Seit mittlerweile 24 Jahren kooperieren das bischöfliche Cusanus-Gymnasium in Koblenz und das Herz-Jesu-Haus Kühr in Niederfell miteinander. Bei den „Integrativen Kulturtagen“ realisieren Pädagogen, Schülerinnen und junge Menschen mit geistiger Behinderung ein gemeinsames Kunstprojekt.
In diesem Jahr drehte sich bei dem zweitägigen Workshop alles um den chinesischen Künstler Tan Ping, von dem aktuell im Ludwig Museum Werke gezeigt werden. Bevor die jungen Menschen selbst gemeinsam kreativ wurden, schauten sie sich die Ausstellung „Body of Abstraction“ an und lernten dabei Tan Pings Schaffen kennen. Die Künstlerin und Museumspädagogin Stefanie Maria Schmeink führte die Gruppe durch die Werkschau.

Tags darauf wurde die integrative Gruppe selbst künstlerisch tätig – unmittelbar angelehnt an das Schaffen Tan Pings. Entsprechend der Frage, „wie erfasse ich als bildender Künstler Zeit?“, malten und zeichneten die jungen Leute in Zweierteams im großen Saal des Hauses Kühr.
Damit die Schülerinnen und die jungen Bewohner sich besser kennenlernten, gab es entsprechende Spiele, begleitet von den Projektzuständigen des Hauses Kühr, Marita Noll-Trapp und Nadine Dreyer-Wiß, sowie Cusanus-Lehrer Pascal Holstegge. Der berichtete: „Das Eis war schnell gebrochen, und schon bald konnten wir Zweiergruppen bilden, die die künstlerischen Aufgaben gemeinsam angingen.“

Die Paare zogen mit einem bürstenartigen Pinsel, einem Quast, einen dicken schwarzen Strich auf eine 60 Meter lange weiße Papierbahn, den man als Zeitschnur interpretieren konnte. In einer zweiten Arbeit wurde eine neue Papierbahn mit Motiven der heimatlichen Mosellandschaft versehen. Nun umrahmten Weinberge die neu gesetzte Zeitachse, die in diesem Werk auch als Fluss interpretiert werden kann.
Eine weitere Technik Tan Pings ist die von ihm so bezeichnete „One Cup“. Dabei wird schwarze Gouache-Farbe aus einer Tasse auf Papier gegossen. Daraus entstehen kreisförmige Gebilde, die sich voneinander unterscheiden. Auch an diese Methode wagten sich die Kursteilnehmer gemeinsam heran.

Die Ausführung sollte dabei aufmerksam, konzentriert und in innerer Stille erfolgen. Nach Auffassung der Kursleiter fördert der meditative Charakter das Bewusstsein für das Dahinfließen der Zeit. Dieser Prozess wird in dem künstlerischen Experiment durch die langsam ausgegossene Farbe veranschaulicht. In der Tat ließen sich die so entstandenen Arbeiten kaum von den Werken des chinesischen Künstlers unterscheiden.
Die sechs Schülerinnen aus Stufe elf des Cusanus-Gymnasiums schätzten den Austausch mit den Bewohnern, der von großer Offenheit geprägt war. Allen zusammen bereitete es Freude, gemeinsam kreativ zu sein. Dabei fanden sie es hilfreich, künstlerisch frei und nicht perfekt arbeiten zu müssen, wodurch viele individuelle Ergebnisse entstanden.
Einblicke in den Alltag der Wohngemeinschaften
Schülerin Leni Wimmel berichtete: „Ich habe mich gefreut, bei der gemeinsamen künstlerischen Arbeit Bewohner des Herz-Jesu-Haus Kühr kennenzulernen und dabei auch einen Einblick in den Alltag ihrer Wohngemeinschaften zu erhalten.“ Die Oberstufenschülerin spielt mit dem Gedanken, Sozialpädagogik zu studieren, um danach eventuell den Beruf der Heilerziehungspflegerin auszuüben.
Für die Haus-Kühr-Bewohner bedeuteten die integrativen Kulturtage eine soziale Teilhabe und die Möglichkeit, mit Menschen außerhalb ihrer Wohngruppe oder der Werkstatt in Kontakt zu kommen. Durch das gemeinsame kreative Arbeiten begegneten sich alle Teilnehmenden auf Augenhöhe und erfuhren Wertschätzung. Für die Schülerinnen kam hinzu, dass sie unter Umständen erstmalig mit beeinträchtigten Personen in Berührung kamen und somit etwaige Vorbehalte abbauen konnten. Das führte in der Vergangenheit immer wieder zu einem Praktikum, einem Aushilfsjob oder einer Ausbildung im Herz-Jesu-Haus Kühr, heißt es.

Zum Abschluss der Projekttage führten die Teilnehmenden eine wahre Performance durch. Dabei griffen sie auf ihre erste Papierbahn mit dem 60 Meter langen Strich zurück, die sie vom Geländer der Moselgoldbrücke in Richtung Fluss herunterließen. Ungünstige Winde machte dem Happening aber schon nach wenigen Augenblicken einen Strich durch die Rechnung, denn das überdimensionale Kunstwerk segelte ans Moselufer. Nichtsdestotrotz bereitete die Aktion allen große Freude.
„Wir haben auch in diesem Jahr einige schöne Ergebnisse hervorgebracht und dazu noch eine super Stimmung gehabt“, stellte Lehrer Marcel Holstegge zufrieden fest. Auch Kursleiterin Nadine Dreyer-Wiß vom Herz-Jesu-Haus Kühr freute sich: „Es waren schöne gemeinsame Tage.“ Und die Bewohner konnten das nur bestätigen. Annika, Ibi, Max, Patrick und Sarah freuen sich schon auf das Projekt im nächsten Jahr.