Koblenzer Therapeuten berichten, dass das Virus immer wieder Thema ist - So kommt man mental besser durch die Krise
Koblenzer Therapeuten berichten: Das macht Corona mit der Psyche
In der Privatpraxis der Psychotherapeutin Dr. Henrike Schlagert melden sich in diesen Monaten noch mehr Menschen als sonst. Viele reagieren mit nervöser Unruhe auf das Coronavirus, manchen macht ihre aktuell unsichere Situation Sorgen.
Sascha Ditscher

Das Coronavirus bringt viele Menschen an ihre Grenzen – manche von ihnen auch psychisch. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Nicht wenige haben Angst vor einer Erkrankung, sie fürchten den finanziellen Ruin, leiden unter Einsamkeit. Dazu kommen die zahlreichen Einschränkungen in diesem Jahr, der Wegfall lieb gewordener Dinge, die Ungewissheit mit Blick auf das Weihnachtsfest. Auch Psychotherapeuten in Koblenz merken, dass das Virus und der Lockdown für viele ein Problem bedeutet – vor allem jetzt, in der dunklen Jahreszeit.

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Dr. Henrike Schlagert, Psychologische Psychotherapeutin in Koblenz, spürt deutlich, dass in den vergangenen Monaten die Nachfrage nach therapeutischer Hilfe noch einmal gestiegen ist. „Corona ist für viele ein Problem“, weiß sie. Viele Menschen melden sich, weil sie zurzeit eine nervöse Unruhe spüren, einigen macht auch ihre aktuell unsichere Situation zu schaffen. „Die Menschen sind mehr zu Hause, haben weniger Kontakte – und mehr Zeit zu grübeln“, sagt Schlagert.

Zukunftsängste und Einsamkeit

Ob die Nachfrage nach Therapieplätzen Corona-bedingt gestiegen ist, kann Mathias Becker, Psychologischer Psychotherapeut und therapeutische Leitung des MVZ – Psychotherapie des Katholischen Klinikums Koblenz Montabaur, zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, da Patienten in Rheinland-Pfalz ohnehin im Schnitt fast 20 Wochen auf einen Therapieplatz warten müssen. Die psychischen Auswirkungen der Pandemie würden sich erst noch voll zeigen.

Die Pandemie und die damit verbundenen Auswirkungen sind aber schon jetzt ein permanentes Thema, „allein durch die konsequente Maskenpflicht in unseren Praxen“, sagt er. Einige Patienten würden über verstärkte Zukunftsängste und eine relative Einsamkeit berichten, sagt Mathias Becker. Etablierte Strategien zur Emotions- und Stressbewältigung würden zurzeit oft ersatzlos wegfallen, „ein entspannender Saunabesuch oder ein Auspowern im Fitnessstudio sind nicht mehr möglich“.

Vor allem bei Risikopatienten bemerkt der Psychotherapeut auch eine vermehrte Auseinandersetzung mit dem Thema Tod und der Endlichkeit des Lebens im Allgemeinen. Das gewohnte Leben wird hinterfragt, Prioritäten werden mitunter neu gesetzt.

„Einige meiner Patienten haben festgestellt, dass die Zeit mit der Familie wohl doch bedeutsamer ist als die Zeit im Büro“, bei manchen ist das psychische Wohlbefinden durch die erzwungene Entschleunigung im Alltag sogar gestiegen. „Von daher kann man nicht pauschal sagen, ob sich die aktuelle Situation negativ oder positiv auf die Psyche auswirkt“, erklärt Becker – eine Erfahrung, die auch Henrike Schlagert gemacht hat: „Manche profitieren auch von der Situation. Wer sozial zurückhaltend ist, für den ist diese oft entschleunigend.“

Das gilt auch für das Thema Weihnachten. Die Einschränkungen im Advent und die Ungewissheit, wie man das eigentliche Fest verbringen kann, wurden bei beiden Psychotherapeuten bislang zwar wenig angesprochen. „Wahrscheinlich wird der Konflikt zwischen dem Schutz der Angehörigen und dem Wunsch nach Kontakt mit den Liebsten in den nächsten Sitzungen aber des Öfteren thematisiert werden“, vermutet Mathias Becker. Erfahrungsgemäß sei das Fest aber für viele ohnehin eher schwierig, etwa wegen konfliktbehafteter familiärer Beziehungen – sodass die Kontaktbeschränkungen, die in diesem Jahr gezwungenermaßen gelten, für einige sogar eine Erleichterung sein könnten.

Die beiden Psychotherapeuten geben Ratschläge, wie man trotz aller Schwierigkeiten auch mental besser durch diese Wochen kommt. Henrike Schlagert rät allen, zurzeit besonders auf ihren Lebensstil zu achten: auf genügend Schlaf, gesunde Ernährung, bewusste Entspannung und ausreichend Bewegung. All dies habe auch Auswirkungen auf die Psyche.

Für kleine Dinge dankbar sein

Dabei sollte man die Hürden nicht zu hoch ansetzen und sich zusätzlich unter Stress setzen, betont Schlagert. Es kann schon helfen, wenn man einfach eine halbe Stunde früher ins Bett geht als sonst, wenn man vor der Arbeit 20 Minuten an die frische Luft geht oder wenn man im Laufe des Tages immer mal wieder bewusst innehält, seine Augen schließt und auf seinen Atem achtet.

Ein weiterer Tipp: sich darin schulen, auch für vermeintlich kleine Dinge dankbar zu sein. Um sich dessen bewusst zu werden, rät Schlagert, sich täglich ein paar Minuten Zeit zu nehmen und drei Dinge zu notieren, für die man an diesem Tag dankbar ist. Das kann dann das nette Telefonat sein, dass die Familie gesund ist oder auch nur das schöne bunte Herbstlaub.

Mathias Becker zufolge kann es helfen, bei dem gefühlten Verlust von Lebensqualität etwas Positives und Angenehmes in das Leben neu zu integrieren. „Das (digitale) Pflegen von sozialen Kontakten, die Aufnahme neuer oder alter Hobbys und regelmäßige Bewegung bilden schon einmal eine gute Grundlage für den Aufbau von mehr Resilienz“, weiß der Psychotherapeut.

Außerdem findet er es wichtig, sich aktiv mit der Situation auseinanderzusetzen und zu versuchen, die aktuellen Einschränkungen als persönliche Entwicklungschance zu sehen. Wie möchte ich in Zukunft leben, was ist mir im Leben wirklich wichtig, habe ich meine Prioritäten bisher richtig gesetzt? Diese Fragen können laut Becker ein Anhaltspunkt dafür sein, die persönlichen Ziele neu auszurichten. „Und schlussendlich ist es wichtig, sich immer vor Augen zu halten: Es wird eine Zeit nach der Pandemie geben.“

Von unserer Redakteurin Stephanie Mersmann

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