Der einzige Ausweg scheint nur das Drucken von Geld zu sein, von Geld, das natürlich immer weniger wert ist. Die Inflation galoppiert. Waren werden nicht mehr mit Scheinen, sondern mit Geldbündeln bezahlt, Geld wird nicht mehr im Portemonnaie, sondern in Schubkarren transportiert.
Die Entwicklung trifft auch die Bewohner eines Mietshauses in Koblenz, kleine Leute, Dienstboten, Arbeiter, Künstler, auch Beamte. Die Situation wird hier wie in anderen Städten des Rheinlands noch verschärft durch die politische Lage, die Unsicherheit über die Zukunft des Rheinlandes. Separatistische Gruppen kämpfen für die endgültige Abspaltung von Preußen und suchen das Heil in der von den französischen Besatzungsmächten unterstützten Selbstständigkeit. Am 23. Oktober 1923 rufen die Separatisten, flankiert von Aktionen des sogenannten Rheinlandschutzes unter anderem in Koblenz, Mainz und Speyer die Rheinische Republik aus. Koblenz soll deren Hauptstadt und Regierungssitz sein.
Erstmals seit 2007 zu sehen
Genau 100 Jahre sind seitdem vergangen, Anlass für Axel Hinz und sein Schauspiel im Denkmal, das 2007 erstmals aufgeführte Stück „Mietshaus 1923“ wieder im Fort Konstantin auf die Bühne zu bringen. Neben dem Jubiläum motivierten Hinz, der ausführlich in Archiven und alten Zeitungsausgaben über die Zeit recherchierte, auch andere Gründe zur Wiederaufnahme des Projekts, „etwa die irritierende Aktualität in Bezug auf dem Russland/Ukraine-Krieg und die Erinnerung an eine, leider nicht mehr so präsente, aber ungemein wichtige, dramatische Zeit im Rheinland“. Dabei geht es Hinz aber nicht allein darum, die Krisen, die Dramatik der Ereignisse des Jahres 1923 darzustellen. Die rückten ohnehin, wie er meint, in der medialen Berichterstattung über die Weimarer Republik oft zu sehr in den Vordergrund.
Gerade die sogenannten kleinen Leute, eben die Bewohner des Mietshauses, hätten das Ende des Kaiserreichs auch als eine Art Befreiung empfunden und zumindest in den ersten Monaten recht gut mit der Inflation umgehen können. „Aber natürlich provozierte die Entwicklung auch eine trügerische Haltung à la ‚Es wird schon alles wieder gut gehen‘, bis dann im Oktober die Versorgung zusammenbrach und die Situation wirklich dramatisch wurde und die Gewalt eskalierte.“
Das gesamt Geschehen läuft innerhalb von vier Monaten ab, von August bis November 1923. Jeder der vier Akte des Stücks spielt an einem Tag dieser Monate. Am Anfang stehen die noch weithin eher wenig beachteten Anzeichen der Krise bis zu deren Zuspitzung, der Erstürmung der Rathäuser durch die Separatisten und der immer schwierigeren Versorgungslage im Oktober und schließlich der Konsolidierung mit der Einführung der Rentenmark im November. Dabei habe, erklärt Hinz, von vornherein für ihn festgestanden, dass der Fokus seines Stückes auf den kleinen Leuten liegen müsse, „weil das ja etwas ist, was Theater kann, nämlich über Figuren eine andere Zeit verstehbar und mitfühlbar lebendig werden zu lassen“. Eher zeitlos sei ein anderer wichtiger Aspekt: wie sich Menschen in Krisenzeiten verhalten; ob sie sich radikalisieren, aggressiver und auch moralisch instabiler, „verrückter“ würden.
Spiegel der Gesellschaft
Eben darüber reflektiert die nach fünf Jahren als Dienstmädchen in Belgien ins Mietshaus zurückgekehrte Hanna, eine der Hauptfiguren. Sie beobachtet die fehlende Aufarbeitung des Krieges, die wachsende Aggressivität und fasst ihre Eindrücke zusammen in dem Satz: „Das Land ist verrückt, und es wird noch viel schlimmer.“ Die übrigen Bewohner des Mietshauses sind ein perfekter Spiegel der Gesellschaft der Zeit, etwa die reaktionäre und kaisertreue Mutter Hannas, die nicht von ungefähr Viktoria König heißt, die Arbeiterfamilie Stürmer, in der Vater Josef seine Kriegserlebnisse noch immer nicht bewältigt hat, der aus Preußen zugezogene Beamte, der Separatist namens Hans Adam Appel und der verbrecherische lokale Separatistenführer Wielspütz. Dazu kommen junge Menschen, die eigentlich nur leben und Spaß haben wollen, eine selbstständige Prostituierte, die sich heimlich vom Beamten die Steuer machen lässt und ein noch im Kaiserreich verhafteter Polizist, der im Verlauf des Stückes mit seinem ehrhaft-würdigen Selbstverständnis unter die Räder kommt.
Insgesamt stehen 14 Schauspieler auf der Bühne, darunter drei junge Männer mit türkischem Migrationshintergrund, die, so Hinz, „unglaublich engagiert und mit viel Spielfreude ‚urdeutsche Rollen‘ verkörpern“. Premiere des „Mietshauses 1923“ im Fort Konstantin ist am Freitag, 28. Juli, 19.30 Uhr.
Weitere Termine gibt es unter www.schauspiel-im-denkmal.de