Das Landesjagdgesetz sieht vor, dass es in den Wäldern Bewirtschaftungs- oder Freigebiete gibt. In ersteren wird unter anderem Rotwild kontrolliert bejagt – in den Freigebieten aber muss alles Rotwild erlegt werden. „Alles“, betont Lenz, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Es gibt also kein Jungtier mehr, kein Muttertier und keinen jungen Hirsch.“ Ein Totalabschuss. Nur für Hirsche über dem dritten Lebensjahr gibt es eine Ausnahme: Diese dürfen ausschließlich mit Genehmigung der Jagdbehörde erlegt werden.
Die Entscheidung, dass der Koblenzer Stadtwald ein Freigebiet ist, in dem so gut wie kein Rotwild mehr leben darf, hat das damals für den Forst zuständige Ministerium 1989 getroffen, als die Bewirtschaftungsgebiete ausgewiesen wurden, teilen Stadt und Forstamt auf Anfrage mit. Sie selbst haben dies demnach nicht entschieden.
Der beinahe komplette Abschuss von Rotwild in vielen Gebieten hat einen wirtschaftlichen Grund, und das bestätigen auch Stadt und Forstamt: „Die Interessen des Waldbesitzers und der Grundstückeigentümer stehen im Vordergrund.“ Kreisjagdmeister Marcus Schuck bestätigt ebenfalls: „Hier zählen rein ökonomische Interessen.“
Zu viel Rotwild kann den Bäumen tatsächlich schaden. Die Tiere schälen dann zum Beispiel die Rinde ab. Konrad Lenz zufolge geschieht das aber vor allem, weil es zu viele Störungen in der Natur gibt: Rotwild gelangt nicht mehr an die natürliche Nahrung wie Gras, Kräuter oder Blätter. Die Störfaktoren im Stadtwald sind zum Beispiel Mountainbikestrecken, Spazier- und Wanderwege, Grillhütten und der Trimm-dich-Pfad.
Der Wald ist ein Ort der Naherholung für die Menschen in der Stadt –, und das passt offensichtlich nicht immer mit dem Lebensraum für Wildtiere zusammen. „Früher gab es Ruhezonen im Wald, in denen das Wild nicht bejagt wurde und sich zurückziehen konnte“, erinnert sich Lenz. Heute gebe es das nicht mehr, auch wegen der Freizeitangebote.
Für ihn ist die Regelung im Landesjagdgesetz ohnehin widersprüchlich: Einerseits soll sie dazu beitragen, einen artenreichen und gesunden Wildbestand zu erhalten und zu entwickeln – andererseits aber soll Rotwild verschwinden.
Lang war der Stadtwald trotz Gesetz nicht rotwildfrei, weil frühere private Jagdpächter die Bestimmungen nicht einhielten, so Stadt und Forstamt. „Dies führte zu vermehrten Konflikten zwischen den Interessen der Jagdpächter und der Stadt Koblenz als Waldeigentümerin aufgrund der zunehmenden Verbiss- und Schälschäden.“
Seit 2014 bewirtschaftet die Stadt nun den Teil des Stadtwaldes selbst, der an das Rotwildgebiet Rhens angrenzt. Die anderen Reviere wurden an neue Pächter vergeben. Seitdem gibt es weniger Rotwild und weniger Schäden an den Bäumen. Grundsätzlich gilt weiterhin, dass das Rotwild im Stadtwald nicht leben darf, aber dieses „kommt halt auch dort vor“. Tatsächlich sei es wichtig, dass die Wälder gesund sind, aber ein Grundbestand an Rotwild müsse immer erhalten bleiben, findet Konrad Lenz. „Wenn man alle schießt, widerspricht das dem Ziel, einen gesunden, artenreichen Wildbestand zu erhalten“, ist er überzeugt. „Ökologisch gesehen ist Rotwild nicht schädlich, sondern eine Bereicherung“, ergänzt Marcus Schuck.
Unterm Strich weiß Lenz: Der Holzertrag im Stadtwald, der auch Einnahmen für die Stadt bedeutet, muss stimmen. Er ist aber auch überzeugt: „Deshalb kann man nicht eine ganze Art in einem Gebiet ausrotten.“