Wie Susanne Barth durch ihr geerbtes Trauma zu ihrer Berufung findet
Kriegsenkel sind ihr Herzensthema: Susanne Barth aus Winningen hilft mit therapeutischem Schreiben weiter
Susanne Barth beschäftigt sich viel mit der Geschichte ihrer Eltern, die als Kinder den Zweiten Weltkrieg erlebten. Heute weiß die Winningerin, dass ihre große innere Traurigkeit durch das entstanden ist, was ihre Eltern als Kinder erlebten und unverarbeitet an sie weitergaben. Als Coach hilft sie anderen Menschen, durch emotionales therapeutisches Schreiben ihre Themen anzuschauen und anzunehmen. Foto: Mira Zwick
Mira Zwick

Susanne Barth sitzt lächelnd an ihrem langen weißen Esstisch, Kerzen flackern, Tee der Sorte „Frauenpower“ verströmt seinen Duft. „Dann muss ich mich heute also mal zeigen“, sagt sie – etwas hadernd. Denn eigentlich bringt die Winningerin andere Menschen dazu, sich zu öffnen, mithilfe des Schreibens die eigenen Gefühle zu ergründen und sich selbst besser kennenzulernen. Als Coach für therapeutisches gilt ihr besonderes Interesse dabei dem Thema Kriegsenkel.

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Susanne Barth beschäftigt sich viel mit der Geschichte ihrer Eltern, die als Kinder den Zweiten Weltkrieg erlebten. Heute weiß die Winningerin, dass ihre große innere Traurigkeit durch das entstanden ist, was ihre Eltern als Kinder erlebten und unverarbeitet an sie weitergaben. Als Coach hilft sie anderen Menschen, durch emotionales therapeutisches Schreiben ihre Themen anzuschauen und anzunehmen. Foto: Mira Zwick
Mira Zwick

Kriegsenkelin. diesen Begriff hatte Susanne Barth bis 2009 noch nie gehört. Sie stand bei Reuffel vor einem Büchertisch, auf dem verschiedene Werke zu dem Thema bereitlagen. Barth entschied sich für „Kriegsenkel“ von Sabine Bode. Und sie war wie elektrisiert. „Wie war das denn bei Ihren Eltern und Großeltern?“, fragt sie interessiert die Reporterin, um gleich festzustellen, dass es in diesem Gespräch doch um sie geht.

Eigentlich hat sie alles, und spürt dennoch eine große Traurigkeit

Barth erinnert sich zurück. 2009, das ist auch das Jahr, in dem ihr Vater starb. Heute weiß sie, dass er ihr ein nicht ganz leichtes Erbe hinterlassen hat. Schon vorher spürte sie es, konnte es aber nicht einordnen: „Ich hatte eine unfassbar große Traurigkeit in mir. Und sie war unerklärlich für mich, es gab eigentlich keinen Grund“, erzählt sie. Sie hatte ein Haus, drei Töchter, war Innenarchitektin gewesen, bevor sie voll in den Winzerbetrieb ihres Mannes eingestiegen war – „eigentlich war alles gut“, und trotzdem spürte sie stets eine innere Unruhe, tendierte zum Workaholic, „und stand kurz vor dem Burn-out“, kann sie heute rückblickend sagen. Das Buch von Sabine Bode und alle, die darauf folgten, gaben ihr eine Erklärung.

Auch Barth war vom Krieg traumatisiert, als Nachfahre ihrer Eltern, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt hatten. „Was ich an nicht gelösten Traumata habe, gebe ich an die nächste Generation weiter – sowohl genetisch als auch durch mein Verhalten“, erläutert sie.

Ganz viele Dinge, die wir an unserem Verhalten nicht erklären können, können auf Entwicklungs- und Bindungstraumata zurückgeführt werden.

Suanne Barth, Coach für emotionales und therapeutisches Schreiben

Ihr Vater war vor dem Krieg geflüchtet und kam im Alter von 13 Jahren in verschiedene dänische Internierungslager, wo er mit Frauen und alten Menschen in offenen Baracken gefangen war, in dreigeschossigen Stockbetten schlafen musste. „Er hat seine ganze Jugend dort verbracht, und ich glaube, er hat nie darüber getrauert“, sagt sie voller Mitgefühl. „Das Leben musste weitergehen.“

„Meine Mutter war zehn Jahre alt, als meine hochschwangere Großmutter mit ihren vier Töchtern bei minus 20 Grad mit dem Treck vor den Russen flüchtete“, schreibt Barth auf ihrer Internetseite. Die Traumata, die sie erlitten, blieben unüberwunden. Über diese Erfahrungen haben die Eltern von Susanne Barth nie mit ihr in ihrer Jugend gesprochen. Zugleich spielt es auch eine große Rolle, dass die Meinung vorherrschte, dass die Eltern- beziehungsweise Großelterngeneration eben auch Täter war, wenn nicht aktiv, dann doch in vielen Fällen passiv, weil sie sich nicht gegen das Dritte Reich auflehnte. „Sie durften keine Opfer sein, sie durften nicht trauern“, sagt Barth, „das ist heute eine ganz andere Situation, allein schon weil es Psychotherapie gibt.“

Die eigenen Eltern erlebten als Kinder den Zweiten Weltkrieg

All dies und weitere Erkenntnisse bestätigen Susanne Barth darin, dass die Traumata der Kriegsgeneration an die Nachfahren weitergegeben werden. Sie erläutert es an einem Beispiel: Durch das Kriegstrauma, das ihre Eltern erlitten haben, waren sie nicht in der Lage, Susanne Barth vor allem als Säugling und Kleinkind die Geborgenheit zu schenken, die so wichtig ist für die Entwicklung, wie man heute weiß. Das sagt sie, ohne damit ihren Eltern einen Vorwurf machen zu wollen. „Die waren selbst so in Aufruhr, die konnten mir gar nicht die Ruhe und Geborgenheit geben, selbst wenn sie es wollten und dachten, sie könnten es.“

Immer tiefer stieg Barth in den vergangenen Jahren in die Thematik ein – und tut es immer noch. So kann sie sich mittlerweile vieles erklären: „Ganz viele Dinge, die wir an unserem Verhalten nicht erklären können, können auf Entwicklungs- und Bindungstraumata zurückgeführt werden“, sagt sie.

Susanne Barth will Dinge wieder ins Lot bringen

Aus diesem Interesse heraus hat sich in den vergangenen Jahren ihre Lebensaufgabe entwickelt: „Diese Dinge für mich und auch für andere wieder ins Lot bringen.“ Vor vier Jahren trennte sie sich von ihrem Ehemann. Das war auch die Zeit, in der sie sich dazu entschied, eine Coachingausbildung zu absolvieren. „Da habe ich unter anderem gelernt, dass man das zum Thema nimmt, worüber man einen ganzen Abend reden kann und zig Bücher gelesen hat.“ Und dann kam Corona. Treffen im wahren Leben waren nicht mehr möglich, und dennoch fügte sich einiges zum Positiven für Barth.

Sie gab ein Interview für einen Kriegsenkelkongress, bei dem sie selbst auch ein Angebot machen sollte. Und die Idee war geboren, das Schreiben – ihr ewiges liebstes Hobby –, das Thema Kriegsenkel und das Coaching miteinander zu verbinden. Innerhalb von zwei Wochen schnürte sie ein Paket, erstellte eine Internetseite, auf der sie verschiedene Schreibangebote macht, bei dem Interessierte ortsunabhängig via Zoom zusammenkommen können. Um tiefer in die Materie einzusteigen, bildet sie sich kontinuierlich fort, erzählt die Winningerin – sowohl im kreativen Schreiben, aber auch in einer Fortbildung einer Traumatherapeutin: „Meine Sinne sind so offen und begierig, das Feld in der Tiefe zu verstehen. Darin sehe ich einen Schlüssel.“

Schreiben ohne Pause: Danach fühlen sich die Teilnehmer besser

Es gibt bereits einige etablierte Gruppen, doch stetig baut sie ihr Angebot als Coach für emotionales und therapeutisches Schreiben aus. „In meinen Kursen bin ich relativ strikt. Es wird nicht geplaudert“, sagt sie. Ziel ihres Kurses sei, das Nervensystem zu regulieren und nach dem Schreiben ein besseres Gefühl zu haben also vorher. Oft arbeitet sie mit der SOP-Methode, Schreiben ohne Pause – ihrer Ansicht nach die Königsdisziplin des kreativen Schreibens: „Da kommt etwas aus mir heraus, darauf würde man durch angestrengtes Denken nicht kommen“, ist Barths Beobachtung. Thema seien dabei meist biografische Fragen. Und am Ende der Einheit werden die entstandenen Texte vorgelesen – natürlich auf freiwilliger Basis.

Was ich an nicht gelösten Traumata habe, gebe ich an die nächste Generation weiter – sowohl genetisch als auch durch mein Verhalten.

Susanne Barth

Und damit ist Susanne Barth wieder beim Eingangsthema angekommen: dem Sich-Zeigen. Auch in ihren Kursen stellt sie fest, dass die Menschen häufig ein Problem haben, sich „zu zeigen. Dabei ist das ein ganz großartiger Moment, wenn man sich zeigen darf“, ist sie überzeugt. „Ein Trauma kann zwar nicht geheilt werden, aber ich kann es bestmöglich in mein Leben integrieren. Der Wunderschlüssel ist dabei die Verbindung mit anderen Menschen.“

Mehr Informationen zu Susanne Barth und ihren Angeboten finden Sie im Internet unter www.susanne-barth.com

So funktioniert's: Anleitung zum kreativen Schreiben

Wer selbst einmal einen Text schreiben möchte, aber keine Idee hat, für den hat Susanne Barth eine Idee:

1. Schreibimpuls „Die Sammlung“: Notieren Sie acht bis zehn Redewendungen, in denen das Wort „Licht“ vorkommt.

2. Schreibimpuls „SOP – Schreiben ohne Pause“: Wählen Sie eine Redewendung aus. Schreiben Sie dazu zwölf Minuten ohne Pause. Stellen Sie sich dafür einen Wecker und starten einfach drauf los, ohne nachzudenken. Lesen Sie nicht zurück und korrigieren Sie nichts. Falls Ihnen zwischendurch nichts einfällt, schreiben Sie genau das: „Mir fällt nichts ein, wie doof, was könnte ich noch schreiben ...“ Schreiben Sie, bis der Wecker klingelt, und beenden sie den noch angefangenen Satz.

Wichtig: Schreiben Sie den Fließtext in Präsens und in Ich-Form.

3. Schreibimpuls „Die Verdichtung“: Unterstreichen Sie in Ihrem Text die Kernbegriffe und Satzfragmente, die Ihnen wichtig sind. Machen Sie daraus drei kurze, knappe Zeilen.

Nun haben Sie einen Text und eine Essenz daraus. Wenn Sie mögen, lesen Sie Ihren Text jemandem vor – oder noch besser: Machen Sie diese Schreibübung mit jemandem gemeinsam. Viel Freude beim Schreiben, Lesen und Hören. zwi

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