Komisch und traurig: "Vincent will Meer" im Theater am Ehrenbreitstein
Theater am Ehrenbreitstein in Koblenz: Flucht aus Klinik gleicht Roadmovie
Ein ungleiches Trio auf dem Weg in den Süden (von links): Vincent (Yanic Hippler), Marie (Annika Woyda) und Alexander (Artur Tissen). Foto: Alexander Thieme-Garmann
Alexander Thieme-Garmann

Das Tourettesyndrom, eine angeborene Erkrankung des Nervensystems, zeichnet sich dadurch aus, dass der daran Leidende von plötzlichen Zuckungen erfasst wird. Dabei können die sogenannten Tics mitunter auch von obszönen Ausdrücken begleitet werden. In seiner aktuellen Produktion, die eine offizielle Veranstaltung des diesjährigen Kultursommers Rheinland-Pfalz ist, widmet sich das Theater am Ehrenbreitstein dieser seltenen Störung.

Lesezeit 3 Minuten

Im Stück „Vincent will Meer“ von Florian David Fitz ist der Hauptprotagonist vom Tourettesyndrom betroffen. Als seine Mutter, die einzige Bezugsperson in seinem Leben, stirbt, bringt Vincents Vater Robert ihn in eine psychiatrische Klinik. Hier wird er von der Therapeutin Dr. Rose betreut, die ihn mit zwei der Anstaltsinsassen bekannt macht. Da ist zum einen Alexander, der an einer Zwangsneurose leidet, zum anderen die magersüchtige Marie. Die genannten Charaktere sind auch die Hauptpersonen des Stücks.

Bei einer spontanen Aktion entkommen die drei Klinikgäste mit dem Auto der Ärztin ihrem ungeliebten Domizil. Ab hier nimmt das Stück den Charakter eines Roadmovies an, an dem zwei Wagen beteiligt sind. So wird das ungleiche Patiententrio bald darauf von Dr. Rose und Vincents Vater verfolgt. Derweil plant der Sohn, die Asche seiner Mutter ans Meer zu bringen. An dem betreffenden Ort an der italienischen Adriaküste hatte sie mit Robert einst glücklichere Tage erlebt.

Komisch, aber keine Komödie

Aufgrund der nahezu ständigen Präsenz des Quintetts gerät die kleine Spielfläche in der Mikrowerkstatt fast an die Grenzen des Umsetzbaren. Während ihrer Fahrt in den Süden bleibt es nicht aus, dass die ungleichen Insassen im Wagen der Verfolgten auch komische Momente erleben. Dazu zählen ein total chaotischer Tankstellenstopp und der Halt an einer Imbissbude.

Trotz dieser spaßigen Sequenzen ist das Stück alles andere als eine Komödie. Vieles dreht sich um den Begriff der Einsamkeit, denn im Grunde sind alle fünf Protagonisten anfangs im Zustand des Alleinseins. Indessen verfügt jeder von ihnen über ein Ventil, das seine Situation erträglicher erscheinen lässt. Während Marie gelegentlich einen Joint konsumiert, praktiziert Dr. Rose das Kettenrauchen. Alexander hört Bachs Goldbergvariationen in Dauerschleife, Robert hingegen versucht seine Einsamkeit in der Rolle des überehrgeizigen Kommunalpolitikers rigoros zu verdrängen. Vincent schließlich lässt seinen Aggressionen öfter freien Lauf, was Alexander mehrmals am eigenen Körper zu spüren bekommt.

Theaterdebüt in Rolle eines Tourette-Kranken

Für Schauspieler Yanic Hippler, der den Vincent verkörpert, bedeutet diese schwierige Rolle sein Theaterdebüt. Verstörend realistisch spielt er die Anfälle, die keineswegs darauf angelegt sind, für Lacher im Publikum zu sorgen. Dank Vincents Matrosenhemd gelingt es Regisseur und Requisiteur Gabriel Diaz, dessen Traum vom Meer präsent zu halten.

Schauspielerin Annika Woyda schlüpft in die Rolle der anorektischen Marie. Ihre Erscheinung sorgt für die traurigsten Momente, betreibt sie doch mit ihrer konsequenten Verweigerung, etwas zu essen, einen Selbstmord auf Raten. Allein die sich allmählich entwickelnde Liebe zu Vincent lässt die Hoffnung aufkeimen, dass sie eines Tages mehr Nahrung zu sich nimmt als ihre obligatorische Cola light.

Eine wahre Traumrolle hat Artur Tissen ergattert, der den Alexander mit viel Humor spielt. Sein zwanghaftes Bestreben nach Ordnung und Sauberkeit beschert dem Publikum heitere Momente ebenso seine sarkastischen Bemerkungen über Maries Magersucht. Für solche Augenblicke kann Michael Hafner in der Rolle des Robert kaum sorgen.

Rolle der Ärztin möglicherweise schwierigste

Als von Egoismus geleiteter Vater macht er Vincent ein ums andere Mal Vorwürfe wegen seiner Krankheit. Wenn daraufhin das Publikum Roberts Herzlosigkeit auf den Schauspieler projiziert, hat dieser fürwahr in seiner Rolle überzeugt. Johanna Münch als Dr. Rose hat möglicherweise die schwierigste Rolle. Ihr Charakter ist vielschichtig angelegt, schwankt von der falschen Annahme, als Therapeutin gescheitert zu sein, bis hin zur ehrlichen Sorge um ihre Patienten. Im ständigen Streit mit Robert zeigt sie mit feiner Ironie den rhetorischen Mitteln des Politikers die Grenzen auf.

„Vincent will Meer“ ist eine anrührende Dramödie, die den Zuschauer dank der einfühlsamen Personenregie von Gabriel Diaz in ein Wechselbad der Gefühle eintauchen lässt. Im Jahr 2010 wurde das Stück mit Florian David Fitz in der Hauptrolle erfolgreich verfilmt.

Weitere Termine von “Vincent will Meer"

Nächster Aufführungstermin am 21.6. um 19.30 Uhr. Weitere Termine gibt's nach der Sommerpause ab Ende September, Karten gibt es hier

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