Seit fast 25 Jahren sind die VG Vallendar und die polnische VG Murów Partnerstädte. Am 30. Mai 1998 wurde der entsprechende Vertrag in Vallendar und ein Jahr später in Murów unterschrieben. Etwa 900 Kilometer trennen die beiden Partner voneinander, rund neun Stunden Fahrt – eine Strecke, die ein Lkw am Mittwoch auf sich genommen hatte, um wertvolle Fracht aus Deutschland zu holen und nach Polen zu bringen.
„Gerade die Grundnahrungsmittel gehen zu Ende oder sind schon zu Ende gegangen.“
Fred Pretz, VG-Bürgermeister von Vallendar
„Ich habe mit dem Bürgermeister aus Polen telefoniert, seine Gemeinde hat sehr gerne, sehr viele Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen“, erzählt Pretz. Aber: Murów liegt im Südosten Polens, sagt Fred Pretz, nahe der ukrainischen Grenze. Die Menschen seien in Massen gekommen, habe sein polnischer Amtskollege geschildert, nicht nur über eine Grenze, sondern mehr oder weniger von allen Seiten. In Murów eröffnete sich damit jedoch ein Problem: die ankommenden Menschen brauchen nicht nur Schlafplatz und Kleidung, sondern vor allem auch Essen – und das wird nun knapp.
Auch für die Einheimischen: „Gerade die Grundnahrungsmittel gehen zu Ende oder sind schon zu Ende gegangen“, schildert Pretz. Da blieb dem VG-Chef keine lange Zeit, um Aufrufe zu starten, nur ein paar Anrufe – an Beigeordnete, Ratsvorsitzenden, Fraktionsvorsitzende: Er wollte beim Rewemarkt in Vallendar für 4000 Euro Nahrungsmittel bestellen, und zwar Palettenweise. „Es gab überhaupt keinen Widerspruch“, sagt Pretz.
„Es nützt nichts, wenn ich Bananen schicke, die halten sich auf der Fahrt nicht.“
Fred Pretz
Die Paletten wurden nun am Mittwoch im Zentrallager des Supermarktes in Koblenz abgeholt. Ein Privatunternehmer aus Polen spendierte die Lkw-Fahrt. Was er zurück nach Polen bringt werden Getränke sein, darunter Wasser und haltbare Milch, Lebensmittel, die konserviert sind, Müsli, Bockwürste, auch lang haltbare Grundnahrungsmittel: „Es nützt nichts, wenn ich Bananen schicke, die halten sich auf der Fahrt nicht.“ Also werden es: „Konservierbare Lebensmittel quer durch das Spektrum der Möglichkeiten“, erklärt Pretz.
In Murów leben sonst etwa 6000 Menschen, doch nun seien tausende Flüchtlinge vor Ort: „Die Lage sieht dramatisch aus, in Bezug auf Unterbringung und Lebensmittel ist sie katastrophal.“ Auch, weil es einen gewissen Durchlauf an Flüchtlingen gebe. Manche blieben nur für wenige Stunden, um sich kurz auszuruhen, andere könnten nicht meinen Schritt mehr weiterlaufen, wollten bleiben: „Man verliert den Überblick über die Menschen.“ Größtenteils sind es auch hier, Frauen, Kinder. Die Dramatik spiele sich in jedem Einzelfall ab, habe Golenia gesagt.
Und hieraus resultiere natürlich die Knappheit: „Wenn Sie eine Versorgung für 6000 Menschen haben, und dann auf einmal das doppelte versorgen müssen, dann kommt neue Ware nicht schnell genug nach.“ Dieses Problem bestehe laut Pretz im ganzen Osten Polens. Wer sich nun fragt, wie das passieren kann, brauche nur in heimische Supermärkte zu gehen und nach drei Lebensmitteln zu suchen: „Toilettenpapier, Mehl, Öl.“
Es sei nun das Mindeste, was sie machen können, Lebensmittel zu liefern. Auffallend laut Pretz sei, dass keine Babynahrung gebraucht werde, die Frauen kämen mit etwa fünf- bis sechsjährigen Kindern.
„Manche nehmen aus Gutherzigkeit Menschen in ihrem Zuhause auf, auch das kann in den kommenden Wochen zum Problem werden.“
Fred Pretz
Die Aktion habe schnell stattfinden müssen, daher habe es keinen öffentlichen Hilfeaufruf gegeben, erklärt Pretz, allerdings gebe es bereits viele private Initiativen, etwa für Kleidung und ähnliches. Mancher fahre hin und her und bringe in einem Flüchtlinge mit. Was wiederum Herausforderungen mit sich zieht, denn diese Menschen seien teils nirgendwo gemeldet oder – wie bereits in anderen Bundesländern der Fall – stellen offizielle Aufnahmestellen vor neue Problemstellungen. Derzeit wisse man noch nicht, wie man in Vallendar in einem solchen Fall damit umgehen könne. Doch das Phänomen und weitere werde auch sie erreichen, ist Pretz sicher. „Manche nehmen aus Gutherzigkeit Menschen in ihrem Zuhause auf, auch das kann in den kommenden Wochen zum Problem werden.“ Denn oft reiche es nicht, schnell ein Zimmer zu räumen und die Flüchtlinge für ein paar Tage aufnehmen. Denn die Menschen bräuchten für Monate eine Unterkunft. „Das ist manchen nicht bewusst.“
Am Mittwochmittag wartet der VG-Chef „mit Bibbern und Aufgeregtheit“ auf den Zeitpunkt, in dem der Fahrer aus Polen sich bei ihm meldet, dass er in Koblenz angekommen ist. Seine Aufgeregtheit höre erst auf, wenn er höre, dass der Lkw mit seiner wichtigen Ladung unbeschadet in Murów angekommen ist.