Patricia Pederzani und Joachim Paul kandidieren für das nachzubesetzende Amt in Koblenz - CDU meldet Beratungsbedarf an
Queerbeauftragtenwahl in Koblenz: Transfrau oder AfD-Mann?
Homosexuelles Paar
Wer setzt sich zukünftig in der Stadt Koblenz für die Belange der LGBTQIA+-Gemeinschaft ein? Zur Wahl stellen sich Transfrau Patricia Pederzani und der AfD-Stadtrat Joachim Paul.
picture alliance / dpa/Manuel Lopez

Wer soll die Interessen der homo- und intersexuellen sowie transgeschlechtlichen Menschen in Koblenz vertreten? Zur Wahl für die oder den Queerbeauftragte(n) stehen Transfrau Patricia Pederzani und – unerwartet – AfD-Mann Joachim Paul. Seine Partei war dagegen, dass die Stadt überhaupt ein entsprechendes Amt einrichtete.

Homosexuelles Paar
Wer setzt sich zukünftig in der Stadt Koblenz für die Belange der LGBTQIA+-Gemeinschaft ein? Zur Wahl stellen sich Transfrau Patricia Pederzani und der AfD-Stadtrat Joachim Paul.
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Aktuell läuft die Nachbesetzung der ehrenamtlichen Stelle. Die erste Inhaberin hatte das Amt im August 2022 kurzfristig aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt. Im jüngsten Gleichstellungsausschuss sollte eine Vorwahl als Empfehlung für den Stadtrat getroffen werden. Die CDU allerdings meldete Beratungsbedarf an, nachdem sich Transfrau Patricia Pederzani vorgestellt hatte. AfD-Landtagsabgeordneter und Stadtrat Joachim Paul war indes nicht anwesend. Er ließ sich wegen eines Termins im Mainzer Landtag entschuldigen. Wir beantworten vier Fragen zu dem Thema.

1 Die Koblenzer AfD war gegen die Einrichtung des Amts eines Queerbeauftragten. In einem Videointerview erklärte Jochim Paul zuletzt, dass er das Amt für überflüssig hält. Warum will er es dann selbst ausüben? Auf Nachfrage erklärt Joachim Paul: „Uns hat in erster Linie gestört, dass der oder die Beauftragte vergleichbar mit einem vom Volk gewählten Stadtrat vergütet wird – das stört uns noch immer.“ Der AfDler sagt, er spende das Geld, falls er gewählt wird. Gefragt, warum er das Amt überflüssig findet, antwortet der Koblenzer: „Es kommt eben darauf an, wie der oder die Beauftragte arbeitet.“ Sinnvoll sei es dann, wenn es für mehr Dialog auf hohem Niveau sorge und dabei eine Vielfalt von Meinungen zur Geltung kämen. In welche Richtung diese zielen, wird aus seinen Antworten auch klar. „Es gibt eben auch konservative Homosexuelle.“

In einem Videointerview, das online abrufbar ist, erklärte Joachim Paul, dass sich konservative Homosexuelle „nicht vom CSD und den ganzen Bewegungen vertreten fühlen, weil sie sagen: Das ist einfach zu einseitig politisch“.

Die AfD befürwortet ein konservatives Familienbild aus Vater, Mutter, Kind. Das Thema der queeren Bewegung nutzt Paul, um auf die bekannten ausländerfeindlichen Vorurteile der AfD abzuzielen, wie sich später noch zeigt.

Joachim Paul (AfD)
AfD

Nach eigenem Bekunden gehört der Koblenzer nicht der queeren Gemeinschaft an. „Ich finde, das ist auch nicht nötig, um diese Bürger zu vertreten.“

Queer ist laut Onlinelexikon Wikipedia eine Sammelbezeichnung für sexuelle Orientierungen, die nicht heterosexuell sind, sowie für Geschlechtsidentitäten, die nichtbinär oder nicht-cisgender sind. Cis bedeutet, dass man sich seinem angeborenen Geschlecht zugehörig fühlt, in diesem Fall aber eben nicht oder sich weder als Mann noch als Frau sieht.

Auf die Frage, ob Joachim Paul in der queeren Szene von Koblenz vernetzt ist, erklärt er: „Ich bin bundesweit vernetzt und arbeite politisch mit Homosexuellen zusammen.“ Als Beispiel führt er einen AfD-Politiker aus Köln an.
Als Queerbeauftragter würde Paul „insbesondere das Thema Sicherheit im öffentlichen Raum in Koblenz thematisieren“. Er könne belegen, „dass bei Übergriffen, die sich gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder gegen Homosexuelle richten, ausländische Täter signifikant beteiligt beziehungsweise deutlich überrepräsentiert sind“.

Diese Aussagen lassen sich allerdings so nicht belegen, weder bei Durchsicht der Landtagsanfragen und -antworten, auf die sich Paul bezieht, noch aufgrund der polizeilichen Statistik.

Das Polizeipräsidium Koblenz erklärt gegenüber unserer Zeitung, dass sich Übergriffe gegen homo- oder transsexuelle Menschen nicht aus der Kriminalstatistik herausfiltern ließen und für die vergangenen Jahre deshalb keine Übergriffe in der Statistik angezeigt würden. Die sexuelle Identität und die Religionszugehörigkeit dürften bei Anzeigen nicht erfasst werden, wohl aber werde vermerkt, wenn homophobe Beleidigungen ausgesprochen wurden.

Unsere Zeitung hatte im Frühjahr 2019 von einem brutalen Angriff zweier Frauen auf eine gleichgeschlechtlich liebende Frau erfahren, den die Polizei damals anhand des Opfernamens als Körperverletzungsdelikt bestätigte. Auf unseren Bericht hin meldete sich eine weitere Frau, die mit ihrer damaligen Partnerin ein halbes Jahr zuvor am Münzplatz von einem Mann krankenhausreif geschlagen worden war. Dieser wurde später wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung in zwei Fällen zu sieben Monaten Haft auf Bewährung und Schmerzensgeld verurteilt.

2 Warum nahm Joachim Paul nicht an der Sitzung des Gleichstellungsausschusses teil, in der sich die Kandidatinnen und Kandidaten vorstellen sollten? Er habe am Empfang des ukrainischen Botschafters im Landtag teilgenommen, weil er sich über den Abwehrkampf habe informieren wollen, erklärt Paul auf Nachfrage. „Mein Büro hat mich ordentlich entschuldigt.“

3 Warum konnte sich die CDU im Gleichstellungsausschuss zu keiner Entscheidung durchringen und meldete Beratungsbedarf an? Auf Nachfrage erklärt CDU-Frau Monika Sauer, die den Bedarf anmeldete: „Wir hatten in der Fraktion vorher keine Zeit, die Kandidaten zu besprechen.“ Sauer berichtet von vielen Krankheitsfällen und Verpflichtungen. Wie sie persönlich zur Kandidatin Patricia Pederzani steht, mag Monika Sauer im Telefonat nicht verraten. „Ich will dem nicht vorgreifen.“

Dass die CDU Pederzani ihr Konzept vortragen ließ und erst danach Beratungsbedarf anmeldete, erklärt Sauer so: „Dann hat man schon mal einen persönlichen Eindruck“ und könne sich später mit den anderen Parteikollegen darüber austauschen. Sie selbst habe gute Kontakte in die queere Szene und zu Transpersonen. „Für die Szene ist das Amt wichtig“, sagt sie auf Nachfrage. Die CDU hatte die Einrichtung des Amtes in der Vergangenheit abgelehnt.

In den sozialen Medien sah sich die CDU nach der Ausschusssitzung Kritik ausgesetzt. Ihr wurde vorgeworfen, mit dem Gedanken zu spielen, den AfD-Kandidaten zu wählen. Sauer betont im Telefonat: „Das ist natürlich Quatsch!“ Dieser sei keine Wahloption. Auch wolle sie die Nachbesetzung des Amtes nicht unnötig verzögern. Die nächste Sitzung sei im September. „Es wird eine Sondersitzung geben“, sagt Sauer. Laut Stadtinfosystem ist diese am 21. April. Die CDU-Fraktion werde am 11. April über die Kandidatenfrage beraten, sagt Sauer.

Die Kandidatenvorauswahl wurde übrigens nicht allein von der CDU verhindert. Dem Beratungsbedarf der vier CDU-Mitglieder sprangen die SPD (3), die FDP (1) und die AfD (1) zur Seite. Knapp überstimmt wurden damit die acht Stimmen von Grünen (4), WGS (1), FW (1), Linke (1) sowie SPD (1). Diese acht hätten gern schon für eine Person abgestimmt.

4 Warum will Transfrau Patricia Pederzani Queerbeauftragte von Koblenz werden? Die 33-jährige Koblenzerin ist in der lokalen queeren Gemeinschaft sehr aktiv. Sie berichtet, dass sie in sechs von 13 queeren Vereinen mitmische, bei dreien davon im Vorstand sitze. Die Transfrau ist in Koblenz geboren und aufgewachsen und liebt ihre Heimatstadt. „Ich will, dass Koblenz eine queerfreundliche Stadt wird, dass es queeren Personen hier gut geht und es viele tolle queere Veranstaltungen gibt.“

Patricia Pederzani (Grüne)
Patricia Pederzani

Weil sie gut vernetzt ist und viele kennt, wurde sie von anderen Aktiven angesprochen, sich für das Amt der Queerbeauftragten zu bewerben. Parteipolitisch ist Pederzani bei den Grünen aktiv, die sie auch vorschlugen. Sollte sie gewählt werden, will die 33-Jährige erreichen, dass der Aktionsplan Vielfalt, der 2017 vom Stadtrat beschlossen wurde und nicht nur queere Themen umfasst, umgesetzt wird. „Da ist bislang nichts passiert“, sagt Pederzani. Sie versteht das Amt als Sprachrohr für die Belange aller Menschen, die der sogenannten LGBTQIA+-Gemeinschaft angehören.

Die Abkürzung steht für die englischen Wörter lesbian, gay, bi- und transsexual/transgender, queer, intersexual und asexual, zusammengefasst also für alle, die gleich- oder beidgeschlechtlich liebend sind, die sich einem anderen als dem angeborenen oder keinem Geschlecht zugehörig fühlen, die in bunten und queeren Partnerschaften und Familien leben.

Eine Sprechstunde will Pederzani unbedingt anbieten und verschiedene queere Veranstaltungen koordinieren. Zudem will sie den Stadtrat auf Probleme der queeren Menschen in Koblenz hinweisen und Workshops zu Transpersonen anbieten und erklären, wie man respektvoll mit ihnen umgeht. Bereits heute schult sie Institutionen zu diesem Thema wie beispielsweise den Frauennotruf (wir berichteten).

Patricia Pederzani wurde selbst als Frau in einem männlichen Körper geboren und hat sich vor einigen Jahren auf den schwierigen Weg der Transformation ihres Körpers und der rechtlichen Belange wie etwa der Namensänderung hin zu einer Frau gemacht. Bei Queer Mittelrhein berät und begleitet sie Menschen in Transfragen und weiß auch aus eigener Erfahrung, wie viel Unwissenheit, Diskriminierung und Leid Transpersonen in Koblenz erfahren, sei es im Umfeld, bei Behördengängen oder Arztbesuchen.

Auch ihre Verlobte, eine sogenannte cis-Frau, die sich ihrem bei Geburt zugeschriebenen Geschlecht zugehörig fühlt, erlebt diskriminierende Behördengänge, wenn sie etwa Mitarbeitern erklären muss, dass sie mit Patricia Pederzani nicht in einer Wohngemeinschaft lebe, sondern mit dieser verlobt sei. „Da ist auch in Koblenz noch viel zu tun“, sagt Pederzani. Ihre Vorbilder sind Mainz und Trier, in denen es Queerzentren gibt.

Wahl einer(s) Queerbeauftragten mitten in der Ratsperiode
Die erste Queerbeauftragte wurde im September 2020 gewählt, nachdem der Stadtrat im Juni 2020 die Einrichtung der ehrenamtlichen Stelle der(s) Queerbeauftragten mehrheitlich bei zehn Gegenstimmen und vier Enthaltungen beschlossen hatte. Ruby Nilges wurde die erste Amtsinhaberin in der Ratsperiode 2019 bis 2024. Aus persönlichen (gesundheitlichen) Gründen legte sie das Amt im August 2022 nieder.

Seitdem ist es vakant. Nun geht es um die Nachfolge, für die zwei Personen kandidieren. Die Vorauswahl in der Märzsitzung des Gleichstellungsausschusses scheiterte, nun gibt es am 21. April einen Sondertermin. Der Beschluss des Gremiums gilt als Empfehlung für den Stadtrat, der eine Person ins Amt wählt. Den ersten Antrag, die Stelle eines Queerbeauftragten bei der Stadt zu schaffen, gab es bereits 2014. Dieser scheiterte aber an der CDU-Mehrheit im Stadtrat. Sechs Jahre später, als sich die Verhältnisse im Stadtrat zugunsten der Grünen änderten, war ein Antrag von Grünen, SPD, WGS und Linke erfolgreich. kst

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