Große Hoffnungen hatte sich John-Oliver Dum nicht gemacht. Dum ist eigentlich Erzieher, hat jahrelang mit behinderten Erwachsenen gearbeitet, ist heute freier Dozent im sozialen Bereich – und in seiner Freizeit Fotograf von toten Insekten, schafft extreme Nahaufnahmen, Details im Mikrometerbereich, sogenannte Makrofotografie. Mit seinen Aufnahmen hat er viele Fans gefunden, ist bekannt in der Szene, hat auch schon Vorträge gehalten. Trotzdem rechnet er sich keine großen Chancen aus, als ihm ein Freund von dem internationalen Wettbewerb Mikrofotografie, Bereich Wissenschaftsfotografie erzählt. Der Freund spricht ihm Mut zu:„Schick das Bild von dem Auge der Pferdebremse“, sagte er. Das und ein weiteres von einem Fliegenrüssel machen sich Ende 2020 auf – nach New York.
Am Dienstag war es nun soweit. Zusammen mit seiner Frau sitzt Dum in Bendorf vor dem PC und wartet die Veröffentlichung der Wettbewerbssieger ab. „Meine Frau meinte, das war das erste Mal, dass sie mich hat jubeln sehen“, sagt der 49-Jährige im RZ-Gespräch. Er schafft es unter 1800 Teilnehmenden nicht nur in die Top Ten von 100 Fotografien, sondern sogar in die Top Five mit der Rüsselspitze der Stubenfliege, das Pferdebremsenauge erhält eine Auszeichnung als sogenanntes „Image of destination“.
Damit ist Dum nicht nur der einzige Europäer unter den Top-Fotografen, sondern auch der einzige ohne Doktortitel. Denn seine Konkurrenten sind allesamt Wissenschaftler – mit Zugriff auf exquisites Equipment. Das seien Leute, die teils in Laboren arbeiteten, die im Namen der Wissenschaft mit den teuersten Materialien ausgestattet würden, bewegten sich damit in einem Bereich von mehreren Hunderttausend bis Millionen Dollar. Ganz im Kontrast zu dem Bendorfer: Sein Studio steht im heimischen Keller, seine Ausstattung basiert teils auf Müll. Als Diffusor, einem Hilfsmittel, um hartes Licht auf Fotos weicher erscheinen zu lassen, muss da schon mal eine Müllermilch-Flasche herhalten, er baut Reste von Styroporplatten um, baut Reflektoren aus Vespas aus und verwendet sie wieder. Material und auch Modelle bekommt er geschickt von Klienten, Fans und Szenemitgliedern.
Er sei der „Lucky Punch“ gewesen, sagt Dum, der Zufallstreffer. Ein kleiner, außenstehender Fotograf, ohne Doktortitel, ohne Millionenbudget, um technische Möglichkeiten weiter auszuschöpfen. Dafür sind manche davon nicht nur zu kostspielig, sondern auch ungesund.
Beispiel: Augen von Insekten verlieren bereits nach wenigen Minuten jede Farbe. Sollen sie für ein Bild schön aussehen, muss man sie einfärben. Dum nutzt dafür Färbemittel für Schafswolle, die seine Frau für Filzarbeiten gebraucht. Andere verwenden sogenanntes Decon 90, ein Mittel, mit dem in Laboren sonst radioaktive Rückstände entfernt werden. Gesund sei anders, sagt Dum. Und doch hat er es nun zu Hause für einen Auftrag aus Österreich. Er soll eine Spinnenart fotografieren, drei Exemplare hat er bekommen, das muss nun gut werden. Er legt die Insekten 60 Minuten in das Mittel, danach hat er fünf Minuten, in denen die Augen aussehen wie neu. Da muss alles schnell gehen, perfekt sitzen und hell sein. Zwar nutzt er LED-Lampen, doch auch die können heiß werden, wenn sie unter extremer Leistung arbeiten. Da habe er schon ganze Anlagen weggeschmolzen, sagt Dum. Auch die Insekten zerbröseln nach wenigen Minuten Licht und Hitze zu Staub.
Bis er den Fliegenrüssel, der nun prämiert wurde, ablichten konnte, musste er lange trainieren. Flüssigkeit injizieren, damit sich der Rüssel nicht sofort wieder zusammenrollt, und die Kamera auf den Schienen platzieren, damit die heranrollen kann, immer wieder Bilder schießt, die später zusammengefügt werden. Nur so wird das Bild gleichmäßig scharf. Ein Prozess, der Stunden dauern kann. Je nachdem, ob das tote Motiv durch das Vorrücken der Kamera gewackelt hat, dann wird es unscharf. Doch die Stunden hatte er beim fragilen Rüssel nicht, da musste alles binnen fünf Minuten soweit sein. Gerne würde Dum sein Hobby mit der Arbeit verbinden, mit beeinträchtigten Erwachsenen in seinem Studio arbeiten. Ein entsprechendes Projekt hatte er schon auf den Weg gebracht, doch wegen Corona sei das ins Wasser gefallen. Doch er hält an dem Traum fest. Gewonnen hat er in New York für beide Bilder übrigens rund 700 Euro, und auch wenn er vieles mit günstigen Hilfsmitteln und sogar Müll substituiert, der Gewinn decke keinesfalls die Kosten.