Die Liebesbriefe dienen nicht nur als Forschungsfeld, sondern werden auch für die weitere wissenschaftliche Verwendung professionell digitalisiert. Genau daran beteiligen sich Einheimische aus Koblenz und Darmstadt zusammen mit Wissenschaftlerinnen im Projekt: „Gruß & Kuss – Briefe digital. Bürger*innen erhalten Liebesbriefe.“
Wir haben mit Lena Dunkelmann über die bevorstehende „Lange Nacht der Liebesbriefe“ in Koblenz und aktuelle Mitmachmöglichkeiten rund um diese besonderen Schriftstücke gesprochen. Die 25-jährige Germanistin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Gruß-und-Kuss-Projekt an der Universität Koblenz-Landau.
Frau Dunkelmann, Sie werden Hunderte gelesen haben. Aber gibt es einen Liebesbrief, den Sie besonders mögen?
Ja, es gibt tatsächlich einen vom Ende der 1960er-Jahre. Er war einer der ersten, die ich im „Gruß und Kuss“-Projekt gelesen habe. Der Liebesbrief ist sehr schön, weil der Schreiber darin selbst sagt, dass er jetzt einen Liebesbrief schreibt, weil sich darin im Gegensatz zu den „sich ewig wiederholenden, abgestumpften Worten“ im Alltag viel gewichtiger ausdrücken lässt, was er für die Frau empfindet.
Was verstehen Sie denn unter Liebesbriefen?
Im Archiv fassen wir den Begriff des Liebesbriefes sehr weit. Alles, was man unter Liebeskommunikation fasst. Dazu zählen auch kleine Zettel im Alltag, Abschiedsbriefe und vieles mehr.
Was reizt Sie selbst an der Liebesbriefforschung?
Es ist ein sehr vielfältiges Forschungsfeld, man kann die Briefe aus verschiedenen Perspektiven untersuchen, beispielsweise historisch, soziologisch oder sprachwissenschaftlich. Die Liebesbriefe sind eine Quelle der Alltagskultur, die bei uns aufbewahrt und für die Forschung zugänglich gemacht werden.
In zwei Wochen findet die Lange Nacht der Liebesbriefe statt. Was kann man sich darunter vorstellen?
Wir wollen die Liebesbriefforschung und das Gruß-und-Kuss-Projekt bekannt machen, und wir wollen, dass Forschung, Wissenschaft und Gesellschaft in einen Austausch treten. Dazu bieten wir immer wieder verschiedene Veranstaltungen an. Das Liebesbriefarchiv wurde vor 25 Jahren von Eva L. Wyss gegründet, was wir zum Anlass für die Lange Nacht der Liebesbriefe nehmen. Zudem ist zwei Tage später, am 26. September, der Tag des Liebesbriefes. Bei unserer Veranstaltung gibt es vier Vorträge zum Thema Liebesbriefe, beispielsweise zu Liebesbriefen im Mittelalter oder in sozialen Medien. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich bei Fingerfood an Thementischen mit den Forschenden und anderen Interessierten auszutauschen.
Im Vorgespräch hatten Sie gesagt, dass die Veranstaltung schon ausgebucht ist. Besteht die Möglichkeit, sich anderweitig mit den Liebesbriefen zu beschäftigen?
Wer sich für die Lange Nacht der Liebesbriefe interessiert, kann sich gern noch bei uns melden und auf eine Nachrückerliste setzen lassen. Falls es zu Absagen kommt, können andere einspringen. Zudem bieten wir übers Jahr verteilt verschiedene Möglichkeiten an, bei uns mitzuwirken. Wer immer auf dem Laufenden sein möchte, kann sich in unseren E-Mail- Verteiler aufnehmen lassen. Darin informieren wir über Veranstaltungen und Workshops.
Ein wichtiges Vorhaben des Gruß-und-Kuss-Projektes ist es, dass die Liebesbriefe digitalisiert werden. Daran können und dürfen die Bürger mitarbeiten. Beispielsweise haben wir insgesamt schon vier digitale Transkriptionsworkshops veranstaltet. Da zeigen wir, wie man die Originale nach editorischen Regeln abschreibt, sodass die Schriftsätze für die Forschung nutzbar werden.
Das digitale Archiv ist bei der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt angesiedelt. In Darmstadt fand im Juli beispielsweise ein Stell-dich-ein mit Bürgern in einem Café statt. Dort wurden ausgewählte Briefe mitgebracht, die wir dann gemeinsam in bestimmte Forschungscluster einsortiert haben, beispielsweise „Liebe auf Distanz“, „Liebe in Krisen und Konflikten“ und „Reiz der heimlichen Liebe“.
Gibt es die Möglichkeit, sich auch in Koblenz in einer Gruppe über Liebesbriefe auszutauschen?
Ja. Wir wollen einen monatlichen Liebesbriefstammtisch in Koblenz etablieren. Der erste findet am Mittwoch, 14. September, um 18 Uhr statt. Das Thema lautet „Liebesbriefe in Kurrent“. Sütterlin ist beispielsweise eine Variante der Kurrentschrift. Die, die mit den Liebesbriefen arbeiten, haben ganz unterschiedliche Interessen. Manche haben einfach Lust, sie zu transkribieren, andere wollen sich tiefer damit auseinandersetzen.
Wie kommen denn die Liebesbriefe zum Archiv?
Alle werden freiwillig gespendet. Beispielsweise hat jemand Briefe von den Eltern, Großeltern oder sogar eigene zu Hause und hat den Wunsch, dass diese nicht weggeworfen, sondern aufbewahrt werden. Wenn man diese dem Liebesbriefarchiv spendet, darf man selbst bestimmen, was damit passiert. Einige Spender wollen sie komplett so freigeben, wie sie sind. Andere wieder rum möchten, dass die Namen geschwärzt werden. Und einige möchten, dass die Dokumente komplett anonymisiert werden und alles wie Name, Ort, Datum und so weiter unkenntlich gemacht wird. Auch für diejenigen, die damit arbeiten, gelten strenge Vereinbarungen wegen des Datenschutzes. Das, was die Mitarbeiter zu personenbezogenen Daten lesen, dürfen sie nicht weitertragen.
Das „Gruß & Kuss“-Projekt arbeitet mit den Liebesbriefen
Wyss hat 1998 das Forschungsprojekt Liebesbriefarchiv, damals noch in Zürich, gestartet. Mit ihrem Ruf an die Universität Koblenz-Landau 2013 zog das Archiv mit damals 6000 Briefen in die Universitätsbibliothek nach Koblenz um. 2014 kam die TU-Darmstadt-Professorin Dr. Andrea Rapp hinzu. Mit ihr wird sich seit 2015 um die Digitalisierung und Erschließung des stetig wachsenden Bestandes des Liebesbriefarchivs bemüht – dies vor allem vorangetrieben mit dem eigenen Team und Studenten in Lehrveranstaltungen sowie etlichen Qualifikationsarbeiten. 2021 startete das Citizen-Science-Projekt „Gruß & Kuss – Briefe digital. Bürger*innen erhalten Liebesbriefe“. Darin werden zusätzlich alle Interessierten eingeladen, sich an der Erforschung und Digitalisierung des Liebesbriefarchivs zu beteiligen. kst
Wer sich für Veranstaltungen interessiert, wendet sich per E-Mail an: liebesbriefarchiv@uni-koblenz.de; weitere Infos auf www.liebesbriefarchiv.de