„Heute Morgen war auf dem Hauptfriedhof die Gedenkfeier zum Volkstrauertag der Stadt Koblenz. Wenn wir mal die Personen ohne eine Funktion weglassen, gab es kaum Leute, die anwesend waren.“ Diese Äußerung des Bundestagsabgeordneten Josef Oster (CDU) zeigte, wie zutreffend es war, dass nur wenige Stunden später auf einer Podiumsdiskussion am Volkstrauertag in der Begräbnishalle des Koblenzer Hauptfriedhofs folgende Frage diskutiert wurde: Ist unsere Gedenk- und Erinnerungskultur noch zeitgemäß?
Neben Oster diskutierten sein Bundestagskollege Thorsten Rudolph (SPD) und der städtische Baudezernent Andreas Lukas (Bündnis 90/Grüne). Der rheinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling (SPD) und die Geschäftsführerin des Koblenzer Hospizvereins, Ina Rohlandt, mussten kurzfristig absagen. Ein belebendes Element war die Teilnahme von Pfarrerin Marina Brilmayer von der evangelischen Kirchengemeinde Koblenz-Mitte mit drei ihrer Konfirmanden.

Eine Quintessenz der Diskussion: Das Interesse an Gedenkveranstaltungen nehme ab, weil es keine unmittelbare persönliche Betroffenheit mehr gebe und dazu immer weniger Zeitzeugen. Oster erzählte, der Mauerfall am 9. November 1989 habe ihn dazu gebracht, sich politisch zu engagieren. Das Erlebte weckte in ihm also einen Impuls. Doch wie kann das Erinnern wiederbelebt werden?
Dafür braucht es modernere Formen des Gedenkens, waren sich die Diskussionsteilnehmer einig. Pfarrerin Brilmayer erklärte, erfolgreich könne etwa eine generationenübergreifende Erinnerungskultur sein. Jedes Jahr am 9. November, an dem an die Reichspogromnacht 1938 und den Beginn der Judenvernichtung gedacht wird, reinigt sie mit ihren Konfis und der Bürgerinitiative „Unsere Altstadt“ Stolpersteine in Koblenz.

Bei den Jugendlichen kommt das gut an, wie eine spontane emotionale Äußerung von Konfirmand Kian zeigte: „Jeder Stolperstein erzählt eine Geschichte.“ In diesem Jahr verlegte man die Reinigung der Stolpersteine auf den 6. November, um auch an den 80. Jahrestag der Koblenzer Bombennacht zu erinnern. Dazu erzählte mit der Koblenzerin Anne-Christel Boberach eine Zeitzeugin, wie sie die Bombennacht als Neunjährige erlebte.
Eine Frau im Publikum führte an, sie habe den Eindruck, dass die jüngere Generation immer noch mit Schuldgefühlen belastet sei: „Ich habe immer im Gefühl, dass wir uns ewig für unsere Vergangenheit entschuldigen müssten.“

Thorsten Rudolph machte deutlich: „Wir müssen die Erinnerung aufrechterhalten. Es gibt die positiven Ereignisse, etwa die der deutschen Demokratiegeschichte wie das Hambacher Fest 1832 oder die deutsche Wiedervereinigung. Da gibt es aber auch die schlimmen Dinge wie die Nazi-Schreckensherrschaft oder den Holocaust. Da haben wir als Deutsche eine besondere Verantwortung, um klarzumachen: Das darf nicht wieder passieren.“
In der Diskussion um neue Formen der Erinnerung ging Baudezernent Lukas darauf ein, wie Geschichte präsentiert wird. Ein Klassiker, der junge Menschen immer noch mitnimmt, sei das Tagebuch der Anne Frank. Vom berühmten Anna-Seghers-Roman „Das siebte Kreuz“ (Zitat Lukas: „Das ist schwere Kost“) zeigte er eine 1942 in den USA erschienene Comic-Fassung.

Lukas stellte die Frage, ob Geschichte im Unterricht immer noch bei den Römern beginnen müsse. Moderatorin Katrin Wolf berichtete: „Als der Geschichtsunterricht bei uns so dahin dümpelte, riss der Lehrer das Fenster auf und rief: Da hinten hat eine jüdische Familie gelebt. Eines Tages waren alle verschwunden.“ Das habe die Klasse aufgerüttelt. Den Jugendlichen in der Podiumsdiskussion, die sich heute oft in den Sozialen Medien informieren, war bewusst, dass sie hier auch Opfer von Fake News werden können. „Meine Oma sagt immer: Guck lieber die Tagesschau“, so ein Mädchen.
Teil einer Veranstaltungsreihe
Die Podiumsdiskussion war Teil der Veranstaltungsreihe „Achsenwechsel – Stationen des Lebens“, die auf dem Koblenzer Hauptfriedhof unterschiedliche Blickwinkel und Perspektiven auf das Thema „Tod und Vergänglichkeit“ beleuchten soll.