Familie Salaho hat in Winningen ein syrisches Restaurant eröffnet - Auf der Karte finden sich hausgemachte Erinnerungen an ihre alte Heimat
Syrische Familie hat in Winningen ein Restaurant eröffnet: Hausgemachte Erinnerungen an alte Heimat
Die Familie Salaho hat vor drei Monaten ein syrisches Restaurant in Winningen aufgemacht (von links): Gharam, Taim, Vater Mohammed Faisal, Mutter Raoaa, Abdulla, Maram und Mouhi, Fotos: Stefanie Braun
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Winningen ist bekannt als Weinort, und entsprechend geprägt von zahlreichen Weinstuben und -restaurants oder Gutsschänken, die Tradition und Heimatverbundenheit ausstrahlen. Ähnlich ist es im neuen Restaurant Syriena, das seit drei Monaten in der Fährstraße eröffnet hat – nur dass die Heimat eine andere ist.

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Die Familie Salaho hat vor drei Monaten ein syrisches Restaurant in Winningen aufgemacht (von links): Gharam, Taim, Vater Mohammed Faisal, Mutter Raoaa, Abdulla, Maram und Mouhi, Fotos: Stefanie Braun
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Mohammed Faisal Salaho spricht leise. Der 44-Jährige sitzt mit seiner Frau Raoaa (42) und seinen fünf Kindern an einem Tisch in seinem Restaurant. Seit dem 1. Dezember serviert er hier Gerichte aus seiner Heimat Syrien. Der Dezember lief sehr gut, sagt er, seit Anfang des Jahres ist es aber ruhiger geworden. Die Nachbarn haben ihn schon beruhigt: Ist normal, die Saison fängt ja erst im März an. Er hofft auf mehr Gäste, denen er seine Speisen servieren kann.

Ein Blick in die Karte: Fremd anmutende Gerichte, mit teils bekannten, teils unbekannten Zutaten, darunter die arabische Übersetzung. Syrisches Essen, das ist Fleisch, Gemüse, Couscous, Falafel, Reis, aber auch Pommes, den Schärfegrad richtet Salaho nach Kundenwunsch ein. Und natürlich auch syrische Süßigkeiten. Wenn deutsche Gäste kommen, wollen sie oft etwas „typisch Syrisches“, erzählt Sohn Mouhi (21). Meistens empfiehlt er das Tagesgericht: „Ein Gast meinte dann, er will immer dieses Essen, wenn er herkommt.“ Er habe lange gesucht, ehe er den passenden Raum gefunden hatte, sagt Vater Salaho. Groß sollte er sein, wie Restaurants in Syrien eben sind. Die sind oft auf mehrere Dutzend Gäste ausgelegt, nicht auf die heimelige, deutsche Gemütlichkeit.

2017 hatte Salaho sein erstes Geschäft aufgemacht und einen Cateringvertrag mit der Deutschen Bahn abgeschlossen, Sohn Mouhi führt den Betrieb heute weiter. Mit Servicewagen zieht die Familie durch Züge, die zwischen Koblenz, Luxemburg und Mannheim fahren, verkauft Kaffee, Getränke und Süßigkeiten. Doch das reichte nicht. Deswegen das Restaurant, um besser für seine Familie sorgen zu können. Vor zwei Monaten kam dann noch ein Paketdienstvertrag mit Amazon hinzu. „Ich muss viel versuchen und schauen, was läuft“, sagt Salaho.

In Syrien war er Lkw-Händler, hat alte Fahrzeuge aus Deutschland, Frankreich und anderen Ländern aufgekauft, flott gemacht und in Syrien weiterverkauft. Warum er alles aufgegeben hat, lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Krieg.

Die Familie wurde verfolgt, der Vater für eine Woche inhaftiert, berichtet Salaho. Nachdem er sich freigekauft habe und zu seiner Familie zurückkam, musste er erst mal ins Krankenhaus. Salaho berichtet von Schlägen. Wenn der 44-Jährige erzählt, ist seine Familie still, die Mutter steht vom Tisch auf und zieht sich für eine Weile hinter die Theke zurück. Die Familie zieht damals in eine andere Wohnung, doch wenig später werden die Kinder wieder von einem Auto verfolgt, erinnert sich Mouhi. Das reicht, sagt sein Vater. Übers Meer geht’s in die Türkei und weiter. Seit vier Jahren und vier Monaten sind die Salahos nun in Deutschland. Als sie im Dezember nach Ochtendung ziehen, leuchtet schon alles vor Weihnachtsdekoration.

Die Nachbarn haben sofort gemerkt, dass wir da sind, erinnert sich Tochter Abdulla (14). Als Mohammed nach der ersten Nacht die Haustür öffnet, liegt etwas davor. Pakete mit allem Möglichen, was man so brauchen könnte. Einer der Nachbarn, erinnert sich Sohn Gharam (15), brachte an einem Tag einen Eimer mit Mandarinen und Schokolade vorbei: „War wohl Nikolaustag“, vermutet der 15-Jährige. Die Nachbarn hätten sie nie spüren lassen, dass sie aus einem anderen Land kommen, haben Weihnachten und Ostern mit ihnen gefeiert, erzählt er. Das muss ein Traum sein, denkt sich Mohammed, alle sind so nett.

In der ersten Zeit habe man sich auf Englisch unterhalten, erinnert sich Gharam. Die Kinder hatten in Syrien Sprachkurse besucht, im festen Glauben, dass in Deutschland Englisch gesprochen wird, gesteht Tochter Maram (22). Die Nachbarn haben den Kindern dann Schulen gesucht, den Eltern Deutschkurse vermittelt.

In der Schule haben sie viele andere syrische Kinder getroffen, sagt Gharam. Das erste halbe Jahr hat er in ihnen viele Freunde gefunden: „Aber dann habe ich gemerkt, dass ich die Sprache gar nicht richtig lerne.“ Er verbringt mehr Zeit mit deutschen Kindern, syrische Freunde hat er heute keine mehr. Typisch deutsch treten er und sein kleiner Bruder Taim (9) dem Fußballverein bei.

In dem Gebäude in der Fährstraße waren schon mehrere Gatronomiebetriebe verortet.
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Typisch deutsch und typisch für die Region ist die fünfte Jahreszeit, die vor Kurzem zu Ende gegangen ist. Gerade im ersten Jahr war Karneval ein besonderes Erlebnis für die Familie: „Unser Nachbar hat gemeint, wir sollen vorbeikommen und Tüten mitbringen“, erinnert sich Gharam. Damals konnten sie sich keinen Reim darauf machen, standen mit den leeren Tüten und den Nachbarn in der Kälte am Straßenrand: „Und auf einmal kommt da so ein Zug und die Leute werfen Süßigkeiten runter. Wir wussten gar nicht, dass es so was gibt.“ Taim und sein ältester Bruder Mouhi haben sich damals Eisbärenkostüme gekauft, das hat der Neunjährige heute noch.

Neue Traditionen in Deutschland sind das eine, aber da gibt's ja auch die Verbindung zur alten Heimat. Jeden Samstag tritt ein syrischer Sänger im Restaurant auf. Die Musik, zusammen mit dem Essen und den Gerüchen sind für manchen ein exotisches Erlebnis, für andere ein Stück Heimat zum Hören, Riechen und Schmecken. Seit ihrer Flucht ist die Familie nicht mehr in Syrien gewesen, gerade für die Eltern sei das schwer, wissen die Kinder. Heimat sei eben Familie, sagt Gharam, inklusive Onkeln, Tanten, Großeltern. Die Familie vergrößert sich, aber man kennt niemanden, bedauert Abdulla. Wir telefonieren, sagt Taim. Auch wenn das gerade kriegsbedingt nicht möglich sei, weiß Mouhi. Die beiden älteren Geschwister Mouhi und Maram schwelgen oft in Erinnerungen, die jüngeren kaum. „Sie waren ja noch klein, als wir weggegangen sind“, sagt Mouhi. Damals hatte Maram gerade ein Studium begonnen. Zurückzugehen kann sich keines der Kinder vorstellen. „Ich kann fast kein Arabisch schreiben“, sagt Abdulla. Bei Wörtern, die nicht alltäglich sind, müsse er oft überlegen, gibt Gharam zu. „Das ist manchmal peinlich“, sagt der 15-Jährige lachend. „Es ist wie, wenn man neu in Deutschland ist und nur ein bisschen Deutsch kann.“

Aber wenn eine Hochzeit gefeiert wird in ihrem Restaurant und die Salahos einfach mitfeiern, dann ist da auf einmal was. Es sei nicht direkt Heimweh, sagt Gharam, aber ein Gefühl, das hochkommt in einem, über das, was man schon alles erlebt hat. Auch für ihre syrischen Gäste: „Sie sagen, sie hätten das letzte Mal so gut in Syrien gegessen“, berichtet er stolz. Kochen hat er von seiner Mutter gelernt, sagt Mohammed, und natürlich von seiner Frau. Die hatte auch die Idee für ein Restaurant. Sie hatte für Nachbarn gekocht, für Feiern und alle meinten, es schmeckt gut, und warum sie kein Restaurant aufmacht, sagt Raoaa. Kochen ist ihr Gebiet. Aber der Vater macht die besten Süßigkeiten, bestätigen die Kinder. Gefüllte Weinblätter sind übrigens das Familien-Lieblingsessen – und da sitzen die Salahos in Winningen ja quasi an der Quelle.

Von unserer Redakteurin Stefanie Braun

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