Koblenz/Nepal
Nach Tod von bekanntem Canyon-Sportmanager: Witwe eröffnet in seinem Namen Schule in Nepal
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Nina Keul (links) hält ein Bild ihres 2019 tödlich verunglückten Mannes Stefan in der Hand, daneben die kleine Gedenktafel.
Götz von Borries

Im März 2019 macht sich der Koblenzer Stefan Keul mit seiner Frau Nina auf zu einer Tour durch die Hochgebirge im Nepal und erfüllt sich damit einen Lebenstraum. Wenige Tage nach der Reise, am 7. April 2019, verunglückt der sportbegeisterte Radmechaniker, der durch seine Arbeit für Canyon in der Radsport- und Triathlonbranche bekannt ist, bei einem Fahrradunfall in Südtirol tödlich. Warum seine Frau vier Jahre später eine Schule im Nepal eröffnet hat.

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Nina Keul (links) hält ein Bild ihres 2019 tödlich verunglückten Mannes Stefan in der Hand, daneben die kleine Gedenktafel.
Götz von Borries

Im Frühjahr 2019 erfüllt sich Stefan Keul einen Lebenstraum. Gemeinsam mit seiner Frau Nina bricht der sportbegeisterte Westerwälder von Koblenz aus zu einer Trekking-Tour auf. 300 Kilometer mit dem Rucksack durch das Annapurna-Gebirge im nepalesischen Himalaya. „Stefan hat die Berge geliebt“, erzählt Nina Keul vier Jahre später im Gespräch mit unserer Zeitung – und schwärmt von der Reise. „Die Menschen, die wir dort kennengelernt haben, waren alle so toll zu uns.“ Keul sitzt in ihrer Wohnküche in Koblenz, während sie in den Erinnerungen schwelgt. Es sind die letzten, die sie mit ihrem Mann teilt.

Nur wenige Tage nach der Reise, am 7. April 2019, kommt Stefan Keul bei einem Fahrradunfall in Südtirol ums Leben. Durch seine langjährige Arbeit als Pro-Sport-Manager bei Canyon ist er vor allem in der Radsport- und Triathlonszene bekannt. Sein plötzlicher Tod bestürzt viele Menschen in der Region und reißt eine tiefe Lücke in das Leben seiner Frau. Die ist vier Jahre später ein weiteres Mal nach Nepal gereist. Hier, im Land von Stefans Träumen, hat sie eine Grundschule bauen lassen, in Gedenken an ihren Mann.

Unglück in Südtirol

Als Pro-Sport-Manager reiste Keul um die ganze Welt, betreute unter anderem die Triathlon-Weltmeister Jan Frodeno und Patrick Lange. Die Arbeit ist es auch, die ihn 2019 zwei Tage nach der Nepal-Reise nach Südtirol ruft. Dienstreise, Trainingslager mit dem Radsport-Team Alpecin. Nina Keul erinnert sich. „Von da kam er nie wieder zurück.“

Kurz zuvor hätte das Leben kaum besser aussehen können. „Den letzten Tag entspannt in Nepal genießen“, schreibt die Koblenzerin am 2. April 2019 bei Facebook unter einen Schnappschuss des Phewa, dem zweitgrößten See Nepals. Eindrucksvolle Wochen liegen da gerade hinter dem Ehepaar, von denen die 43-Jährige noch heute begeistert erzählt. Nur mit dem Nötigsten auf dem Rücken seien sie von Bergdorf zu Bergdorf durch das Annapurna-Gebirge gewandert. Tagsüber ging es immer weiter hinauf, auf 3000, 4000, 5000 Höhenmeter. Nachts kamen sie bei Einheimischen unter. „Die Leute hatten so gut wie nichts. Aber dieses Nichts teilten sie mit so einer inneren Freude.“

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"Thank you, Nina" steht auf dem großen Banner, das die Schüler selbst gestaltet haben. Mittlerweile hängt es in Keuls Wohnung in Koblenz an der Wand.
Götz von Borries

Das Problem mit der Bildung in Nepal

Besonders eine Menschengruppe hat es ihr angetan: die Schulkinder aus den Bergdörfern. „Auf nahezu jeder Etappe haben sie uns angesprochen, weil sie Stifte oder Süßigkeiten oder Geld haben wollten.“ Viele von ihnen hätten einen weiten Weg zur Schule gehabt – wenn sie denn überhaupt in eine gegangen seien, so Keul. Denn Bildung ist im Nepal bis heute keine Selbstverständlichkeit. Viele Nepalesen können weder lesen noch schreiben. Vor allem Mädchen und Kinder aus Familien, die im nepalesischen Kastensystem ganz unten stehen, haben es schwer.

Schon während ihrer Tour hätten sie oft über die Situation der Kinder gesprochen, erzählt Keul. Die Idee, eine Schule im Nepal zu bauen, kam ihr allerdings erst nach Stefans Tod. „Ich hatte das Bedürfnis, dem Land etwas zurückzugeben. Er konnte sich dort seinen letzten Traum verwirklichen.“ Doch wie setzt man die Idee von einer Schule mitten in Nepal in die Tat um?

Projekt am andern Ende der Welt

Die Polizeihauptkommissarin sucht Hilfe im Westerwald, genauer bei der Reiner Meutsch Stiftung Fly & Help. Die Stiftung baut Schulen in Entwicklungsländern, in Kooperation mit der Organisation United World School auch in Nepal. Keuls Entschluss ist klar: „Ich will einen Neubau finanzieren.“ Und siehe da, in einem kleinen nepalesischen Dorf namens Bulma, das rund zehn Stunden über Buckelpisten mit dem Jeep vom nächsten Flughafen entfernt liegt, plant United World School tatsächlich ein passendes Projekt, unter Mithilfe aufgeschlossener Dorfbewohner. Die haben den Schulbau überhaupt erst möglich gemacht. „Von der Dorfbelegschaft mussten sich mindestens 90 Prozent verpflichten, ihre Kinder, inklusive der Mädchen, in die Schule zu schicken“, betont Keul.

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Die nepalesischen Schulkinder haben Nina Keul beeindruckt. "Mit welcher Freude die Kinder dort in die Schule gehen. Das ist kein Müssen. Die freuen sich, dass sie dürfen."
Götz von Borries

Bereits im November 2020 erfolgt der Spatenstich für die „Bulma Primary School“. Seit März 2021 besuchen rund 100 Mädchen und Jungen, viele aus den untersten Kasten, die Schule. Dass sie erst jetzt offiziell von Keul eingeweiht wurde, hat einen bestimmten Grund: die Reiseeinschränkungen während der Coronapandemie.

Flug mit gemischten Gefühlen

Vor wenigen Wochen reist Keul „endlich“ nach Bulma, zum ersten Mal seit 2019 sitzt sie wieder im Flieger nach Nepal. Diesmal ist sie allein unterwegs. In ihrem Rucksack hat sie eine kleine ovale Gedenktafel für ihren Stefan mit dabei, die sie in der Schule aufhängen will. Auf ihrem Flug werden Erinnerungen an die letzte gemeinsame Reise wach. „Das letzte Mal saß er noch neben mir. Ich bin mit sehr gemischten Gefühlen geflogen, ich wusste nicht, was mit mir vor Ort passieren wird. Und klar gab es Momente, in denen es mich überkommen hat.“

Doch es sei auch eine heilende Erfahrung gewesen, diese zweite Reise in das Traumland ihres Mannes, merkt sie. Diesmal sind es nicht die Schulkinder im Annapurna-Gebirge, sondern in Bulma, die die Reise bereichern. „Mit welcher Freude die Kinder dort in die Schule gehen. Das ist kein Müssen. Die freuen sich, dass sie dürfen.“ Die Tage in Bulma samt feierlicher Eröffnungszeremonie und zahlreichen Workshops für die Schüler sind Tage vergehen wie im Flug, Keul ist zufrieden. „Ich bin sehr froh, die Entscheidung getroffen zu haben, diese Schule ins Leben zu rufen. Die Arbeiter vor Ort brennen so dafür, ihr Land nach vorne zu treiben“, resümiert sie.

Keul selbst hat die Gedenktafel in der Schule angebracht.
Götz von Borries

Das Beste: perspektivisch will der Staat Nepal die Grundschule von den Hilfsorganisationen übernehmen und für die laufenden Kosten des Betriebs aufkommen.Wenn die Schüler morgens die Schule betreten, kommen sie jetzt auch immer an Stefan Keul vorbei. Die Gedenktafel und ein Foto von ihm haben im Foyer einen Ehrenplatz erhalten. „A dream is only a dream until it becomes reality“, hat seine Frau auf die ovale Messingplatte eingravieren lassen.

Wer weitere Informationen zum Schulprojekt in Bulma erfahren oder den Betrieb der „Bulma Primary School“ finanziell unterstützen möchte, kann Nina Keul per E-Mail an nepal2023@web.de kontaktieren.

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