Auf Hagelunwetter folgte Dürre
Und ein weiteres Ereignis in der ersten Jahreshälfte verhagelte einigen Obstbauern im Kreisgebiet und darüber hinaus im wahren Wortsinn die Ernte: Ein Unwetter zog am 20. Mai übers Land, der Sturm riss Bäume um und Äste ab, faustgroße Hagelkörner beschädigten nicht nur Auto- und Hausdächer, sondern trafen sehr punktuell und lokal auf Anbauflächen. Viele Landwirte kamen mit einem blauen Auge davon, die VG Pellenz, aber auch Andernach mit ihrem Gemeinschaftsgarten Edicitnet und dem Permakulturgarten in Eich sind besonders in Mitleidenschaft gezogen worden – mit starken Einbußen für die diesjährige Ernte.
Auf dieses feuchte Intermezzo folgte in den nächsten Wochen eine Dürre, „fast zehn Wochen ohne Niederschläge“, resümiert Wolfgang Karbaum, Vorsitzender des Kreisverbandes des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau. Er stellt rückblickend fest: „Am Hagel gibt es nichts Gutes, aber es war auch Glück, dass er für die Region Feuchtigkeit mitgebracht hat.“ Und nach seinem Kenntnisstand waren die betroffenen Landwirte gegen Hagelschäden versichert und haben diese ausgeglichen bekommen.
Wolfgang Karbaum hat einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Milchvieh, Ackerbau und Direktvermarktung in Vallendar, den er vor drei Jahren auf Bio umgestellt hat. Im Gespräch mit unserer Zeitung blickt er auf das vergangene Jahr zurück: Ein wichtiger Leitsatz ist für Karbaum: „Wir Landwirte müssen von der Landwirtschaft leben können. Aber noch viel wichtiger ist es, dass wir die Menschen in Deutschland mit unseren Produkten versorgen können und sie sich diese leisten können.“ Im Hinblick auf diese Maxime zieht Karbaum ein positives Fazit für das abgelaufene Jahr, auch wenn viele Unwägbarkeiten die Landwirte immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt haben.
Zuerst sei – wie oben geschehen – das Wetter zu nennen. „Einige hatte es mit den Wetterkapriolen ärger getroffen“, resümiert Karbaum, aber „dieses Jahr sind wir zufriedener als vergangenes Jahr, da war die Nässe das große Problem.“ Aber auch die Dürre im Sommer konnten die meisten gut wegstecken. „Im Futteranbau haben wir Glück gehabt, dass ab September gutes Wetter mit Niederschlag war. Wie gut Pflanzen mit Trockenheit umgehen können, ist aber auch stark von der Bodengüte abhängig – die ist regional sehr unterschiedlich“, nennt Karbaum verschiedene Faktoren. „Alle Extreme taugen nichts.“
Der Sommer war wieder deutlich zu warm
Wetterfachmann Jürgen Schmidt vom Wetterkontor, der der RZ täglich das Wetter vorhersagt, ordnet das Wetter ähnlich ein: Das schwere Hagelunwetter sei für unsere Region untypisch: „Wir sind ja eigentlich eine eher ruhige Ecke bezüglich Gewittern und Unwettern.“ Und weiter: „Der Sommer und vor allem die Monate Juli und August waren schon sehr trocken und vor allem der August auch deutlich zu warm.“ Er nennt Zahlen: Im Juli fielen nur 18 Prozent, im August 24 Prozent des 30-jährigen Mittelwerts für Niederschlag. Damit setzt sich die Entwicklung von zu warmen und zu trockenen Sommern in den vergangenen Jahren fort, wenn man bei der Betrachtung 2021 auslässt, das vor allem im Juli und August zu kühl und feucht gewesen seien.
Doch damit nicht genug: Auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat direkte Folgen für die hiesige Landwirtschaft. So sind die Landwirte – wie ein jeder – von den steigenden Kraftstoffpreisen betroffen, wenn sie ihre Felder bearbeiten. Preise für Düngemittel haben sich drastisch erhöht, und auch die Werkstattstunde sei teurer geworden, nennt Karbaum direkte Folgen.
Hinzu kommt die Zurückhaltung der Kunden, die für die Direktvermarkter einen drastischen Einschnitt bedeuten: „Vom Beginn des Krieges bis in den Mai hinein ist der Absatz um 50 Prozent zurückgegangen“, sagt Karbaum. Nun habe es sich wieder etwas stabilisiert. Einerseits sei es verständlich, dass die Menschen sparen und dies auch bei Lebensmitteln passiere, aber „für die hiesigen Erzeuger ist es problematisch“. Denn seiner Erkenntnis nach seien die Preise entgegen der allgemeinen Entwicklung im Einzelhandel bei den Direktvermarktern im Jahresverlauf recht stabil geblieben.
Angebot und Nachfrage bestimmen auch in der Landwirtschaft den Preis
Gleichzeitig haben sich die Erzeugerpreise recht gut entwickelt. Als Beispiel nennt er Getreide- und Milchpreise, die sich im Jahresverlauf stabilisiert oder gar positiv entwickelt haben. Doch darauf folgt sogleich ein großes Aber: Aus dieser Entwicklung lassen sich keine Schlüsse für die Zukunft ziehen, eine Prognose sei wie ein Blick in die Glaskugel. „Bei den Landwirten geht eine gewisse Angst um.“
Die Ursachen sind vielschichtig, es ist eine schwierige Gemengelage. Die Landwirtschaft konnte im Frühjahr von den Lieferengpässen und Spekulationen am Getreidemarkt profitieren. Das hatte zur Folge, dass die Landwirte mehr anbauten, um von dieser Entwicklung zu profitieren. Mittlerweile ist es für die Ukraine wieder möglich, Getreide zu exportieren. „Das Getreide aus der Ukraine ist günstiger als das deutsche.“ Und an diesem Punkt gilt wieder: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Und eine Vorhersage, wie er sich 2023 entwickeln wird, ist unmöglich. Aber: „Es ist die Rede davon, dass die Preise für Schweine, Milch und Weizen sinken“, berichtet Wolfgang Karbaum und ergänzt: „Wenn die Erzeugerpreise runtergehen, geht viel Liquidität verloren. Das Risiko von jedem Einzelnen wird immer höher.“
Appell an die Politik: Die deutsche Landwirtschaft muss mehr geschützt werden
Eine Entwicklung aus diesem Jahr wird seine Wirkung erst im nächsten Jahr ausbreiten: die über das Jahr verteilte, sukzessive Erhöhung des Mindestlohns von 9,82 Euro über 10,45 Euro seit Juli auf 12 Euro pro Stunde seit Oktober, der auch 2023 weiter Bestand haben wird. Dass die 12 Euro erst seit Oktober erst seit Oktober gelten, sei erst mal positiv für die Landwirtschaft gewesen, weil bis dahin der größte Teil der anfallenden Arbeiten getan ist, resümiert Karbaum und relativiert in gewisser Weise diese Aussage: „Es ist nicht so, dass wir Landwirte den Menschen den Mindestlohn nicht geben möchten, wir müssen es aber auch können. Irgendwann wird das Obst an den Bäumen und Sträuchern bleiben und das Gemüse auf der Erde, weil sich die Landwirte die Ernte nicht mehr leisten werden können.“
Und weiter: „Wir stellen gerade bei den Energiepreisen fest, dass die Abhängigkeit von anderen Ländern sehr problematisch ist.“ In anderen Ländern seien Löhne viel niedriger, was sich auch direkt auf die Preise auswirke. Zugleich habe Deutschland mit die höchsten Standards, was das Tierwohl betrifft, „dadurch bekommen Verbraucher hochwertige, regionale Lebensmittel“. Aus dieser Gemengelage ergibt sich für Karbaum: „Deutsche Produkte sind nicht mehr konkurrenzfähig. Die deutsche Landwirtschaft muss mehr geschützt werden, statt sie durch Gesetze und Auflagen weiter einzuschränken.“