Als Richter Jan Keppel den Raum betritt, stehen alle auf. Der Angeklagte, die Verteidigung, die Staatsanwaltschaft, das Publikum. Schlagartig herrscht Ruhe im Saal. Es ist ernst: Der Vorwurf gegen den Angeklagten lautet körperliche Misshandlung. Aber an diesem Tag hat er Glück und muss keine echte Strafe befürchten. Denn heute wird nur simuliert – und dennoch kann die Schülerin, die den Beschuldigten spielt, die Sorgen gut nachvollziehen.
Noch bis Freitag öffnen im Rahmen der „Woche der Justiz“ Gerichte und weitere Behörden des rheinland-pfälzischen Justizministeriums ihre Türen für die Öffentlichkeit. Sie möchten den Menschen im Land das Rechtssystem näherbringen und dadurch die Demokratie stärken. Denn: „Das Verständnis für die Justiz geht zurück“, bedauert Jörn Müller, Richter und Pressesprecher am Oberlandesgericht Koblenz. Bei verschiedenen Veranstaltungen sollen die Besucher am eigenen Leib erfahren, wie das Recht durchgesetzt wird.
Ein bisschen improvisieren ist ausdrücklich erwünscht
Bei einer interaktiven Gerichtsverhandlung dürfen die Schülerinnen der Schönstätter Marienschule aus Vallendar etwa in verschiedene Rollen schlüpfen. Der Fall lautet wie folgt: Der Angeklagte Chris Schmidt wird beschuldigt, das Opfer Alex Müller nach einer verbalen Auseinandersetzung mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben.
Die Schülerinnen nehmen ihren Platz auf der Anklagebank, auf der Richter- und Verteidigerbank und im Zuschauerbereich ein. Fünf Zeugen werden gebeten, draußen zu warten. Dann geht es los: Schon gleich zu Beginn weiß sich der Angeklagte zu verteidigen. Das Opfer sei mit einer Glasflasche auf ihn losgegangen, behauptet die Schülerin, die den Beschuldigten spielt, überzeugt und schildert ihre Version des Geschehens. Es war nur Notwehr.

Nach und nach ruft Richter Keppel die Zeugen auf, die fast alle das Gegenteil bestätigen. Nicht immer haben sie alle Details parat, aber das haben echte Zeugen ja auch nicht. Mit der Zeit wird klar: Schmidts Geschichte kann so nicht ganz stimmen. Am Ende entscheidet sich der Richter deshalb für eine Geldstrafe und folgt damit dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft.
Im Vorfeld der simulierten Gerichtsverhandlung durften sich die Schülerinnen aus Vallendar natürlich auf ihre Rollen vorbereiten – doch auswendig lernen war nicht angesagt. Vielmehr sollen die Mädchen das Geschehen in eigenen Worten erzählen. Dabei passieren natürlich auch kleine Patzer.
„Ich kann mir vorstellen, später Jura zu studieren.“
Finja, 16 Jahre alt
„Sie sind in Bitburg geboren, ist das korrekt?“, fragt Richter Keppel den Angeklagten etwa zu Beginn. Die junge Frau sucht panisch in ihren Unterlagen nach der Antwort für ihre Rolle als Beschuldigter. „Stand das irgendwo?“, fragt sie in die Runde. Keppel ist amüsiert. „Man sollte eigentlich wissen, wo man geboren wurde“, sagt er grinsend.
Der Richter ist dennoch zufrieden mit dem Auftritt der Schülerinnen. Nach der Urteilsverkündung nimmt er sich noch Zeit, um mit den jungen Frauen über ihre Erfahrungen zu sprechen. Viele waren besorgt, wollten den Angeklagten mit ihren Aussagen nicht noch mehr belasten, erzählen einige von ihnen. Aufseiten der Schöffen waren sich die jungen Frauen ihrer großen Verantwortung bewusst. Doch Spaß hat es allen gemacht, manchen sogar mehr als anderen. Die 16-jährige Finja findet: „Ich kann mir vorstellen, später Jura zu studieren.“

Auch Richter Müller ist begeistert von den Schülerinnen. Veranstaltungen wie diese habe es schon ein paar Mal gegeben, sagt er, doch nicht immer seien die Teilnehmer so gut in ihrer Rolle gewesen. Teilnehmer anderer Verhandlungen hätten eher von ihren Notizen abgelesen, aber nicht die Schülerinnen heute.
Mit der „Woche der Justiz“ starten die Gerichte und Behörden einen Versuch, um mehr Menschen über das Rechtssystem aufzuklären. Sollte es in diesem Jahr gut laufen, hofft Müller auf eine Fortführung: „Ich würde mir wünschen, dass das alle zwei bis drei Jahre stattfindet und es zu einem regelmäßigen Termin für Schulen wird.“
Das bietet die „Woche der Justiz“
Nicht nur in Koblenz öffnen die Gerichte ihre Türen. In ganz Rheinland-Pfalz wird noch bis Freitag, 27. Juni, die Woche der Justiz gefeiert. Unter dem Motto #WirLebenRechtsstaat wollen das Justizministerium und die Justizbehörden im Land durch einen Einblick hinter die Kulissen zeigen, wie das Recht gelebt und durchgesetzt wird. Die meisten Termine in Koblenz sind bereits ausgebucht, doch für einige sind noch Plätze frei. Am Mittwoch, 25. Juni, findet zum Beispiel ab 13 Uhr eine Führung durch das Oberlandesgericht statt – eine Anmeldung ist erwünscht, aber Besucher können auch spontan vorbeischauen. Weitere Veranstaltungen auf www.olgko.justiz.rlp.de. vs