Doch dann wird alles gut, und zwar im doppelten Sinn: Im Film stellt sich das Mädchen nun doch mutig dem Fremden an die Seite, und auch ihre Freunde verstehen, dass es egal ist, ob jemand anders ist oder aus einem anderen Land kommt. Und im echten Leben gewinnt die Klasse 4b der Neuendorfer Grundschule mit ihrem Mutmachfilm einen Sonderpreis im bundesweiten Wettbewerb „Eine Welt für alle“.
Während am Dienstagvormittag ihre Klassenkameraden in Berlin bei der Preisverleihung sind, gehen einige Schüler der 4b, die den Filmbeitrag mit ihrer Klassenlehrerin Vivienne Scholz erdacht, gespielt, gefilmt und geschnitten haben, durch die Klassenräume und erzählen allen Kindern der Grundschule, wie es zu dem Film kam und was ihnen bei dem Thema wichtig ist. Zum Livestream mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Entwicklungsministerin Svenja Schulze und TV-Moderator Ralph Caspers (bekannt unter anderem aus der Sendung mit der Maus) sind dann alle vierten Klassen in der Grundschule versammelt.
Hambaryan, Destiny, Yusuf, Vsevolod, Jerano und Ezel erzählen, was sie zu dem Film angetrieben hat: Vor einem Projekttag über den Namensgeber der Schule haben sie sich mit dem Leben von Willi Graf beschäftigt, Referate und Zeitleisten zu dem Widerstandskämpfer erstellt, der Mitbegründer der Gruppe „Die weiße Rose“ war. Doch schnell wurde den Kindern klar, dass sie damit den jüngeren Schülern nicht erklären können, was Willi Graf ausgemacht hat.
„Die Kinder haben dann kleine Mutmachgeschichten geschrieben“, erzählt Lehrerin Vivienne Scholz. Es geht ihr und den Kindern darum zu zeigen, dass Widerstand, Toleranz und Mut auch heute noch gefordert sind, auch wenn es nicht mehr um den Kampf gegen Hitler geht. Aus den vielen Geschichten entstand die Idee, einen Film zu drehen.
Und den gibt es nun. Improvisiert, ohne festes Drehbuch, und umso authentischer. Erzählt wird die Geschichte von Jamal, der neu in Koblenz lebt und traurig ist, seine Freunde in Berlin verlassen zu müssen. Auf dem Spielplatz lernt er ein Mädchen kennen, die beiden spielen viel miteinander. Doch als nach den Ferien die Schule beginnt, will Jana von dem Neuen nichts mehr wissen: Ihre Freunde lehnen ihn ab, und sie traut sich nicht, offen für ihn einzutreten. Erst als sie sich im Unterricht mit dem Leben von Willi Graf beschäftigt, merkt sie, dass es auch heute nötig ist, mutig zu sein und gegen Intoleranz und Ausgrenzung aufzustehen.
Jemand hat erzählt, dass ich Russisch spreche, und da haben die Leute gesagt, dass ich schlecht bin und Leute ermorde.
Anna weiß, wie sich Diskriminierung anfühlt
Das ist den Kindern wichtig, sagt Lehrerin Vivienne Scholz, und auch Schulleiterin Cornelia Schlott-Grebener ist stolz darauf, dass in der Schule große Solidarität herrscht: „Welche Hautfarbe jemand hat oder wo er herkommt, spielt hier keine Rolle, nur ob jemand nett ist und man ihn mag“, sagt sie. 340 Kinder sind an der Grundschule, die Zahl der Herkunftsländer liegt bei 30. Viele von den Kindern erleben selbst außerhalb der Schule Ausgrenzung, erzählt Anna: „Jemand hat erzählt, dass ich Russisch spreche, und da haben die Leute gesagt, dass ich schlecht bin und Leute ermorde.“
Viele von ihnen wären in der Nazizeit nicht in Deutschland willkommen gewesen, berichten die Viertklässler ihren Mitschülern, als sie zuschauen, wie der Rest der 4b den Sonderpreis von Bundespräsident Steinmeier entgegennimmt. „Die Leute sollten helle Haare haben, blaue Augen“, sagt Hambaryan. Die Kinder wissen, dass Millionen Menschen ermordet wurden. Und Yusuf findet: „Willi und seine Freunde waren sehr mutig.“
Ob das heute passieren könnte, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Aussehens diskriminiert und verfolgt werden, haben sich die Kinder gefragt. Ihre Antwort geben sie mit dem Film: „Ja, Jamal ist anders als ich, als du, wir sind alle einzigartig“, sagt das Mädchen Jana zum Schluss. Klassenlehrerin Vivienne Scholz beschreibt, dass die Situation an der Schule sich durch diese Beschäftigung mit Willi Graf noch mal verändert habe: Den Kindern sei es wichtig, dass sie in der Schule gemeinsam lernen und glücklich sein können. „Sei du selbst die Veränderung“, ist das Motto des Wettbewerbs gewesen. Die Kinder sind bereit. Das haben sie gezeigt.
Der Wettbewerb
Der Schulwettbewerb zur Entwicklungspolitik „alle für EINE WELT für alle“ wird von Engagement Global – Service für Entwicklungsinitiativen im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten durchgeführt. Seit dem Schuljahr 2003/2004 findet der Wettbewerb alle zwei Jahre statt. In diesem Jahr war das Motto „Globaler Kurswechsel: Sei du selbst die Veränderung“. 306 Schulen haben teilgenommen, heißt es in einer Pressemitteilung. Insgesamt sind 573 Beiträge eingereicht worden, darunter Musik- und Theaterstücke, Podcasts und Zeitungen, ebenso wie Gesellschaftsspiele, Kalender und digitale Arbeiten.Die Themen reichen von Ungleichheiten und sozialer Gerechtigkeit über Flucht und Migration bis hin zu nachhaltiger Stadtentwicklung sowie Klima- und Ressourcenschutz. dos