Der kleine Tobi sitzt einsam und verlassen auf dem Boden. Sein rot-schwarzes Mäntelchen hält ihn an diesem kühlen, tristen Nachmittag warm, als er mit verwirrtem Blick seinen Spielkameraden sucht. Tobi und sein neuer Freund Spike sind seit Kurzem unzertrennlich – die beiden Welpen teilen das gleiche Schicksal und haben sich im Tierheim Koblenz kennengelernt. Kirstin Höfer, die Leiterin des Tierheims, hat quasi Kupplerin gespielt und das dynamische Duo zusammengebracht.
Mit den Welpen Tobi und Spike ist das Hundehaus nun vollständig ausgelastet. Der Grund: Viele Menschen wollen ihren Hund nicht mehr oder können ihn nicht behalten. „So viele private Abgaben hatten wir noch nie. Die Leute rufen aus ganz Deutschland an“, sagt Höfer. Drei Anrufe an nur einem Vormittag seien derzeit keine Seltenheit. Doch warum ist das so?

Schwanzwedelnd kommt der Mischlingswelpe Tobi am Tor des Außengeländes an. Dort warten neben dem kleinen Spike bereits zwei Mitarbeitende des Tierheims – und eine alte Collie-Dame. „Sky ist schon zehn Jahre alt. Sie ist die Zieh-Oma der beiden“, erklärt Höfer, während das Dreiergespann munter über den Hof des Tierheims läuft. Collie Sky sei nur vorübergehend da. In Pflege sozusagen, weil ihr Herrchen gestürzt und nun in Reha sei. „Sky war anfangs sehr traurig. Die beiden Welpenjungs waren allein. Also habe ich die drei zusammengebracht“, erzählt Höfer.
Die kleine Patchworkfamilie hatte Glück: Im Koblenzer Tierheim sind sie nun vorerst zu Hause. Alle Räume sind nun belegt. Nicht erst seit gestern kommen viele örtliche Tierheime an ihre Grenzen. „Die Pandemie sorgte für einen Haustierboom und in der Folge zu einer Flut von unüberlegt angeschafften ‚Corona-Tieren‘, die bis heute andauert und die Tierheime an ihre Kapazitätsgrenzen bringt“, sagt Hester Pommerening von der Pressestelle des Deutschen Tierschutzbundes.
Hunde landen immer häufiger im Online-Warenkorb
Eine Vielzahl an Gründen führt zu der aktuellen Situation in den Tierheimen, wie Pommerening erklärt: „Dabei geht es vor allem darum, dass Tiere unüberlegt, unbewusst und mit falschen Erwartungen so einfach angeschafft werden können. Wer sich vorab nicht gut informiert, holt sich ein Tier schnell leichtfertig und oft aus zweifelhafter Herkunft – und zwar üblicherweise übers Internet.“
Quasi per Mausklick landet das vierbeinige Familienmitglied immer häufiger im neuen Zuhause. Die Koblenzer Tierheimleiterin erzählt: „Seit der Corona-Pandemie sind Tor und Tür für den Online-Handel offen.“ Die Menschen kämen heute viel zu schnell und zu einfach an einen Hund. „Wenn das Zusammenleben nicht klappt, sind wenige Besitzer bereit, ihre Zeit in die intensive Arbeit mit dem Hund zu investieren, beispielsweise mit einem Hundetrainer“, erklärt Höfer.
„Manchmal bekomme ich in den Abgabegesprächen ein Schleudertrauma.“
Kirstin Höfer. Leiterin des Koblenzer Tierheims
Zeit für die Erziehung hatten auch die Besitzer von Spike nicht. Höfer erzählt von dem Abgabegespräch: „Die Besitzer waren genervt, dass er überall hin pinkelte.“ Tobis Besitzer begründeten die Abgabe des kleinen Mischlingswelpen damit, dass sie ihn von einem Freund übernommen hätten – besagter Freund habe sich dann nicht mehr gemeldet und sei auch nicht mehr erreichbar gewesen. „Manchmal bekomme ich in den Abgabegesprächen ein Schleudertrauma“, sagt Höfer.
Nicht immer seien die Haustierhalter ehrlich. „Dass die Anschaffung des Tieres nicht gut überlegt war, geben die Menschen natürlich nicht zu. Da werden dann andere Gründe, wie Allergien, vorgeschoben.“ Die Erziehung der Welpen hat nun auch die Collie-Dame übernommen. „Sky hat eine Aufgabe gebraucht, als sie hier ankam“, sagt die Tierheimleiterin. Seit sie mit Tobi und Spike zusammen ist, sei sie aufgetaut.

Unseriöse Tierschutzvereine in der Kritik
Tobi und Spike sind beide etwa vier Monate alt. Beide Welpen kommen aus Bulgarien – das sagen zumindest ihre Pässe. „Solche Hunde nehmen wir sofort auf, die werden sonst immer weiter gereicht“, erklärt Höfer. Nicht immer fällt der Tierheimleiterin die Entscheidung so leicht. „Ich stelle mir immer die Frage, welcher Hund am meisten in Not ist. Das ist aber niemals fair und mit psychischem Druck verbunden.“ Druck üben manchmal aber auch die Hundebesitzer aus. Die Tierheimleiterin berichtet: „Es kam auch schon vor, dass ich erpresst wurde, da hießt es dann: Entweder Sie nehmen den Hund oder ich setze ihn aus.“
„Gut gemeint ist nicht immer gleich sinnvoll umgesetzt.“
Hester Pommerening, Pressersprecherin Deutscher Tierschutzbund
Einen Grund dafür, dass so viele Besitzer ihre Hunde wieder abgeben, sieht die Tierheimleiterin vor allem in der Arbeit von unseriösen Tierschutzorganisationen, die im Ausland tätig sind. „Wenn Tierschützer Hunde nach Deutschland bringen, dann tragen sie die Verantwortung. Viele nehmen die Tiere aber nicht mehr zurück. Deshalb rufen die Leute dann bei uns an.“ Ein Tierheim sei zwar nicht verpflichtet, alle Hunde aufzunehmen, allerdings verweigerten die meisten die Aufnahme letztlich nicht – des Tierwohls wegen.
Auch das rheinland-pfälzische Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität sieht die Vermittlung von Tieren aus dem Ausland kritisch. Die Vermittlung finde häufiger anonym über das Internet statt. Eine weitere verantwortungsvolle Betreuung der meist durch völlig andere Lebensbedingungen sozialisierten und nicht selten traumatisierten Tiere könne von den neuen Haltern häufig nicht gewährleistet werden. Oliver Heberling, Leiter der Pressestelle des Ministeriums, erklärt: „Der Verkauf von Tieren über Online-Plattformen fördert spontane Kaufentscheidungen, die eine Überforderung der Tierhalterinnen und Tierhalter mit eventuell verhaltensauffälligen Tieren nach sich ziehen können.“ Besonders verhaltensauffällige Tiere würden oft im Tierheim abgegeben und seien von dort aus schwer weiterzuvermitteln.
Auch der Deutsche Tierschutzbund blickt kritisch auf den Auslandstierschutz. Pressesprecherin Pommerening sagt dazu: „Tierschutz macht auch für uns als Tierschutzbund grundsätzlich nicht an Grenzen Halt. Wichtig ist aber: Sowohl als Adoptant als auch als Organisation sollte man das große Ganze im Blick haben. Gut gemeint ist nicht immer gleich sinnvoll umgesetzt.“

Zurück im Koblenzer Tierheim. Nach der täglichen Spielerunde heißt es für die Welpen erst einmal: Raus aus den Mäntelchen. „Das ist hier wie im Kindergarten.“ Kaum haben die Mitarbeitenden die Jacken an die Haken an der Wand gehängt, stürmt das Duo ins Zimmer. Die Welpen hüpfen rangelnd von einer Ecke des Raumes in die andere. Collie Sky schaut dem wilden Treiben einen Moment lang zu, macht es sich dann aber auf einer Liege gemütlich. Ihre Jungs lässt sie dabei nicht aus den Augen.
Spike und Tobi wuseln noch eine Weile durch ihr Zimmer im Hundehaus. Nach dem anstrengenden Nachmittag mit ihrer kleinen Rasselbande, fallen der alten Collie Hündin Sky langsam die Augen zu. Es dauert nicht mehr lang, da kommt auch das wilde Duo langsam zur Ruhe. „Die beiden lernen sehr viel von Sky. Sie hat ihnen auch beigebracht, ihre Geschäfte nicht mehr im Zimmer zu verrichten“, sagt Höfer. Die Tierheimleiterin ist optimistisch: „Die beiden sind noch jung, da sind die Vermittlungschancen gut.“
Wie erkenne ich seriöse Auslandstierschutzorganisationen?
Seriöse Tierschutzorganisationen, die im Ausland tätig sind, wollen die Situation der dort lebenden Tiere langfristig verbessern. Ein solcher Verein konzentriere sich nicht allein darauf, Tiere außer Landes zu bringen und nach Deutschland zu importieren, sondern lege seinen Schwerpunkt auf die nachhaltige Hilfe vor Ort, so Hester Pommerening von der Pressestelle des Deutschen Tierschutzbundes. Ein zentrales Element dieser Arbeit seien die Kastrationen. Außerdem leiste ein seriöser Verein Aufklärungsarbeit bei der Bevölkerung und sollte mit Behörden, Veterinärämtern und anderen Vereinen vor Ort zusammenarbeiten. Die Koblenzer Tierheimleiterin Kirstin Höfer erklärt, dass ein seriöser Verein die Tiere nicht direkt aus dem Ausland vermittele. Die Übergabe solle nicht an Parkplätzen oder Flughäfen stattfinden, sondern bestenfalls auf einer Pflegestelle. Außerdem zeige sich ein seriöser Verein nach der Vermittlung verantwortlich für das Tier und nehme es im Zweifelsfall zurück. hkl