Schwänzen oder Krankmelden wegen Bauchweh: Dahinter können ernsthafte Probleme stecken
Koblenzer Fachleute berichten: Wenn Kinder nicht zur Schule gehen, können massive Probleme dahinterstecken
Mehr Bußgeldbescheide gegen Schulschwänzer in Bayern
Wenn Kinder eigentlich in der Schule sein müssten, es aber nicht sind, können echte Probleme dahinterstecken. Umso wichtiger ist es, dass Eltern, Lehrkräfte, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Schulpsychologinnen und Schulpsychologen genau hinschauen.
Jens Kalaene. picture alliance/dpa/dpa-Zentral

Koblenz. Schulverweigerung hat viele Gesichter: Da gibt es 15-Jährige, die statt in die Erdkundestunde zu gehen, lieber im Einkaufszentrum rumhängen und Konsolenspiele zocken. Da gibt es 17-Jährige, die panische Angst vor Prüfungen haben und richtig krank werden, weil sie den Stress nicht aushalten. Es gibt Kinder, die zwar in der Klasse sitzen, aber innerlich ganz weit weg sind. Und es gibt schon Siebenjährige, die zu Hause sagen, sie hätten Bauchweh und viele, viele Fehltage anhäufen.

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Alle diese Fälle fassen Experten unter dem Stichwort „Schulabsentismus“, also Abwesenheit von der Schule, zusammen. Dahinter steckt manchmal jugendlicher Spaß, aber oft genug eine richtig schlimme Leidensgeschichte. Die pausiert in der Regel in den nun anstehenden Ferien nur – „weg“ geht das Thema in den seltensten Fällen von allein.

1Wie oft kommt es vor? Sicher ein Kind oder Jugendlicher pro Klasse zeigt das, was die Fachleute als schulbabsentes Verhalten bezeichnen würden, so schätzen die beiden Koblenzer Schulsozialarbeiterinnen Isabelle Saß und Anne-Sophie Fritsche die Größenordnung ein. Von „Schulverweigerern“ wollen die beiden jungen Frauen nicht sprechen, das klingt für sie zu sehr nach einer Schublade und so, als wären die Kinder und Jugendlichen renitent, als wollten sie einfach nicht zur Schule gehen.

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Anne-Sophie Fritsche
Doris Schneider

2Was steckt dahinter? Dabei steckt hinter jedem der Kinder und Jugendlichen meist ein echtes Problem. Oder auch mehrere: Die Gründe, warum Kinder und Jugendliche nicht mehr zur Schule gehen (wollen), können in der Familie, in der Schule, in der Klassengemeinschaft liegen.

Anne-Sophie Fritsche und Isabelle Saß skizzieren Beispiele, um die Bandbreite zu verdeutlichen: Da gibt es Grundschüler, die große Probleme haben, sich von ihren Eltern zu trennen. Oder Zehnjährige, die beispielsweise nach dem Übergang von einer kleinen Grundschule auf ein Gymnasium Ängste entwickeln und mit dem Neuen nicht klarkommen – mit der großen Klasse, den wechselnden Lehrern. Sie haben oft Bauchweh, kommen gar nicht erst oder lassen sich im Laufe des Vormittags von der Schule abholen. Oder Jugendliche, die sich nicht wohlfühlen in ihrer Haut und in der Klassengemeinschaft. Vor allem in der Oberstufe fällt es dann oft sehr spät auf, wie selten sie in der Schule sind.

Zu schulabsentem Verhalten zählen die Expertinnen auch, wenn jemand immer und immer wieder stört und sich dadurch nicht mehr am Unterricht beteiligt – oder sich komplett zurückzieht. „Die Lauten, die fallen auf“, sagt Anne-Sophie Fritsche. „Bei denen, die sich zurückziehen, dauert es meist viel länger, bis man merkt, dass was nicht stimmt.“

Wenn jemand immer und immer wieder fehlt, ohne dass ernsthafte Erkrankungen vorliegen, muss man dringend herausfinden, was dahinter steckt, sagen die beiden Schulsozialarbeiterinnen. Und zwar gemeinsam: Schule, Elternhaus und Schulsozialarbeit arbeiten idealerweise eng zusammen.

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Isabelle Saß
Doris Schneider

3Wann muss man reagieren? Möglichst schnell, sagen die beiden Fachfrauen, und auch in einem Leitfaden der Stadt Trier, den die beiden Sozialarbeiterinnen als hilfreich für ihre Arbeit erleben, wird klargemacht: Schulabsentes Verhalten, aus welchen Gründen auch immer, zieht selbst wieder einen Rattenschwanz an Problemen nach sich. Wer wegen Prüfungsängsten nicht zur Schule geht, wird die nächsten Prüfungen noch mehr fürchten, wer Probleme in der Klassengemeinschaft hat, wird noch weniger dazugehören, wenn er oder sie oft und lange weg ist.

4Wie können Erwachsene den Kindern helfen? Das Problem muss möglichst früh erkannt werden, dann kann man am ehesten eingreifen, sagen Isabelle Saß und Anne-Sophie Fritsche. Und auch wenn es sehr formell klingt: Es ist wichtig, dass die Schule dokumentiert, wie oft ein Kind oder Jugendlicher fehlt, und dass es auch bei entschuldigten Fehltagen nicht allein in der Verantwortung der Eltern belassen wird.

In dem Leitfaden der Stadt Trier ist die Faustregel angegeben, dass bei unentschuldigten Fehltagen sofort eine Info an die Eltern geht, ab zwei unentschuldigten oder fünf entschuldigten Tagen der Klassenlehrer zudem ein Einzelgespräch mit dem Schüler/der Schülerin sucht. Dabei geht es vor allem darum, die Ursachen zu ergründen: Fühlt sich das Kind oder der Teenager in der Klasse unwohl? Gibt es eigene Probleme oder Probleme im Elternhaus? Gibt es Bereiche, in denen das Kind leicht unterstützt werden kann?

Fruchtet dies nicht, werden recht schnell ein Elterngespräch und die Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit angestrebt. Dabei werden auch Maßnahmen besprochen, die es dem Kind erleichtern können, zur Schule zu gehen: beispielsweise ein kurzes Gespräch mit einer vertrauten Person bei Ankunft.

Es kann auch sein, dass ärztliche Attestpflicht bei Krankmeldungen gefordert wird. „Die Eltern sind oft sehr hilflos“, sagt Isabelle Saß. „Sie wollen ja, dass es ihren Kindern gut geht.“ Andererseits wissen sie, dass es keine Lösung ist, dem Kind immer und immer wieder Entschuldigungen zu schreiben, wenn es zum x-ten Mal über Bauchschmerzen klagt, obwohl keine organischen Gründe vorliegen. Gleichzeitig versuchen alle Beteiligten, die Ursachen für das Fernbleiben zu ergründen und Hilfsmöglichkeiten in Gang zu setzen.

Bei unentschuldigtem Fehlen gehen die Reaktionen weiter: Schon bei drei unentschuldigten Fehltagen sollen Klassenlehrer, Eltern und Schulsozialarbeiter sich laut dem Trierer Leitfaden an einen Tisch setzen, die Motive fürs Fehlen ergründen und gemeinsame Ziele formulieren. Ab zehn unentschuldigten Fehltagen werden Ordnungsbehörden und Jugendamt eingeschaltet. Dabei geht es nicht um Strafe, sondern darum, den Kindern, Jugendlichen und Familien zu helfen, machen Fritsche und Saß klar. Denn Wegschauen nutzt nichts. Davon wird das Problem nicht kleiner, im Gegenteil, wissen die Schulsozialarbeiterinnen.

Letztes Mittel Bußgeld

Wenn Schüler wiederholt und unentschuldigt der Schule fernbleiben, obwohl sie noch schulpflichtig sind, können Maßnahmen seitens des Schulträgers, der Stadt Koblenz, erhoben werden, erklärt Frank Hofmann vom Schulverwaltungsamt. Wenn die Schulen darum bitten, können sogenannte Schulzuführungen veranlasst werden. Mitarbeiter des Kommunalen Vollzugsdienstes holen die Kinder und Jugendlichen dann zu Hause ab und geben sie sozusagen im Sekretariat oder beim Schulleiter ab. Das habe oft schon eine gewisse Wirkung, sagt Hofmann.

Mitarbeiter des Vollzugsdienstes reagieren auch, wenn sie Jugendliche am Vormittag in der Stadt antreffen, beispielsweise an einer Spielekonsole in einem Technikmarkt. „Meist kommt die Antwort, sie hätten eine Freistunde“, sagt Hofmann, aber dies klären die Mitarbeiter des Vollzugsdienstes mit der Schule sofort telefonisch – und wissen dann schnell, ob es stimmt.

Gegen schwänzende Schüler beziehungsweise deren Eltern kann es auf Wunsch der Schule Bußgeldbescheide geben, und zwar in nicht unerheblicher Höhe. Bis zu 1500 Euro können angesetzt werden. Das passiert natürlich nicht beim ersten Mal, aber ein mittlerer dreistelliger Betrag wird häufiger erreicht, sagt Hofmann. Der Bußgeldbescheid geht bei Schülern ab 14 Jahren an Kind und Eltern, bei Volljährigen nur noch an den Schüler selbst. Dass die Schüler, die unentschuldigt wegbleiben, unter 14 Jahren sind, passiert indes ganz selten, berichtet Frank Hofmann.

Die Zahl der Fälle hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Waren es 2017 noch 69 und in den Folgejahren in etwa diese Größenordnung, so waren es in den Jahren 2022 und 2023 118 beziehungsweise 114. Auch ohne dass er es wissenschaftlich belegen könnte, sieht Hofmann einen klaren Zusammenhang mit den Schulschließungen in der Corona-Zeit.

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