Berufsbildende Julius-Wegeler-Schule hat landesweiten Vorbildcharakter, sie holt sich Coaches und Workshops ins Haus
Stressbewältigung an der BBS Julius-Wegeler: Coaches und Workshops haben Vorbildcharakter
„Was hast du in der vergangenen Woche über dich gelernt, und was sagt dir dein Bauchgefühl?“ Fragen wie diesen gehen die Schüler der beruflichen Oberstufe an diesem Morgen nach. Thema: „Selbstreflexion.“
Katrin Steinert

Das, was in Koblenz an der berufsbildenden Julius-Wegeler-Schule passiert, dürfte für viele interessant sein: Das rund 200-köpfige Kollegium hat sich der sogenannten Resilienzförderung verschrieben, sprich: Es will alle 3000 Schüler und 200 Kollegen fit für den Umgang mit schwierigen Situationen und Stress machen. Diese nehmen durch private und aktuelle (Welt)Krisen bei vielen zu.

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„Was hast du in der vergangenen Woche über dich gelernt, und was sagt dir dein Bauchgefühl?“ Fragen wie diesen gehen die Schüler der beruflichen Oberstufe an diesem Morgen nach. Thema: „Selbstreflexion.“
Katrin Steinert

Laut Aufsichtsbehörde ADD in Trier haben mehrere Schulen im Land das Thema Stressbewältigung für sich entdeckt. ADD-Sprecherin Eveline Dziendziol erklärt: „Dass dabei die Schülerinnen/Schüler UND die Lehrkräfte einbezogen werden, ist nur für die Julius-Wegeler-Schule bekannt.“ Die Koblenzer BBS hat also Vorbildcharakter.

Wie das Angebot konkret im Schulalltag umgesetzt werden kann, zeigt ein Workshopbesuch. Gentiana Daumiller unterrichtet an diesem Morgen 22 sogenannte Bos-Schülerinnen und -Schüler (berufliche Oberstufe). Die Koblenzerin ist Unternehmensberaterin und Trainerin für Selbstreflexion und positive Fehlerkultur. Öffentlich bekannt ist sie als Veranstalterin der Koblenzer Fuck-up-Nights. Das Thema lautet: keine Angst vor Fehlern, weil du etwas aus ihnen lernen kannst.

Gentiana Daumiller, Coachin
Katrin Steinert

Gentiana Daumiller will ihre Teilnehmer ermutigen, sich besser kennenzulernen und an sich selbst zu arbeiten. An diesem Schulmorgen geht es um „Selbstreflexion – eine Unterstützung für deinen Alltag“. Die jungen Frauen und Männer sitzen im Stuhlkreis und hören aufmerksam zu, was die Trainerin erklärt.

Selbstreflexion ist der erste Schritt

Gentiana Daumiller fragt zur Einstimmung: „Was hast du in der vergangenen Woche über dich gelernt? Welche Bedeutung hat das Bauchgefühl für dich, und wann hörst du darauf? Wenn du keine Angst vor Fehlern hättest, was würdest du dann sofort tun?“

Stille. Einige notieren mit Stiften auf ihren Tablets Gedanken, andere auf Blöcken. Ein Schüler zeigt auf: „Was bedeutet das: Was habe ich über mich gelernt?“ Daumiller betont, dass man jeden Tag etwas über sich lernt oder lernen kann, „beispielsweise, dass du geduldig mit dir umgegangen bist, oder dass du dich auch über Kleinigkeiten freust“. Der Schüler nickt. „Okay, ich habe gemerkt, dass ich lieber auf Karteikarten lerne.“ Lachen.

Gentiana Daumiller und ihre Kollegen beobachten: Viele junge Menschen haben bis heute weder zu Hause noch in der Schule gelernt, über sich selbst konstruktiv nachzudenken, sich der eigenen Gefühle und Bedürfnisse bewusst zu werden, Klarheit darüber zu haben, was einen runterzieht und was einem Kraft gibt.

Generation ist offen fürs Thema

Doch genau das ist der erste Schritt auf dem Weg zur gesunden Stressbewältigung. Denn nur, wer sich selbst spürt und versteht, kann auch die eigenen Grenzen wahrnehmen, kann in eine gesunde Auseinandersetzung mit den Mitmenschen und der Umwelt treten, kann bewusst Krisen meistern, wenn er weiß, was ihm dabei hilft.

Im Gespräch mit unserer Zeitung sagt die Coachin: „Man merkt, wie offen diese Generation für das Thema Selbstreflexion ist.“ Und sie fügt hinzu. „Die brauchen das aber auch.“ Sie rät der Gruppe, sich möglichst einmal in der Woche, besser noch jeden Abend hinzusetzen und aufzuschreiben: Was habe ich in dieser Woche über mich gelernt, wo war ich stolz auf mich, wo will ich in einer ähnlichen Situation vielleicht anders reagieren, was hat mir gut getan, was nicht?

Alexandra Paus, Lehrerin
Katrin Steinert

Auch Alexandra Paus, die an der gymnasialen Oberstufe der BBS unterrichtet und seit acht Jahren Klassenleiterin ist, spürt seit Langem, dass ihre Schüler jede Menge Belastungen und Stress mit sich herumtragen. Mit einer Kollegin hat sie 2018 das Programm feelgood@school entwickelt. Paus sagt: „Der Druck auf die jungen Leute ist super groß. Der Leistungsanspruch an sich selbst durch Social Media ist heftig.“ Etliche Schüler benötigen Therapien, weil sie sich selbst verletzen, essgestört sind oder anderweitige Probleme haben. Die Resilienzförderung aller sieht sie als eine Form der Unterstützung für alle.

„Ich wünsche mir, dass ihr irgendwann sagen könnt: Hey, da ist eine schwierige Sache, und ich schaue jetzt, wie ich das hinbekommen kann.“

Gentiana Daumiller, Couchin

Was das Wort Resilienz bedeutet, erklärt Daumiller den jungen Leuten so: Der Mensch neige dazu zu hoffen, dass im Leben alles glattläuft. Aber: Dinge passieren, man erlebt Streit, Frustration, Tod und vieles mehr. „Wir können nicht alle Risiken beseitigen, aber wenn wir eine schwierige Situation erleben, können wir schauen, wie wir damit umgehen, wie wir wieder aufstehen“, sagt die Trainerin. Resilienz bedeutet dementsprechend, Werkzeuge und Methoden zu kennen, um Herausforderungen zu überwinden und Stress gut zu bewältigen. „Ich wünsche mir, dass ihr irgendwann sagen könnt: Hey, da ist eine schwierige Sache, und ich schaue jetzt, wie ich das hinbekommen kann.“

Eveline Dziendziol, Sprecherin der schulischen Aufsichtsdirektion, betont: „Stressbewältigung oder Resilienzförderung gewinnt an Schulen immer mehr an Bedeutung, da sich gerade in den vergangenen Jahren belastende Situationen verstärkt haben (Krisen, zunehmend schwierigere Situationen im privaten und häuslichen Bereich, Lerndruck …).“ Daraus entstehen immer wieder Erkrankungen, auch Langzeiterkrankungen, berichtet Dziendziol.

An der Julius-Wegeler-Schule möchte man genau deshalb junge Menschen mit geeigneten Angeboten unterstützen – und so dazu beitragen, dass sie gesund bleiben. Lehrerin Alexandra Paus betont: „Dabei ist es enorm wichtig, die Kollegen mit ins Boot zu nehmen.“ Denn wenn die nicht wissen, worum es bei der Resilienzförderung geht, würde sich nichts ändern. Sie sind ja quasi Vorbild für die Schüler.

Annette Sitz, Schulleitungsteam
Katrin Steinert

„Wir haben einen zweitägigen Auftakt mit 16 Workshops fürs Kollegium veranstaltet. Das war einfach nur toll“, berichtet Paus. 160 Kollegen nahmen daran teil, alle trafen sich außerhalb der Schulzeit im Gebäude, es herrschte ein wenig Festivalatmosphäre. Abends wurde zusammen gegessen, Musik gespielt und getanzt. Dieses Gemeinschaftsgefühl hätten sie lang nicht mehr so intensiv gespürt, sagt Paus. Auch das sei wichtig in der Stressbewältigung: sich nicht allein, sondern als Team zu fühlen. Organisiert wurde der Auftakt mit dem Team von Lebensmaler aus Koblenz, die sich auf das Thema spezialisiert hat. Acht Trainerinnen und Trainer aus der Region und einige aus dem Kollegium selbst boten Impulse und Kurse rund um die Stressbewältigung an. Sportlehrerin Annette Sitz von der Schulleitung ist immer noch begeistert vom Zusammengehörigkeitsgefühl, das herrschte. „Eine Kollegin ist Yogalehrerin und bietet das nun weiter an“, berichtet sie. Sitz ist generell sehr vom Thema Stressbewältigung angetan. Sie hatte den Auftakt mit Alexandra Paus zusammen angeschoben und organisiert.

Nach dem Auftakt geht es weiter

„Wir sind nun alle für die Resilienzförderung sensibilisiert“, sagt Sitz. Jetzt geht es darum, dies in den Unterricht zu integrieren, Seminare, Angebote und weitere Schulungen für die Schüler und Lehrer zu planen. Dazu hat sich vor Kurzem eine Projektarbeitsgruppe gegründet.

Auch die ADD ist mit im Boot. Sie unterstützt die Schule im Entwicklungsprozess innerhalb des „EQUL“. Dies ist ein Schulversuch des Landes mit dem Ziel, die Eigenverantwortung, das Qualitätsmanagement und eine veränderte Lehr- und Lernkultur an berufsbildenden Schulen zu stärken. Die BBS in Koblenz setzt sich dabei die Resilienzförderung als Dreijahresziel. Die ADD stellt Fördergelder bereit. Davon wurde bereits Yogaequipment angeschafft. Auch Trainings wie das mit der Coachin Gentiana Daumiller gehören dazu.

Stephan Nauroth, Coach
Katrin Steinert

Annette Sitz von der Schulleitung berichtet: „Es hat sich jetzt schon etwas verändert.“ Sie erzählt von einer Kollegin, die eine Klasse unterrichtet, in der sehr viele Jungen und Mädchen ein wirklich schwieriges Zuhause haben. An einem Montagmorgen merkte sie, dass es vielen nicht gut ging und sie nicht zuhören konnten.

Kurzerhand wechselte sie den Raum. Sie zog mit ihren Jungen und Mädchen auf die andere Seite des Flurs, wo die Sonne in den Raum schien, die grad aufging. Dann hieß es: Augen schließen, spüren, was das Licht und die Wärme mit dem eigenen Körper machen. Bewusst atmen. Sitz sagt: „Danach war die Stimmung eine völlig andere.“ Alle waren gemeinsam im Hier und Jetzt in der Schule angekommen, sie fühlten sich von ihrer Lehrerin verstanden, die wiederum hatte das Handwerkszeug gelernt, die Gruppe anzuleiten. Und dann war Unterricht möglich.

In der gemischten Bos-Gruppe wird an diesem Morgen sehr vieles angeschnitten, was die Schüler gern vertiefen möchten: Sie lernen verschiedene Grundbedürfnisse des Menschen kennen, was passiert, wenn diese verletzt werden (Trigger); wie man sich selbst besser verstehen kann, wenn man weiß, wie man tickt (Persönlichkeitstypen); und wie man gut miteinander kommuniziert – und sich selbst im Blick behält. Sie haben nun eine Basis, auf die sie gemeinsam aufbauen können.

Von Katrin Steinert

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