Wie der Rückbau um den Reaktorkern des Kernkraftwerks in Mülheim-Kärlich vorankommt
Im Herzen der fensterlosen Betonkuppel: So laufen die Rückbauarbeiten im Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich
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Hinter der orangefarbenen Stütze befindet sich der Reaktordruckbehälter. Dort sind keine Menschen, sondern Roboter für den Abbau des radioaktiven Materials zuständig. Fotos: Kim Fauss
Kim Fauss

Seit 20 Jahren läuft der Rückbau des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich. Ein Besuch in der abgesicherten Kontrollzone des Kraftwerks zeigt, was aktuell in der stillgelegten Anlage gemacht wird.

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Eine massive, fensterlose Betonkuppel, Menschen in orangefarbenen Overalls, eine hochmoderne Kontrollbasis mit zahlreichen Überwachungsmonitoren und strikte Regeln und Kontrollen für das Betreten, Verlassen und den Aufenthalt auf dem Gelände. Nein, die Rede ist nicht von einem Gefängnis, sondern vom ehemaligen Kernkraftwerk in Mülheim-Kärlich. Ein Besuch in der abgesicherten Kontrollzone des Kraftwerks zeigt, was aktuell in der stillgelegten Anlage gemacht wird.

Im Herzen der RWE-Anlage unter der Betonkuppel, die man schon aus kilometerweiter Entfernung sehen kann, befindet sich der Kernreaktor. In einem Wassertank, zur Abschwächung der radioaktiven Strahlung des Reaktors, wird das Herzstück der Anlage derzeit von Robotern demontiert. Ein Meilenstein in dem seit nun schon seit zwanzig Jahren andauernden Rückbauprozess. 1986 wurde das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich in Betrieb genommen und nach nur 30 Monaten am Netz – wegen fehlender Genehmigungen – wieder abgeschaltet. 2004 startete dann der langwierige Abbau, dessen Ende bisher kaum absehbar ist. Werksleiter Thomas Volmar sagt: „Vieles machen wir grade zum ersten Mal, es ist also sehr schwer einzuschätzen, wie lange es noch dauern wird.“

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Die Betonkuppel des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich: Hier finden momentan Rückbauarbeiten um den Reaktorkern statt.
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Zum derzeitigen Stand der Rückbauarbeiten fasst Dagmar Butz von der RWE am Mittwoch bei einer Tour durch die Anlage zusammen: „Wir haben seither bereits circa 13.000 Tonnen Material abgebaut.“ Dabei handelt es sich um gewöhnliche Industrieabfälle wie Stahl oder Beton, die teilweise wieder in den Wertstoffkreislauf gebracht werden können, aber auch um etwa 1700 Tonnen radioaktive Abfälle. 2015 verzeichnete RWE einen großen Fortschritt mit dem Abriss des riesigen Kühlturms und nun stehe der Abbau des Reaktordruckbehälters auf der Agenda. Aufgrund der erhöhten Radioaktivität um den Reaktorkern herum eine heikle Angelegenheit.

Obwohl die Strahlung als mittel bis gering eingestuft wird, gilt für Arbeiter und Besucher die Einhaltung strenger Sicherheitsmaßnahmen. Was für die Mitarbeiter zum Alltag geworden ist, wirkt für Besucher schnell wie eine Szene aus einem Katastrophenfilm: Jeder, der die sogenannte Kontrollzone betreten möchte, muss sich bis auf die Unterwäsche ausziehen, seine persönlichen Gegenstände aufs Geringste reduzieren und wird dann mit einem Overall, Helm, Sicherheitsschuhen und einem Dosimeter zur Überwachung der Strahlung ausgestattet. Das eingeschleuste technische Equipment, wie Kameras oder Mikrofone, wird beim Betreten genaustens untersucht. „Diese Maßnahmen muss jeder befolgen, da machen wir keine Ausnahmen“, betont Jan Peter Cirkel, Pressesprecher der RWE.

Auch für die abgebauten Materialien, die aus der Kontrollzone geschafft werden, gelten strenge Vorgaben. Butz erklärt, dass beim Rückbau aufgrund der Radioaktivität einiger Abfälle für jede einzelne Maßnahme separate Genehmigungen eingeholt werden müssen. Des Weiteren muss jeder Winkel, jede Rohrleitung und jedes noch so kleine abgebaute Teil überprüft werden: Ist es frei von Strahlung, oder nicht?

Hat man die Prozedur des Einschleusens überstanden, kann man das wuchtige Gewölbe, in dessen Mitte sich der Kernreaktor befindet, von innen bestaunen. Durch den hohen Raum schallt der Lärm der Lüftungsanlage, auf mehreren Ebenen wuseln Arbeiter herum. Insgesamt sind dort 150 Personen tätig, die sich in Schichtarbeit mit dem Abbau befassen. „Die Leute in den grünen Anzügen sind vom Strahlenschutz. Wenn sie Anweisungen geben, hat denen jeder Folge zu leisten, egal welchen Rang die Person normalerweise hat“, erwähnt der Pressesprecher beiläufig.

An der Kontrollbasis überwachen die Werksmitarbeiter den Kontrollbereich. Auch die Demontage des Reaktordruckbehälters mit Einsatz von Robotern wird von dort aus in sicherer Distanz zur radioaktiven Strahlung gesteuert.
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Was auf den verschiedenen Ebenen um den Reaktorkern herum passiert, zeigen fünf Monitore in der Kontrollbasis. Kontrollleuchten, Schalter und Hebel – genau, wie man sich die Kontrollbasis eines Atomkraftwerks eben vorstellt. Auch die Roboter, die im Wassertank um den Reaktordruckbehälter im Einsatz sind, um diesen abzubauen, werden von dort gesteuert. Vor den Bildschirmen sitzen zwei Arbeiter, die beobachten, ob alles reibungslos abläuft.

Auch wenn das Innere der Betonkugel eigentlich nur noch eine einzige große Baustelle ist, fällt sofort auf, wie sauber es hier ist. Kein Bauschutt, gefühlt nicht mal ein Hauch von Staub. „Das liegt daran, dass der Staub die größte Kontaminierungsgefahr birgt“, sagt Volmar. Daher sei es eine Priorität alles sauber zu halten und Staubanlagerungen sofort wegzuwischen. „Wenn die Haut oder Kleidung von außen kontaminiert ist, kann man das ganz einfach mit Wasser und Seife entfernen, aber wenn man zum Beispiel den Staub einatmet, ist das wesentlich schwieriger“, führt der Werksleiter weiter aus.

Eine Ebene unter der Kontrollbasis befindet sich die Materialschleuse. Von hier aus werden die abgebauten Einzelteile abtransportiert. „Abfälle, bei denen keine Strahlung festgestellt wurde, werden in Gitterboxen gesammelt und gelangen letztlich wieder in den ganz normalen Wertstoffkreislauf“, so Pressesprecher Cirkel. Wesentlich zeitaufwendiger sei die Entsorgung der radioaktiven Abfälle. Werksleiter Volmar erklärt, dass diese per Lkw in Spezialcontainern abtransportiert werden. Die verstrahlten Abfälle werden dann in ein Zwischenlager in Ahrhaus gebracht. Anschließend erfolgt ein Weitertransport zum Schacht Konrad in die Nähe von Salzgitter, wo die Abfälle an die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGZ) übergeben werden.

Derzeit befinde man sich bei einer besonders mühsamen Phase des Abbauprozesses. Es geht um den „großen Kochtopf“, wie Pressesprecherin Butz den Reaktordruckbehälter scherzhaft beschreibt. In diesem Bereich befindet sich die höchste radioaktive Strahlung der ganzen Anlage, weshalb die Demontage nur ferngesteuert mithilfe von Robotern erfolgen kann. Ihr Kollege Cirkel ergänzt: „Das Kraftwerk in Mülheim-Kärlich ist am weitesten mit dem Abbau fortgeschritten. Viele Dinge machen wir hier nun zum ersten Mal.“ Ein Reaktordruckbehälter werde in diesem Kraftwerk beispielsweise zum allerersten Mal abgebaut. Auch das kostet Zeit, könne allerdings für die Rückbauarbeiten in anderen Kraftwerken später als Vorbild dienen, so Cirkel.

Am Ende der Tour erfolgt erneut eine strenge Kontrolle, da während des Aufenthalts in der Kontrollzone schließlich immer noch ein gewisses Kontaminierungsrisiko besteht. Helm, Schuhe und Overalls werden abgelegt und kommen in dafür vorgesehene Behältnisse zur Reinigung. Bevor Besucher und Arbeiter dann wieder in ihre Alltagsklamotten schlüpfen dürfen, heißt es: „Einmal bitte durch die Luftschleuse.“ Grünes Licht, die Tür auf der anderen Seite der Schleuse öffnet sich und man ist offiziell unverstrahlt auf der „sicheren“ Seite des Reaktorgebäudes angelangt.

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