Von November bis März macht sich zweimal die Woche einer von zwei Streetworkern abends auf den Weg in die Koblenzer Innenstadt. Im Kofferraum hat er warmes Essen, Tee und Kaffee. Auch Decken, Schlafsäcke und warme Kleidung bringt er immer mit.
An dem Donnerstag, an dem Koblenz vom Tiefdruckgebiet „Gertrud“ überrollt wird, ist es der 31-jährige Johannes Wirtz, der Ravioli an die Obdachlosen verteilt. „Wir fahren zu den Orten, von denen wir wissen, dass sich dort unsere Klienten aufhalten oder ihren Schlafplatz aufgeschlagen haben“, erklärt Wirtz.
Die Dankbarkeit ist groß
Eine feste Route gibt es nicht, aber Startpunkt ist meistens die Herz-Jesu-Kirche am Löhrrondell. Als der Streetworker mit dem Caddy vor dem provisorischen Lager einiger Obdachloser vorfährt, wird er schon erkannt. Zwei der Männer zählen zu den Stammkunden, einer ist heute zum ersten Mal dabei. Als er neben einer dampfenden Portion Ravioli auch einen Winterschlafsack erhält, umarmt er den Streetworker. „So was macht einem wieder Mut“, verkündet er. Die Dankbarkeit ist auch den anderen beiden Männern anzusehen. „Ich werde das nicht vergessen“, sagt einer von ihnen. Es wird schnell klar, wie wichtig selbst die kleinsten Zuwendungen für diese Menschen sind.
Das Auto bleibt erst mal stehen, und Johannes Wirtz macht sich zu Fuß auf den Weg, um die Fußgängerzone abzuklappern. Er schaut nach, wo sich Obdachlose befinden, fragt bei ihnen nach, ob sie etwas brauchen oder etwas Warmes essen möchten. Dann lädt er sie entweder ein, mit zum Auto zu kommen, oder bietet an, später die Mahlzeit, das Getränk oder den Schlafsack vorbeizubringen.
Rund 500 Menschen in Koblenz haben keine eigene Wohnung
„Bei dem Wetter ist draußen nicht viel los, die Leute ziehen sich dahin zurück, wo es warm ist“, stellt Johannes Wirtz fest. Er kennt die Plätze, an denen er zu dieser Jahreszeit trotzdem noch jemanden antreffen kann – Passagen, Unterführungen, beheizte öffentliche Räume wie die Einkaufszentren oder die Vorräume von Banken. Zurzeit versorgen die Streetworker etwa 10 bis 15 Obdachlose auf einer Tour. Manchmal mehr, manchmal weniger.
In Koblenz leben aktuell etwa 50 Leute auf der Straße, sagt Wirtz, um die 500 Menschen sind wohnungslos. „Das ist ein wichtiger Unterschied. Wohnungslos ist nicht gleich obdachlos.“ Wohnungslose haben keinen eigenen Wohnsitz, kommen aber bei Angehörigen oder Bekannten unter, leben also nicht auf der Straße. Obdachlose hingegen haben überhaupt keine Unterkunft. „Natürlich gibt es auch Obdachlosenheime, aber da sind dann viele Menschen auf engem Raum“, so Wirtz. Das berge Konfliktpotenzial. Außerdem gibt es in solchen Unterkünften meistens Vorgaben wie ein Alkoholverbot, und auch Haustiere sind oft nicht willkommen. „Da bevorzugen es eben manche Leute, draußen zu bleiben“, erklärt der Streetworker.
Nachdem die Menschen rund um die Fußgängerzone versorgt sind, geht es weiter. Nach Moselweiß, zur Konzertmuschel in den Kaiserin-Augusta-Anlagen und schließlich zum Hauptbahnhof. Überall in der Stadt verteilt haben Obdachlose ihre Lager aufgeschlagen. Doch wie kommen Menschen überhaupt erst in diese prekäre Lage? „Es fängt meistens mit einem Schicksalsschlag an. Dann rutscht man da schnell rein“, weiß Wirtz. Er erklärt, dass es sich oft um einen Kreislauf handelt, der schwer zu durchbrechen ist. „Wenn man keine feste Unterkunft hat, bekommt man keinen Job, hat man keinen Job, dann verdient man kein Geld, und hat man kein Geld, kann man sich keine Wohnung leisten.“
Johannes Wirtz ist für die meisten Obdachlosen schon ein bekanntes Gesicht. Ob durch die Touren mit dem Kältebus, die Beratungsarbeit oder das Wohnungslosenrestaurant Mampf – der studierte Pädagoge ist für seine Klienten zu einer Bezugsperson geworden. Dabei ist der 31-Jährige erst seit einem halben Jahr hauptberuflich als Streetworker tätig. „Ich habe hier vor zehn Jahren mal ein Praktikum gemacht, und das hat mir einfach gefallen“, erinnert er sich. Als die Stelle dann frei wurde, war er sofort dabei.
Das sind ganz normale Menschen, es ist wichtig, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.
Streetworker Johannes Wirtz
„Es ist auch immer lustig mit denen“, erzählt Wirtz über die Arbeit mit den Obdachlosen. Zwischendurch ist immer mal Zeit für Schwätzchen und Späße, trotz oder vielleicht auch gerade wegen der schwierigen Situation, in der sie sich befinden. „Das sind ganz normale Menschen, es ist wichtig, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen“, so der Grundsatz des Streetworkers und seiner Kollegen.
Dabei hat seine Arbeit natürlich auch Schattenseiten. Täglich wird er mit dem Leid der Menschen konfrontiert. „Da muss man manchmal einfach Grenzen ziehen und darf das nicht so nah an sich ran lassen.“ Nicht so einfach, denn man baue auch eine Bindung zu den Obdachlosen auf, denen man öfter begegnet, so Wirtz. Dafür sei es umso schöner, wenn die Klienten Erfolge verzeichnen, beispielsweise schaffen, einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung zu finden. „Da freu ich mich dann selbst total drüber“, berichtet der 31-Jährige.
Nach dem letzten Stopp am Hauptbahnhof ist die Kältebusfahrt für diesen besonders kalten Tag vorüber. Zehn Obdachlosen konnte Johannes Wirtz an diesem Abend versorgen. Die Ravioli sind leer, einige Decken und Schlafsäcke verteilt, und den Menschen konnte trotz all der Ernsthaftigkeit ihrer Situation und der Eiseskälte eine Freude bereitet werden. Eine Freude, die manchmal vielleicht sogar Leben rettet.