„Ruhe in Frieden“: Nach dem brutalen Tod von Natalie B. stellten Angehörige, Freunde und Bekannte Kerzen, Blumen und Bilder der Getöteten vor das Haus. Mittlerweile ist sie beerdigt worden und es wird klar, dass sie schon seit Längerem unter ihrem Ex-Mann litt.
Die 38-jährige Mutter von sechs Kindern (7 bis 17 Jahre) hat den 43-Jährigen mehrfach angezeigt – erstmals vor drei Jahren. Sie erwirkte 2015 ein Kontaktaufnahme- und Wohnungsverbot, das 2016 verlängert wurde. An das hielt sie sich aber selbst nicht immer, um den Umgang mit den gemeinsamen fünf jüngeren Kindern zu regeln. Das bestätigt der Leitende Oberstaatsanwalt Harald Kruse auf Anfrage.
Die Beiträge und Fotos, die der 43-Jährige vor seiner Festnahme auf seinem Facebook-Profil veröffentlichte, zeigen den schmalen dunkelhaarigen Mann mehrmals mit seinen Kindern. Sie schwammen gemeinsam im Fluss, backten Plätzchen oder grillten. Am 3. August – knapp zwei Wochen vor der Tragödie – änderte der 43-Jährige sein Profilbild. Darauf ist der Vater umringt von seinen Kindern zu sehen. Alle heben auf dem Foto ihre Arme zur Siegerpose. Dazu schrieb er: „Ich kämpfe weiter für euch.“ Zwei Tage später teilte er mit, dass er seine Kinder vermisst. Weitere Einträge folgten. Am Abend vor dem blutigen Tag enden die Einträge: Er schreibt, dass er sich den Film „Mission impossible: Fallout“ in einem Koblenzer Kino angesehen hat. Der Film-Slogan steht auf dem geteilten Kinoplakat: „Manche Missionen lassen keine Wahl.“ Am nächsten Tag wurde Natalie B. getötet, und der Neuendorfer am Tatort festgenommen.
Natalie B. zeigte ihren damaligen Ehemann, von dem sie 2016 geschieden wurde, erstmals 2015 an: Zweimal soll der Deutsche mit algerischen Wurzeln sie geschlagen und einmal beleidigt haben. Eine der Anzeigen wegen Körperverletzung zog sie zurück und wollte „im Interesse des Familienfriedens keinen Strafantrag stellen“, erklärt Oberstaatsanwalt Kruse. 2016 verlängerte das Familiengericht das Kontaktverbot. Kurz darauf soll der Beschuldigte Natalie B. erneut bedroht, beleidigt und gegen die Anordnungen verstoßen haben.
Kerzen stehen am Tag der Bluttat vor dem Neuendorfer Hochhaus.
Doch die beiden rauften sich zusammen und einigten sich Ende Februar 2016 vor Gericht, um den Umgang mit den Kindern umfassend zu regeln. „Hierdurch sollten die Konflikte zwischen den Parteien umfassend erledigt werden“, teilt Harald Kruse mit. Bei einer weiteren Verhandlung bekräftigte Natalie B. einen Monat später, dass sie nicht mehr daran interessiert ist, dass der Beschuldigte strafrechtlich verfolgt wird, so der Leitende Oberstaatsanwalt. Die Verfahren wurden fallen gelassen.
Dann eskalierte der Streit erneut. Der mutmaßliche Täter soll heimlich Nacktaufnahmen von Natalie B. gemacht und diese Anfang 2018 übers Internet an einen Dritten geschickt haben. Auch pornografische Schriften soll er verbreitet haben. Das Amtsgericht Koblenz verurteilte ihn wegen „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs“ im Mai dieses Jahres zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 30 Euro. Weil er die 1800 Euro nicht zahlte, wurde eine Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Tagen angeordnet. Oberstaatsanwalt Rolf Wissen erklärt, dass er diese Strafe zurzeit in einer Justizvollzugsanstalt verbüßt. Die Untersuchungshaft ist unterbrochen und geht nach dem Absitzen der Ersatzfreiheitsstrafe weiter.
Die Polizei hatte den mutmaßlichen Täter spätestens seit 2015 im Blick. 2016 und 2018 führten die Beamten eine Gefährderansprache durch. Das geht aus einer Antwort der Landesregierung auf eine kleine Anfrage des AfD-Abgeordneten Joachim Paul hervor. Wie Joachim Winkler, Pressesprecher des Innenministeriums, erklärt, sollen diese Ansprachen bereits auffällig gewordene potenzielle Störer oder Täter davon abbringen, weitere Straftaten oder Störungen zu verursachen.
Natalie B. wurde am Donnerstagmittag des 16. August im Flur ihrer Wohnung in einem Neuendorfer Hochhaus gefunden. Sie war mit mehreren Messerstichen getötet worden. Nachbarn hatten Schreie gehört und die Rettungskräfte alarmiert. Für die 38-Jährige kam jede Hilfe zu spät. Ihr Ex-Mann ließ sich am Tatort widerstandslos festnehmen.