Wir haben mit Ruby Nilges über die Hintergründe und die vergangenen zwei Jahre gesprochen. Im Telefonat sagt sie: „Ich hätte das sehr gern weiter gemacht.“ Hinter den Kulissen läuft derweil ihre Nachbesetzung.
Die Queerbeauftragte vertritt „die Interessen der queeren Einwohner*innen der Stadt Koblenz“, so steht es auf der Internetseite der Stadt. Die Person soll zwischen der Stadtverwaltung und den in Koblenz lebenden queeren Menschen vermitteln, für jeden ansprechbar sein und bei Anliegen der queeren Gemeinschaft gehört werden.
Wenn ich meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht werde, möchte ich auch nicht erwarten, dass es der queeren Community reicht.
Ruby Nilges, ehemalige Queerbeauftragte
Ruby Nilges gehört selbst zur queeren Community. Als wir sie im November 2020 trafen – einen Monat nach ihrer Wahl –, wirkte die damals 24-Jährige voller Tatendrang, sich für eine vielfältige und diskriminierungsfreie Gemeinschaft einzusetzen. Die gelernte Altenpflegerin besuchte das Koblenz Kolleg, wo sie ihr Abitur nachmachte (2021 bestanden), und sie wirkt gern bei Initiativen mit, die sich für die queere Gemeinschaft einsetzen. Ruby Nilges sagte: „Ich engagiere mich generell gern, und ich denke, ich habe gute Ideen.“ Das sahen auch andere so. Ende September 2020 wählte der Stadtrat sie in das Ehrenamt.
Bis zum Ende der Stadtratsperiode (2024) hätte Ruby Nilges einige Zeit gehabt, ihre Ideen umzusetzen. Umso mehr überrascht es, dass sie nun aufhört. „Es sind gesundheitliche Gründe“, erklärt sie. Die 26-Jährige berichtet, dass sie schon bei Amtsantritt gesundheitliche Probleme hatte. „Aber damals war die Symptomatik nicht so problematisch.“
In der ersten Stunde war jemand da, was auch sehr interessant war.
Ruby Nilges hat eine Sprechstunde angeboten
Gern hätte sie sich stärker für ihr Amt eingesetzt. Wegen ihrer Probleme fand sie aber nicht genügend Zeit, die Dinge so anzupacken, wie sie es vorhatte. „Und wenn ich meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht werde, möchte ich auch nicht erwarten, dass es der queeren Community reicht.“ So schrieb sie Oberbürgermeister David Langner am 21. August eine entsprechende E-Mail, und seitdem ist die Stelle verwaist.
Ruby Nilges hatte nach der Wahl angekündigt, eine regelmäßige Sprechstunde anzubieten. Das tat sie auch. Aber das Angebot war kein Selbstläufer. „In der ersten Stunde war jemand da, was auch sehr interessant war.“ Danach kam niemand mehr zu ihr ins Büro. „Keine Ahnung, ob es nicht richtig auf den Kanälen beworben wurde“, sagt sie. Über die Pressemitteilungen der Stadt wurde drauf hingewiesen, auch auf der Internetseite der Queerbeauftragten, meint Ruby Nilges.
Ob sie sonst noch etwas anstoßen konnte? Die 26-Jährige erzählt, dass sie sich mit dem Oberbürgermeister und „Vertreter:innen“ von Queer Mittelrhein ausgetauscht und auch an anderen Stellen dafür geworben hat, queeren Vereinen mehr Gehör zu schenken. Durch ihre Berichte im Gleichstellungsausschuss und im Stadtrat wurde zudem öffentlich über Belange und Probleme von queeren Menschen gesprochen, wie schwer es zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt ist, wenn eine Transperson eine Stelle sucht, oder eine Wohnung.
Unternehmen, Behörden, Schulen sensibilisieren
Wichtig findet Ruby Nilges, Menschen zu unterstützen, die mehrfach diskriminiert werden, weil sie beispielsweise muslimisch und homosexuell oder transident und Flüchtling sind. Neben praktischer Hilfe durch Gespräche und Weitervermittlung hatte sie anfangs auch die Idee, Sensibilisierungsprogramme in Behörden, Schulen und bei Arbeitgebern anzustoßen, was aber über Gespräche nicht hinausging.
Ein Anliegen war und ist ihr, queere Menschen sichtbar im Stadtbild zu machen. Auf Werbebildern für Koblenz würden meist die traditionellen Paare abgebildet, sagt sie. „Man sieht sich nirgendwo vertreten. Dadurch entsteht das Gefühl, dass man nicht wichtig oder normal ist“, meinte sie im Gespräch 2020. Damals hatte sie die Idee einer Fotoserie mit dem Arbeitstitel „Wir sind Koblenz, wir sind offen und bunt“. Dazu tauschte sie sich auch mit der Koblenz Touristik aus, erzählt sie. Einen Vorstoß in die Richtung unternahm man dann auch und postete am Valentinstag 2021 auf Instagram ein homosexuelles Paar vor einer Burg. Laut Nilges zog dies negative Kommentare auf sich, was zeigt, dass für Vielfalt und Meinungsoffenheit in Koblenz noch viel zu tun ist.
Es müsste was geben, wo queere oder junge, grad geoutete Menschen, die nicht hetero oder cis sind, sich vernetzen und austauschen können.
Ruby Nilges
Was sie selbst gern erreicht hätte und in ihren Augen der Stadt fehlt, ist eine feste Anlaufstelle für queere Menschen, zum Beispiel ein Stammtisch. „Das fehlt Koblenz total“, betont sie. Es habe schon etliche Versuche gegeben, die aber allesamt gescheitert sind, meint die 26-Jährige. Klar, es gibt das Kurios, sagt sie. Aber weil dies eine Raucherkneipe ist, dürfen nur über 18-Jährige rein. „Es müsste was geben, wo queere oder junge, grad geoutete Menschen, die nicht hetero oder cis sind [Cis bedeutet, dass sich ein Mensch dem Geschlecht zugehörig fühlt, das ihm bei der Geburt zugeschrieben wurde, Anm. d. Red.], sich vernetzen und austauschen können.“ Das sei keine leichte Aufgabe, so einen sicheren Ort aufzubauen.
Für ihre Nachfolgerin oder einen Nachfolger gibt es noch einiges zu tun in Koblenz. Ruby Nilges wird sich privat weiter für die Belange der queeren Community engagieren, beispielsweise am 20. November, wo weltweit der Opfer transphober Gewalt gedacht wird (Stonewall Remember).
Was bedeutet queer?
Das Adjektiv „queer“ bedeutet laut Duden, dass eine Person „einer anderen als der heterosexuellen Geschlechtsidentität zugehörig“ ist. Das aus dem Englischen stammende Wort queer bezeichnet laut Wikipedia „Dinge, Handlungen oder Personen, die durch oder als Ausdruck einer sexuellen oder geschlechtlichen Identität von der gesellschaftlichen Cis-Heteronormativität abweichen“, beispielsweise schwule, lesbische, inter-, bi- oder transsexuelle Menschen. kst