Die Ruhe am frühen Morgen im Koblenzer Stadtwald ist trügerisch. Denn für eine Gruppe von Freiwilligen ist heute schweißtreibende Arbeit angesagt. In hohen Stiefeln waten sie tief im Matsch und schleppen schwere Steine beiseite. Gesucht werden Steinkrebse. Denn diese Art läuft Gefahr, in der Region auszusterben. Im Stadtwald wurde vor einigen Jahren ein Experiment gestartet, um die Population wieder anwachsen zu lassen.
Die Idee: Die Eier der Steinkrebsweibchen werden quasi ausgeliehen und unter möglichst idealen Bedingungen ausgebrütet. Die geschlüpften Krebse werden dann wieder im Ursprungsgebiet ausgesetzt. Im Naturschutz engagierte Freiwillige übernehmen die zeitaufwendige Handarbeit vor Ort, die Erbrütung, fachlich ausgedrückt das „Vorstrecken auf Besatzgröße”, erfolgt in der Krebszucht Oeversee bei Flensburg.

Jetzt im März gilt es, die Teiche zu entleeren, die Steinkrebse einzusammeln, zu katalogisieren, den weiblichen Tieren die Eier zu entnehmen und diese nach Kiel zu transportieren. Pro Weibchen können im Schnitt 40 bis 50 Eier entnommen werden. „An diesem Morgen im Stadtwald schafften wir mit 1005 Eiern eindeutig einen Rekord”, berichtet Jürgen Frechen, Ideengeber des Projektes. Nach Entnahme, Vermessen und Fotografieren können die Krebsdamen direkt wieder in ihren Lebensbereich zurück.

Den Sinn des aufwendigen Prozederes erklärt Kai Lehmann, wissenschaftlicher Leiter des Projekts: „In der Natur überleben 2 bis 3 Prozent der jungen Tiere, bei uns können wir glücklicherweise mittlerweile von 50 bis 60 Prozent ausgehen.” Er und sein Team kümmern sich im Institut für nachhaltiges Ressourcenmanagement Schleswig-Holstein um die möglichst schonende Weiterbehandlung. Dort werden die Eier zunächst bei rund 6 Grad gelagert, dann steigert man langsam die Temperatur. Lehmann erklärt: „In etwa zwei Monaten werden die Krebse schlüpfen, dann müssen sie viel fressen.” In speziellen Becken werden sie sechs Monate lang aufgepäppelt, bis sie im Herbst schließlich wieder hier im Stadtwald landen. Idealerweise haben sie dann die Größe von etwa drei Zentimetern.

Jürgen Frechen ergänzt: „Insgesamt 504 gesunde Jungsteinkrebse haben wir im vergangenen Jahr mit Erfolg im Koblenzer Stadtwald und oberhalb von Niederfell ausgewildert. Wir sind immer bestrebt, die verschiedenen Parameter zu optimieren und das Ergebnis zu verbessern.”
Der Steinkrebs, der vor allem Quellbäche in Mittelgebirgen besiedelt, ist in Europa vielerorts ausgestorben. Ursache ist eine Pilzkrankheit, auch Krebspest genannt, die sich durch im 19. Jahrhundert eingeführte amerikanische Krebse ausgebreitet hat. Aktuell gibt die Entwicklung der Gewässerqualität laut Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord in einigen Quellbächen in Rheinland-Pfalz Anlass zur Hoffnung, dass diese für eine Wiederansiedlung von Steinkrebsen geeignet sein könnten. Die SGD Nord finanziert die Maßnahme im Koblenzer Stadtwald in ihrer Funktion als Obere Fischereibehörde, die Stadt Koblenz stellt die Teiche im Stadtwald zur Verfügung.