der Preis.
Dem stimmte der Koblenzer Citymanager Frederik Wenz zu. Er ergänzte: „Einzelhändler sollten schauen, welche Art Onlinepräsenz für sie sinnvoll ist. Der Google-Maps-Eintrag mit den Öffnungszeiten kann ein guter Anfang sein.“ Kunden wollten sich digital vorbereiten und auch wissen, ob die Ware verfügbar sei.
Für Kaefer, Heinemann und Wenz ist klar: Die Innenstädte müssen neu geordnet werden. Kunden wollten nicht nur shoppen, sondern einen Erlebnismix aus Gastronomie, Unterhaltung, Kultur und Handel. Kaefer ist überzeugt: „Dann kommen sie auch mit drei Einkaufstüten nach Hause, obwohl sie es vielleicht nicht vorhatten.“
Dabei spielt auch das Auto eine gewisse Rolle. Gerrit Heinemann sagt: „Es wäre fatal für den Einzelhandel in den Innenstädten, wenn man die Autos mehr oder weniger komplett verbannt, den ÖPNV aber nicht viel besser aufstellt.“ Für Familien sei das nicht bezahlbar, damit würden eher Shoppingcenter auf der grünen Wiese unterstützt, die ausreichend Parkraum haben. Wenz sagte: „Man sollte Autos in Innenstädten nicht verteufeln. Es geht eher darum, gut gelegene Parkhäuser zu haben, damit der Verkehr nicht verstopft wird.“
Bei allen Ängsten und Sorgen, die viele Einzelhändler derzeit umtreiben, ist sich Hildegard Kaefer sicher: „Spätestens in fünf Jahren werden wir sagen, dass uns Corona wachgerüttelt hat und wir deshalb die Ärmel erfolgreich hochgekrempelt haben.“ Wenn sie da mal recht behält.