Was bringt eine 27-Jährige dazu, ihren Dackel in ein Paket zu packen und in einen Dönerladen zu werfen?
Nach Ausraster in Koblenz: Was brachte 27-Jährige dazu, ihren Dackel in Dönerladen zu werfen?
Hier ereignete sich der Dackel-Vorfall: Das Dönerrestaurant „Uludag” auf dem Mittelstreifen des Friedrich-Ebert-Rings in Koblenz.
Marc Thielen

Die Tante der jungen Frau hat sich bei unserer Zeitung gemeldet und beschreibt, was es bedeutet, wenn jemand eine Psychose hat, so wie ihre Nichte.

Hier ereignete sich der Dackel-Vorfall: Das Dönerrestaurant „Uludag” auf dem Mittelstreifen des Friedrich-Ebert-Rings in Koblenz.
Marc Thielen

„Wie verrückt ist das denn?“: Das wird vermutlich die häufigste Reaktion auf einen Vorfall gewesen sein, der weit über Koblenz hinaus Schlagzeilen gemacht hat. Eine junge Frau ist Anfang des Monats in den Dönerladen Uludag am Friedrich-Ebert-Ring gestürmt und hat ein Paket über den Tresen geworfen, das der Mitarbeiter geistesgegenwärtig auffing.

Wie sich herausstellte, war ein kleiner Dackel in dem Päckchen. Die Frau fuhr davon, über eine rote Ampel. Da sich ein Zeuge das Kennzeichen gemerkt hatte, konnte sie schnell ausfindig gemacht werden. Ein spektakulärer Fall. Doch was dahintersteckt, das macht einen nachdenklich und traurig.

Tante meldet sich bei der Rhein-Zeitung

Die Tante der jungen Frau hat sich bei der RZ gemeldet und will beschreiben, was es bedeutet, wenn jemand eine Psychose hat, so wie ihre Nichte. „Ja, dann sagen alle: ,Wie verrückt ist das denn?', oder in diesem Fall hier: ,Das arme Tier'“, sagt die 60-Jährige.

„Dabei liebt sie den Hund – aber dann kommt sie in eine Psychose rein, und dann ist eben alles anders.“ Vorher werde man aber ganz allein gelassen mit der Situation, sagt die 60-Jährige resigniert. Schon seit drei, vier Jahren eskaliert die Situation immer wieder.

Man wird total allein gelassen mit der Situation. Polizei und Ordnungsamt kommen erst, wenn etwas passiert ist,

berichtet die Tante der 27-Jährigen.

So auch diesmal: Seit Sommer hat die junge Frau den kleinen Dackel, nachdem ihr alter Hund mit 14 Jahren eingeschläfert werden musste, sie liebt den jungen Hund sehr, versorgt ihn fürsorglich. „Er hängt total an ihr, folgt ihr auf Schritt und Tritt“, beschreibt die Tante, mehrmals in der Woche sieht sie die beiden, denn die Nichte wohnt eigentlich bei ihr.

Die meiste Zeit verbringt diese aber bei ihrem Freund, beide arbeiten nicht. Sie nimmt dort auch nach Aussage der Tante Drogen. Die ohnehin labile Grundsituation der Nichte habe sich durch den Drogenkonsum enorm verschlimmert, beschreibt die Angehörige.

Man kann nichts machen

Irgendwann sagt die 27-Jährige: „Das ist nicht mein Hund! Den haben sie vertauscht!“ Mehrmals hatte sie auch schon die Tante im Verdacht, sie mit Kameras zu beobachten und ihr Schlimmes zu wollen. „Aber dann ruft man das Ordnungsamt und die Polizei an, und die unternehmen nichts, solange keine Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegt“, beschreibt die Karthäuserin. „Sie sitzt in ihrem total zugemüllten Zimmer, redet mit sich selbst und lacht irre. Und man kann nichts machen.“

Tatsächlich stellt eine zwangsweise Unterbringung eine Freiheitsbeschränkung dar, was im Sinne der Sorgfaltspflicht unbedingt berücksichtigt werden muss, so antwortet das Ordnungsamt auf Anfrage der Rhein-Zeitung. Wenn eine akute Eigen- und/oder Fremdgefährdung vorliegt (zum Beispiel bei Suizidandrohung oder -versuch oder gewalttätiger Aggression gegenüber Dritten), ist eine Unterbringung nach dem rheinland-pfälzischen Landesgesetz über Hilfen bei psychischen Erkrankungen (PsychKHG) möglich.

„Eine prophylaktische Unterbringung in der Psychiatrie, wenn zum Beispiel Angehörige, Vermieter, Nachbarn oder Arbeitgeber eine bevorstehende Eigen- oder Fremdgefährdung befürchten, ist ausgeschlossen“, so Stadt-Pressesprecher Thomas Knaak. „Für die vorläufige Unterbringung muss eine Akutsituation vorliegen.“

Für die vorläufige Unterbringung muss eine Akutsituation vorliegen.

Dieser Satz stammt aus der Antwort des Ordnungsamtes.

Für eine Zwangseinweisung ist ein ärztliches Zeugnis erforderlich, in dem die akuten Eigen- und/oder Fremdgefährdungsaspekte aufgrund einer psychischen Erkrankung benannt werden müssen, beschreibt Knaak weiter. „Es handelt sich zunächst immer um eine vorläufige Unterbringung, die nachträglich durch einen Amtsrichter bestätigt werden muss. Die Unterbringungsdauer wird durch den Richter festgelegt und beträgt maximal sechs Wochen.“

Ein paar Mal in den vergangenen Jahren ist die Koblenzerin dann doch in die Rhein-Mosel-Fachklinik eingewiesen worden, als sie ihre Tante angegriffen hatte zum Beispiel. Aber sie weigert sich dann, Medikamente zu nehmen, berichtet die Tante, und auch die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung verweigert sie. „Dann ist sie nach ein paar Wochen wieder da und geht zu ihrem Freund, und das Gleiche geht von vorn los“, beschreibt die Angehörige.

Warum sie den Hund in ein Paket packt, ist unklar

Diese Spirale hat es auch diesmal genommen: Die 27-Jährige kommt immer mehr in eine Psychose, das sieht die Tante, aber sie kann es nicht verhindern. Dann packt die Nichte den Hund, von dem sie sich beobachtet und bedroht fühlt, in ein Paket und wirft dies in den Dönerladen – warum dorthin, ist unklar.

In dem Paket sind sogar ihr Name und die Adresse notiert, und eine Schale mit Wasser für den Hund steht dabei. Zeugen haben sich zudem das Kennzeichen des Autos notiert, sodass sie schnell ausfindig gemacht werden kann. Bei ihr werden Cannabisrückstände im Blut festgestellt, in der Wohnung des Lebensgefährten Betäubungsmittel gefunden. Gegen beide laufen nun Anzeigen.

In der Nacht steht sie vorm Haus der Tante

Die Polizisten nehmen die junge Frau mit, vernehmen sie. Dann wird sie wieder freigelassen. In der Nacht steht sie vor dem Haus der Tante, es ist eisig kalt. „Sie hätte erfrieren können“, sagt die 60-Jährige, „wie kann man sie einfach in diesem Zustand gehen lassen?“

Aber auch hier gilt: Die junge Frau wurde nicht in Gewahrsam genommen, da bei ihr keine Hinweise auf eine Fremd- oder Eigengefährdung festgestellt werden konnten, so Verena Scheuer von der Pressestelle des Polizeipräsidiums. „Wenn diese Merkmale nicht vorliegen, hat die Polizei keine Handhabe, Personen weiter festzuhalten und damit in ihrer Bewegungsfreiheit massiv einzuschränken.“

Grundsätzlich sei es immer möglich, von der Dienststelle aus einen Anruf zu tätigen, um ein Taxi oder eine andere Mitfahrgelegenheit zu organisieren. „Die Polizei lässt daher niemanden ohne ein Hilfsangebot aus der polizeilichen Obhut.“

Doch um Hilfe anzunehmen, ist die junge Frau viel zu tief in ihrer Psychose verstrickt, beschreibt die Tante. In den Folgetagen nach dem Dackelwurf sitzt sie wieder in ihrem Zimmer im Haus der Tante, spricht vor sich hin, wird immer wirrer. Dann schüttelt sie ihre Tante, beschuldigt sie, ihr etwas Böses zu wollen. Wieder ruft die Koblenzerin Hilfe, und diesmal kommen die Mitarbeiter von Ordnungsamt und Polizei. Im Moment ist die Nichte deshalb wieder in der Klinik – und der kleine Hund noch im Tierheim. Ihm geht es gut, berichtet Tierheimleiterin Kirstin Höfer auf der Facebook-Seite des Tierheims.

Zuverlässigkeit ist nicht gegeben

Dem Hund sei es offenbar immer gut gegangen, er sei nicht verstört. Wie es mit ihm weitergeht, ist noch unklar, zur Vermittlung ist er jedenfalls (noch) nicht frei. „Ob die Dackeldame zu ihrer Besitzerin zurückkommt, werden die Polizei, die Staatsanwaltschaft und das Veterinäramt entscheiden“, erklärt Kirstin Höfer in einem Beitrag von TV Mittelrhein und spricht sich dagegen aus, dass der kleine Dackel zu seiner Besitzerin zurückkommt: „Tiere brauchen zuverlässige Menschen, die sich um sie kümmern. Und diese Zuverlässigkeit ist hier nicht gegeben.“

Wie es mit der jungen Frau weitergeht, ist unklar. „Sie muss einfach mal weiter weg“, sagt ihre Tante, mal zur Ruhe kommen, ohne Drogen, ohne das Umfeld, am besten eine Langzeittherapie für traumatisierte Menschen machen. Muss ihr Leben aufarbeiten, das von Verlusten gekennzeichnet war, mit dem sehr frühen Tod der Mutter und einem schwierigen Verhältnis zum Vater, wie die Tante erzählt. Doch eine Unterbringung in einer Einrichtung müsste angeordnet werden, weil die junge Frau selbst sie ablehnt. Und das passiert nicht. „Wir haben sie sehr lieb“, sagt die Tante. „Aber wir können nicht mehr.“

Viele weitere Fälle in Koblenz

Es ist im Übrigen bei Weitem nicht der einzige Fall in jüngster Zeit in Koblenz, bei dem Psychosen eine Rolle spielen: Der Mann, der im März auf ein Kleinkind im Kinderwagen nahe dem Bahnhof in Koblenz eingestochen hat, litt unter Psychosen, und auch die Frau, die in ihrer Wohnung im Altengraben vor knapp einem Jahr einen Mann getötet und die Leiche zersägt haben soll, soll laut Einschätzung des Gerichts eine Borderline-Störung haben.

Was ist eine Psychose?

Psychose ist ein Überbegriff für schwere psychische Störungen, bei denen die Betroffenen den Bezug zur Realität verlieren, ist im Internet auf der Seite netdoktor.de zu finden. „Dadurch nehmen sie sich selbst und ihre Umwelt verändert wahr: Typische Anzeichen sind Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Zudem entwickeln sich oft Störungen im Denken und in der Motorik.“

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