Die Bundestagswahl steht kurz bevor, und damit endet der kurze Wahlkampf nach dem Ampel-Aus. Auch die Zeit der Wahlplakate nähert sich ihrem Ende. Mit zwei Experten der Universität Koblenz hat unsere Zeitung Gespräche geführt, wie ein Wahlplakat überhaupt wirkt und welche Mechanismen im Betrachter greifen.
Einer dieser Experten ist Michael Klemm (56), der seit 30 Jahren in Universitäten tätig ist. In Trier studiert, promovierte er 2000 an der TU Chemnitz, seit 2005 ist er nun in Koblenz, wo er die Medienwissenschaften im Rahmen der Kulturwissenschaften mit aufgebaut hat. Seit 20 Jahren ist der Medienkulturlinguist mit politischer Kommunikation beschäftigt, dazu gehören auch Wahlkampfmedien, sein Schwerpunkt liegt auf sozialen Netzwerken.

Für Klemm ist auch in Zeiten von Facebook, Instagram und Co. klar: Das Wahlplakat ist unkaputtbar. „Weil es sich dem Betrachter in den Weg stellt, es kommt im öffentlichen Raum auf uns zu, ohne, dass wir uns dies aussuchen könnten.“ Dabei ist die Funktion eines Plakates im wahrsten Sinne eine rein plakative: Wahlprogramme werden nicht erklärt, sondern Parteien rufen sich mittels Gesichtern in Erinnerung, erklärt Klemm.
Das Plakat durchläuft Phasen: erstmal geht es darum, sympathisch rüberzukommen. Darin werde auf Persönlichkeiten gesetzt, erst später geht es um Inhalte. Ein Nachteil: „Die Aufmerksamkeitsspanne, die auf einem Plakat liegt, ist meist sehr gering“. Plakate stehen auf Verkehrsinseln, am Straßenrand, oft in direkter Konkurrenz zueinander: „Was man im öffentlichen Raum als Gewinn hat, muss man mit einer entsprechenden Gestaltung auch halten, damit das Plakat überhaupt auffällt.“
Doch Plakate bekommen nicht nur positive Aufmerksamkeit: Auch in diesem Wahlkampf fällt die Zerstörungswut auf, die an ihnen ausgelassen wird. Tatsächlich gehören derzeit die meisten zerstörten Plakate zu den Grünen, kann Klemm sagen. An zweiter Stelle stehe die AfD. Kein neues Phänomen; das sogenannte Adbusting (Werbezerstörung) ist ein eigener Forschungszweig, sagt Klemm. Das Wahlplakat steht auch dem Wähler „zur Verfügung“, zum Anders-Gestalten und Verfremden, eine eigene Botschaft zu senden.

Geändert habe sich die Langlebigkeit der Wahlplakate, sagt Klemm. Durch das Internet habe man Zugriff auf Plakate aus früheren Wahlperioden und deren Versprechungen, etwas, worauf man nun verweisen und pochen könne. Wie eben bei den Grünen: „Viele wenden sich von den Grünen ab, weil sie nicht mehr pazifistisch genug sind. Nach jahrzehntelangem Konsens über ,keine Waffen in Kriegsgebiete’, änderte sich die Haltung durch den Ukrainekrieg.“ Die Plakate wecken Sympathie oder eben Antipathie und bei Manchem Aggressionen, auch, weil die Plakate sich selbst aggressiv in den Weg stellen.
Doch lohnt sich das aggressive in den Weg stellen? Wie originell ist der laufende Wahlkampf? Gar nicht so originell, sagt Klemm. Die Partei Volt sei im Europawahlkampf sehr aufgefallen – und habe dadurch viele junge Wähler gezogen. Heute seien sie nicht mehr ganz so provokativ, aber fallen noch am ehesten auf. Auch die BSW schlägt mit einem Fokus auf den Ukrainekrieg etwas aus der Reihe. Die CDU erinnere mit ihren Plakaten an ein Trumpsches „Make America great again“: „Die CDU baut darauf, dass drei Jahre Ampel verlorene Zeit waren und dass es nun zurück zur guten alten CDU geht.“

Durch den kurzen Wahlkampf seien die Phasen verkürzt: Es gehe – im Unterschied zu einem langen Wahlkampf – nicht darum „die Gegenseite“ von sich zu überzeugen, sondern vielmehr „die eigenen Leute“ zu mobilisieren, wählen zu gehen. Klare Parolen, starke Versprechen, keine langen Diskussionen, wenige Themen, seien der Schlüssel.
Konkret herunterbrechen lässt sich das aus Klemms Sicht auf: Die CDU möchte zurück in eine gute alte Zeit, die SPD stützt sich ganz auf ihren Kanzler Scholz, auch die Grünen stellen mit Habeck und Baerbock Menschen ins Zentrum: „Gerade Habeck macht extrem viel Wahlarbeit in den sozialen Medien – allerdings gibt es keine Direktwahl für einen Kanzler“, sagt Klemm. Habeck mache in dem Fall sein „eigenes Ding“, die Partei halte sich dahinter zurück. Die FDP sei zu „ihrem“ Gelb zurückgekehrt, damit zurück zu den Wurzeln, zum Wiedererkennungswert. Die Botschaft: „Wir lassen uns nicht bevormunden.“ Von allen Parteien habe die AfD den größten Erfolg auf Social Media, arbeite mit Kampagnen ohne große einerseits-andererseits-Argumentationen. Auch in den Wahlplakaten setzt die AfD auf klare Aussagen mit vermeintlich einfachen Lösungen: „Gerade bei jungen Leuten, die wenig Wahlerfahrung haben, kommt diese klare Struktur gut an.“

Warum wirken Wahlplakate auch 2025 noch, Herr Meier?
Die Tage des Wahlkampfs und damit des Wahlplakates sind fast gezählt – zumindest für die anstehende Bundestagswahl. Doch ein Koblenzer Medienexperte ist sich sicher, dass es das Plakat immer geben wird.
Die AfD stehe auch in diesem Wahlkampf für das, wofür sie immer gestanden hat, sagt Klemm. Für die anderen Parteien sei es schwieriger – besonders sich von den schlechten Zustimmungswerten zur Ampel zu lösen: „Alle Kandidaten haben keine Heldentaten begangen während der Ampel, deswegen ist es soviel leichter, beispielsweise für die CDU, sich als Alternative darzustellen.“
Welche Partei wird denn nun am Ende das Rennen machen? Da sieht Klemm noch einige Fallstricke: Die CDU könnte sich zu sicher sein, nicht ungefährlich. Die SPD habe mit Kanzler Scholz unfassbar schlechte Umfragewerte, ein erneuter Faux Pas wie der von der Presse festgehaltene Lacher im Ahrtal 2021 von Mitkandidat Armin Laschet (CDU) kommt auch nicht immer vor. Es werde einen Kampf zwischen Grünen und SPD geben, wer in dem Wählerbereich mehr für sich gewinnen kann, prognostiziert Klemm. Die AfD müsse laut ihm nur die Proteststimmung weiter anheizen.

Doch nochmal, wer macht das Kanzlerrennen? Merz, sagt Klemm. Es sei nur die Frage, mit wem kann und muss er koalieren. Eine Überraschung könne die Volt-Partei werden, die junge, grün-enttäuschte Leute abwerben könnte. Entscheidend werde, wie viele Parteien in den Bundestag kommen und wie das die Konstellationen verändere.
Dass die CDU gewinnt, hält Klemm für relativ klar. „Aber das hängt nicht an den Plakaten, die sind eher eine stetige Erinnerung und wirken im Unterbewussten.“ Auch deswegen sei es im Wahlkampf ein unterschätztes Medium. Das hat es Jahrzehnte des Wahlkampfs und auch Modeerscheinungen wie Chatrooms überdauern lassen: „Die waren irgendwann raus, aber das Plakat gibt’s immer noch.“