Virus grassiert seit 14 Monaten in Stadt und Region - Jeder Zehnte mit schwachem Verlauf leidet später schlimm
Leichte Corona-Erkrankung, schwere Folgen: Ärzte im BWZK Koblenz sehen immer mehr Post-Covid-Patienten
Völlig erschöpft und kein Konzentrationsvermögen: Wer die Corona-Infektion gut weggesteckt hat, kann trotzdem plötzlich Probleme haben, auch nach schwachen Verläufen können Spät- und Langzeitfolgen auftreten. Das erleben Mediziner in Koblenz und der Region täglich.
picture alliance / dpa

Koblenz/Region. Seit mehr als einem Jahr hält uns das Coronavirus in Atem. Anfangs war noch nichts über Spät- oder Langzeitfolgen bekannt. Wie auch? Das ist heute, gut 14 Monate, nachdem der erste Mensch mit Corona im Bundeswehrzentralkrankenhaus (BWZK) in Koblenz behandelt wurde, natürlich anders. Auch Wochen nach einer überstandenen leichten Corona-Infektion können schwere Folgen auftreten. Die enorme Bandbreite bezeichnen heimische Infektiologen als medizinisch beeindruckend – wer kein Arzt ist, nennt sie wohl eher besorgniserregend.

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Völlig erschöpft und kein Konzentrationsvermögen: Wer die Corona-Infektion gut weggesteckt hat, kann trotzdem plötzlich Probleme haben, auch nach schwachen Verläufen können Spät- und Langzeitfolgen auftreten. Das erleben Mediziner in Koblenz und der Region täglich.
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Ungewöhnlich für ein Virus, das vor allem die Atemwege befällt, ist, dass viele Patienten später unter neurokognitiven Problemen leiden, weiß Lungenfacharzt Dr. Frank Müller. Der Infektiologe vom Bundeswehrzentralkrankenhaus berichtet, dass die Betroffenen vor allem darüber klagen, dass sie todmüde und völlig erschöpft sind (Fatigue-Syndrom). Die kürzesten Wege in der Wohnung erscheinen dann kaum machbar. Etliche klagen auch über arge Konzentrationsprobleme. Und: „Viele vergessen Sachen ähnlich wie Demenzpatienten.“ Müller meint aus medizinischer Sicht: „Das ist wirklich beeindruckend, was alles auftreten kann.“

Prof. Dr. Christoph Bickel ist Direktor der Inneren Medizin am BWZK. Er zählt im Gespräch weitere Folgen auf, die nach einer überstandenen Corona-Infektion auftreten können: Abgeschlagenheit, Ängste, Depressionen, Kurzatmigkeit, Husten, Auswurf, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Muskelschwäche, Schlafstörungen und innere Unruhe.

Prof. Dr. Christoph Bickel, Direktor der Inneren Medizin
Katrin Steinert

In Koblenz und im Kreis Mayen-Koblenz haben sich bislang insgesamt 11.303 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Unklar ist, wie viele von ihnen tatsächlich an Langzeit- oder Spätfolgen leiden, weil das nicht erfasst wird. Der Lungenfacharzt Frank Müller, der mit zwei Kollegen zusammen die beiden Corona-Stationen im BWZK betreut, sagt: „Das Besondere bei Covid-19 ist, dass auch leichte Erkrankungen später einen schweren Verlauf haben können.“ Bei Corona-Kranken, die zuvor schon schlimm betroffen waren, rechnete man mit möglichen Folgen. Aber bei seichten?

Einen Richtwert für die Zahl der Betroffenen, die an Spät- und Langzeitfolgen leiden, kann Prof. Bickel geben. Er berichtet im Gespräch mit unserer Zeitung von einer amerikanischen Studie mit 70.000 Patienten, die einen leichten Corona-Krankheitsverlauf mit wenigen Symptomen hatten. Die Untersuchung wurde Ende April 2021 veröffentlich. Darin wurde der Gesundheitszustand von 73.000 US-Veteranen, die eine leichte Corona-Erkrankung erlebt hatten, mit dem von 5 Millionen nicht infizierten US-Veteranen verglichen. Bickel berichtet: „Hierbei zeigte sich sogar eine höhere Sterblichkeit auch in der nur leicht an Covid erkrankten Gruppe.“ Auf 1000 Patienten kamen nach sechs Monaten 8,4 mehr Todesfälle im Vergleich zu den nicht infizierten US-Veteranen. Sie zeigten auch einen deutlich höheren Anteil an neurokognitiven Störungen, Herzkreislauf-, Magendarm- und Atemwegerkrankungen. Post-Covid-Patienten brauchten daher erheblich häufiger zusätzliche Medikamente etwa Lungensprays wie Asthmamedikamente und Kortison, aber auch Herzkreislaufmedikamente.

Dr. Frank Müller, Lungenfacharzt und Infektiologe.
Katrin Steinert

Im BWZK stellten die Fachärzte zum Jahreswechsel fest, dass immer mehr Menschen mit Spät- oder Langzeitfolgen bei ihnen Rat suchten, weil sie noch immer nicht fit waren. Lungenexperte Frank Müller sagt: „Wir überlegten, was wir tun können.“ Im März wurde eine eigene spezielle Sprechstunde in der Ambulanz der Inneren Medizin für diese Nach-Corona-Patienten eingerichtet. Dort werden 80 Menschen betreut, zumeist Soldaten und ein paar Privatpatienten. Der Zulauf ist enorm. Frank Müller sagt: „Wir haben eine riesige Warteliste.“ Auch auf den normalen Krankenhausstationen liegen Menschen, die an Spätfolgen leiden. Prof. Bickel berichtet: „Da ist ein Mann, dessen Lunge stark betroffen war.“ Der liegt nun auf der Kardiologie und kämpft mit den Spätfolgen, der Erschöpfung und der starken Luftnot. „Er kann nur ganz mühsam kleine Wege, beispielsweise zur Toilette gehen, und ist noch auf zusätzliche Sauerstoffgabe angewiesen.“

Dr. Dominic Rauschning, Internist und Infektiologe
Katrin Steinert

Dr. Dominic Rauschning betreut als Internist und Infektiologe ebenfalls die Corona-Stationen und die Fach-Sprechstunde. Er stellt fest, dass viele junge Leute, 20- bis 30-Jährige, Hilfe suchen. „Viele haben ihre leichte Corona-Erkrankung ambulant durchgemacht, waren zu Hause, und haben jetzt monatelang mit schweren Erschöpfungen zu kämpfen.“ Dass auch ältere Betroffen sind, sei keine Frage. „Aber bei den jungen Menschen fällt das auf, weil sie im Berufsleben stehen und es auch um eine mögliche Arbeitswiedereingliederung geht“, sagt Dominic Rauschning.

Je nach Befund verschreiben die Ärzte vom BWZK den Betroffenen Physiotherapie, Atemgymnastik, Konzentrationstraining, cortisonhaltige Medikamente oder auch seltener Sauerstofftherapie. Frank Müller betont: „In vielen Fällen ist aber Geduld ein ganz wichtiger Faktor.“ Es hilft den Betroffenen oft schon, wenn sie wissen, dass es einfach Zeit braucht, bis sie wieder auf die Beine kommen. Mittlerweile gibt es auch immer mehr Reha-Kliniken, die spezielle Programme für Corona-Patienten anbieten, die an Folgeerscheinungen leiden, berichtet Frank Müller.

Die Medizinier raten generell als Vorsorge dazu, sich impfen zu lassen und die AHA-Regeln sowie das regelmäßige Lüften zu berücksichtigen. Prof. Dr. Bickel nimmt dabei vor allem die jungen Leute in den Blick, die gesund sind und sich nicht impfen lassen wollen, weil sie denken, ihnen könne das Coronavirus nichts anhaben. „Das Risiko ist bei einer Impfung minimal im Vergleich dazu, was eine Covid-Erkrankung an schweren Folgen haben kann.“ Das sehen er und seine Kollegen jeden Tag mit eigenen Augen.

Sind auch Sie von Langzeit- oder Spätfolgen betroffen? Erzählen Sie uns vertraulich, wie Sie noch heute durch Ihre Corona-Erkrankung eingeschränkt sind per E-Mail

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