Manfred Gniffke ist für viele in Koblenz ein bekanntes Gesicht. Die Altstadt ist sein zu Hause, hier kennt der 85-Jährige jeden Stein. Überall hat er eine Anekdote parat, die er humorvoll preisgibt – natürlich auf „Kowelenzer Platt“. Doch an einem Ort wirkt der redegewandte Koblenzer plötzlich nachdenklich und seine unbeschwerte Art schwindet. Es ist der Ort, an dem Gniffke vor 80 Jahren den Bombenhagel auf Koblenz überlebte: Der Bunker, über dem heute das Aparthotel am Münzplatz steht.
Als der Alarm am Abend des 6. Novembers 1944 ertönte, war der damals fünfjährige Gniffke mit seiner Mutter zu Hause in der Weisser Gasse. Es fielen bereits Bomben, als sie aus dem Haus raus wollten. Ein Feuer versperrte ihnen den Weg nach draußen, sodass die Feuerwehr sie durch das Hinterhaus leitete. Endlich angekommen, war die Brandschutztür bereits verschlossen. Das Klopfen der Mutter – vergebens: „Die Mutter war aufgeregt, aber dann kam ein Soldat, der kräftig gegen die Tür gehämmert hat. Da hat die Luftschutzwacht auf gemacht. Dann waren wir drin, das war unsere Rettung hier.“

Zeitreise weckt viele Erinnerungen an den Luftangriff vor 80 Jahren
Eine Woche bevor sich der Luftangriff zum 80. Mal jährt, kehrt Gniffke in den Luftschutzraum zurück. Draußen dämmert es bereits, als der 85-Jährige vom Münzplatz in Richtung des Aparthotels geht. Rechts neben dem Eingang des Hotels in der Straße Paradies ist bereits eine Tür geöffnet, die normalerweise verschlossen bleibt. Hinter der Tür führt eine steile Treppe in den ehemaligen Bunker – es ist genau die Treppe, die Gniffke und seine Mutter in der Bombennacht 1944 hinuntergingen. Da es mehrere Zugänge zum einstigen Luftschutzkeller gibt, nimmt Gniffke nicht die steile Treppe wie vor 80 Jahren, um an den Ort zu kommen, den er Anfang der 2000-er Jahre zuletzt besuchte, so genau erinnert sich der Koblenzer nicht mehr. Zu dem Zeitpunkt, sei eine Kneipe in dem Keller gewesen.

Großer Luftangriff auf Koblenz jährt sich zum 80. Mal
Vor genau 80 Jahren warfen mehr als 120 englische Flugzeuge Brandbomben und Luftminen auf Koblenz ab. Der Angriff ist tief im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert. Unsere Zeitung hat sich mit Videos und Interviews auf Spurensuche begeben.
Gniffke betritt das Aparthotel. Auf dem Weg durchs Hotel scherzt der 85-Jährige in seiner unbeschwerten Art, freut sich über die Bilder an den Wänden und bemerkt, dass die Steintreppe von damals heute gefliest ist. „Früher war das hier ein ganz normales Wohnhaus, kein Hotel.“ Unten angekommen, wird der sonst redegewandte Koblenzer einsilbig: „Ja, das ist der Keller“, bestätigt er, „Ja, hier waren wir.“ Sofort lässt er seinen Blick nachdenklich durch den großen Raum mit der Gewölbedecke schweifen, versucht zu verstehen, wo die verschiedenen Ausgänge hinführen. Er sucht und findet letztlich einen ganz bestimmten Platz: Eine Ecke, die sich schräg gegenüber einer Tür befindet. Der Tür, durch die er damals mit seiner Mutter den Bunker betreten hatte. In dieser Ecke habe er den Luftangriff erlebt. In dieser Ecke habe das Feldbett gestanden, in dem er noch einige Wochen nach dem Luftangriff mit drei weiteren Kindern hatte schlafen müssen. Der Bombenhagel hatte das Zuhause der Familie zerstört.
Dem Bunker verdankt er sein Leben
Am 6. November 1944 war Gniffke nicht allein im Bunker: Mit über 250 Menschen erlebte Gniffke, wie Bomben über seinem Kopf einschlugen: „Der ganze Raum hat gewackelt. Die Wände waren nicht verputzt, so wie heute. Das waren Steinwände, da kam zwischen den Fugen der Sand runter“, erzählt der Koblenzer. „Das war ein Geschrei hier drin und die Frauen waren am Beten.“ Um nichts zu hören, vergrub Gniffke, wie viele andere Kinder, seinen Kopf im Schoß der Mutter - daran erinnert sich der 85-Jährig noch genau.

Nach dem Angriff durften die Frauen und Kinder den Bunker erst einmal nicht verlassen – zu groß war die Feuergefahr, zu stark der Brandgeruch. Erst zwei Tage später sah Gniffke zum ersten Mal sein zerstörtes Zuhause in der Weisser Gasse. Von dem Haus war nur ein Stück der Fassade übriggeblieben. „Auf dem Fenster haben Töpfe mit verbrannten Blumen gestanden. Auf dem Schutt lagen Kunststoffsoldaten“, erinnert sich Gniffke. „Einer hatte einen abgehackten Kopf, den habe ich mitgenommen. Sonst war alles weg.“

Vor 80 Jahren: Zeitzeugen über den großen Luftangriff
Genau acht Jahrzehnte ist der große Luftangriff der britischen Royal Airforce auf Koblenz her, bis heute prägt er die Erinnerung der Menschen. Die Rhein-Zeitung hat Zeitzeugen gefunden, die ihre Erlebnisse und Gefühle im RZ-Interview teilen.
Fast schon demütig blickt Gniffke 80 Jahre später durch den Kellerraum: „Das alles war hier in dem Keller. Dem können wie verdanken, dass wir den Krieg überlebt haben.“ Nach einer halben Stunde wird er unruhig und beginnt zu schwitzen: „Mir wird es ganz flau. Ich bin froh, wenn ich hier wieder raus bin.“ Mit jeder Treppenstufe, die ihn nach dieser Zeitreise wieder nach oben in die Altstadt und zurück die Gegenwart führt, scheinen die Unbeschwertheit und der Humor des Koblenzer Urgesteins langsam zurückzukommen. Spätestens, als er über den Münzplatz geht, wirkt er wieder wie der Gniffke, den man in Koblenz kennt: gelöster, als noch im ehemaligen Bunker. Schon wenige Schritte weiter ist er wieder zu Scherzen aufgelegt, witzelt im Vorbeigehen mit einer Gruppe von Bekannten.