Koblenz – 271 Kinder, beerdigt auf einer Fläche, die vielleicht gerade einmal 20 Quadratmeter misst: Das „Grab der Allerkleinsten“ auf dem Koblenzer Hauptfriedhof – nur auf den ersten flüchtigen Blick scheint es eine Ruhestätte zu sein wie jede andere. Kerzen flackern über einer Gedenkskulptur, ein Stoffteddy sitzt im Gras, ein Strauß roter Rosen senkt scheinbar vor Trauer Blätter und Blüten.
Dass hier mehr als nur ein Mensch begraben liegt, zeigt spätestens eine ganze Heerschar weißer Keramikengel, die schützend ihre Flügel ausbreiten. Was fehlt: Grabsteine, mit den Namen der Kinder, die hier ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Es ist eine anonyme Sammelgrabstätte. Denn die Babys, die beigesetzt wurden, waren zu klein, waren zu leicht, um vor dem Gesetz offiziell als Person, also als Mensch, zu gelten. Eine Gesetzesnovelle, die das Bundeskabinett im Mai auf den Weg gebracht hat, soll dies nun ändern. Das Koblenzer „Grab der Allerkleinsten“ wird aber bleiben – aus gutem Grund.
Beisetzung wird nicht zur Pflicht
So wird das neue Gesetz Eltern die ersehnte Chance geben, für ihre nicht lebensfähigen Kinder, die mit einem Gewicht von unter 500 Gramm auf die Welt gekommen sind, eine Geburts- und Sterbeurkunde zu beantragen. Die Babys, so klein sie auch bei der Geburt waren, bekommen dann endlich offiziell einen Namen, wenn Mutter und Vater dies wünschen. Zur Pflicht wird dies aber wohl nicht werden. Und auch eine Pflicht zur Beisetzung der „Sternenkinder“ wird es damit nicht geben – wie es sie bislang auch nicht gab.
Und so ist auch keine Selbstverständlichkeit, dass diese Frühchen in Koblenz seit 2002 überhaupt würdevoll beigesetzt wurden und weiter werden. Das zeigt ein Blick etwas weiter zurück in die Vergangenheit. So unvorstellbar es auch klingt: Zu leichte Babys wurden auch in der Rhein-Mosel-Stadt vor ein paar Jahren im Klinik-Sondermüll entsorgt, wenn die Eltern nicht in Eigenregie eine Beerdigung arrangierten.
Seit genau zehn Jahren droht dieses Schicksal keinem Baby, keinem Fötus mehr, auch wenn die Eltern in ihrer ersten Trauer, ihrem ersten Schmerz über den Verlust eines Kindes nicht an eine Beerdigung denken wollen oder können. Und das soll auch nach der Gesetzesnovelle so bleiben.
In Kooperation mit dem Friedhofsamt der Stadt haben die beiden Geburtskliniken, der Kemperhof und der Marienhof, 2002 das „Grab der Allerkleinsten“ auf dem Koblenzer Hauptfriedhof angelegt. Einmal im Vierteljahr werden dort alle dieser viel zu früh geborenen Kinder gemeinsam in einem Urnengrab beigesetzt. Die Kliniken kümmern sich um die Formalitäten und die Einäscherung und zahlen auch die Gebühren. „Auslöser war das Schicksal einer Koblenzerin, die ihr Kind in einem frühen Stadium der Schwangerschaft verloren hat und mich angesprochen hat. Da kam das Thema hoch: Was passiert mit diesen Kindern?“, erinnert sich Bernd Schömer, Klinikseelsorger im Kemperhof.
Die Problematik ging damals auch durch die Medien. „Ende der 90er-Jahre wurde berichtet, dass die nicht lebensfähigen Frühchen über den Sondermüll entsorgt werden und dann im Straßenbau landen oder in Lärmschutzwällen“, weiß Martin Pietsch, evangelischer Klinikpfarrer am Kemperhof und Marienhof, noch gut. Gemeinsam mit Schömer wandte sich Pietsch an die Verwaltung der beiden Koblenzer Geburtskliniken, die wiederum das Gespräch mit der Stadtverwaltung suchte. Vom Friedhofsamt wurde den Krankenhäusern dann ein kleines Urnenfeld zur Verfügung gestellt, jedoch machte das Rathaus die anonyme Bestattung zur Bedingung.
Wenn die Trauer zu groß ist
Seither gibt es dort vierteljährlich das Begräbnis. „Das gilt für alle Kinder, nicht nur die, bei denen Eltern dies ausdrücklich wünschen“, betont Pietsch. Denn manchmal sind Trauer und Schmerz so groß, dass die Eltern nach dem Verlust ihres Kindes fluchtartig die Klinik verlassen. „Viele dieser Eltern kommen aber dann irgendwann zurück, wollen wissen, wo ihr Kind beerdigt ist, um Abschied nehmen zu können. Und es ist gut, dass sie dann einen Ort zum Trauern haben“, ergänzt Schömer.
Von bewegenden Momenten spricht Pietsch, wenn er an die Trauerfeiern denkt, die mit den Urnenbesetzungen im Grabfeld der Allerkleinsten verbunden sind. „Manchmal steht da eine Mutter ganz alleine. Oft aber auch die ganze Familie. Wenn die Eltern schon einen Namen für ihr Kind hatten, verlesen wir diesen“, sagt Pietsch.
Dass sie ihren Kindern offiziell keine Namen geben können, hielt viele Eltern zudem bislang nicht davon ab, dies inoffiziell zu tun. Das ist auch in Koblenz zu sehen: Überall auf dem Grabfeld der Allerkleinsten liegen kleine Steine mit Namen der hier beerdigten Babys. Und auf einer Tafel steht das, was wohl alle Eltern empfinden, die hier ein Kind begraben mussten: „Die Sonne ging unter, bevor es Abend wurde.“
Von unserer Mitarbeiterin Annette Hoppen