Von unserer Redakteurin Doris Schneider
Die Polizei wird gerufen: „Hilfe, da ist eine Schlägerei!“ Doch wenn die Beamten in die Großsiedlung Neuendorf fahren (schon seit einiger Zeit aus Sicherheitsgründen nicht mehr nur mit einem Wagen), gibt es keinen Notfall. Stattdessen werden die Beamten im besseren Fall mit Eiern und Äpfeln beworfen, im schlechteren mit Steinen. Aus dem Hinterhalt. Die Täter entkommen unentdeckt im Dunkeln des Wohngebiets zwischen Herberichstraße, Werner-von-Siemens-Straße und Wallers- heimer Weg.
Mittlerweile sind solche Szenen nicht gerade Alltag, aber auch keine Ausnahme mehr, sagt Peter Jahnen, Leiter der Polizeiinspektion Koblenz 2, in deren Zuständigkeitsgebiet die Großsiedlung liegt: „Ja, es hat eine neue Qualität.“ Auch früher haben hier mal Mülltonnen gebrannt oder wurden Bänke oder Telefonzellen zerstört, doch seit ein paar Wochen, eher Monaten passiert immer mehr – und es wird immer gewalttätiger.
In einem Fall wird ein Streifenwagen der Polizei mit einem brennenden Molotowcocktail beworfen, in einem anderen wird einem Wagen des Ordnungsamts der Rückweg durch Sperrmüll auf der Straße versperrt. Das Geschoss einer Steinschleuder beschädigt einen Einsatzwagen der Polizei so stark, dass es – hätte es einen Menschen getroffen – mindestens schwere Verletzungen gegeben hätte. „Dass noch nicht mehr passiert ist, ist im Grunde reines Glück“, sagt Heinz-Peter Ackermann von der Polizeidirektion Koblenz.
Das gilt auch für die zahlreichen Mülltonnenbrände, die auch auf Wohnhäuser übergreifen könnten, aber bisher immer glimpflich verlaufen sind. Allein am Donnerstag zwischen 18 und 18.30 Uhr werden an vier verschiedenen Stellen im Wohngebiet Mülltonnen in Brand gesteckt, eine weitere brennt in der Nacht.
Wer die Täter sind – die Polizei tappt im Dunkeln. „Ob da aus Langeweile oder aus Gruppendruck heraus gehandelt wird, darüber können wir nur spekulieren“, so Ackermann. „Aber vermutlich können die selbst gar nicht richtig einschätzen, wie gefährlich es ist, was sie tun“, sagt er dann und verweist auf den Jugendlichen in Neuwied, der nach der Sprengung eines Zigarettenautomaten gestorben ist. „Da sind vier Jungs, die lungern rum und wollen rauchen, und dann ist einer tot.“
Jedenfalls will die Polizei ihre Einsatzmaßnahmen verstärken. Das hat sie auch bereits am Donnerstag getan, wo nicht nur etliche Polizisten in der Großsiedlung unterwegs waren, sondern zusätzlich auch der Polizeihubschrauber zum Einsatz kam, was viele Bürger zu Nachfragen veranlasste. „Unser Ziel ist es, die Ruhe und Sicherheit für die Menschen in der Großsiedlung wieder herzustellen und die Täter einem gerichtlichen Verfahren zuzuführen“, sagt Thomas Fischbach, Leiter der Polizeidirektion. Am Donnerstag musste die Polizei ohne Ergebnisse wieder abziehen.
Lösen können die Ordnungskräfte das Problem sowieso nicht allein. „Da ist die ganze Gesellschaft in der Verantwortung“, sagt Peter Jahnen von der PI 2. Auch Nicole Weier, die in der Großsiedlung als Jugend-Sozialarbeiterin tätig ist, sieht das so: „Die Jugendlichen, die hier leben, haben keine Perspektive – und sie wissen das.“ Die Arbeitslosigkeit ist enorm hoch, die Bewohner leben am Rand der Gesellschaft und fühlen sich auch so. „Und dann halten alle zusammen, da verrät keiner den anderen.“
Dass nun die Häuser saniert werden sollen und das Wohngebiet damit aufgewertet werden soll, wird die akuten Probleme nicht lösen. Am Freitag kam die Pressemitteilung aus dem Innenministerium, dass die Stadt Koblenz für dieses Jahr 505 000 Euro Fördermittel aus dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ erhält, mit denen Maßnahmen in Neuendorf finanziert werden sollen.
Bei aller Aufregung plädiert Hans-Peter Ackermann zu einer nüchternen Einschätzung: „Das ist übel, was da abläuft, aber es sind ja keine bösen Verbrecher. Das sind Jungs, bei denen einiges schief gelaufen ist bisher, sicher auch in der Erziehung. Aber Neuendorf ist nicht die Bronx.“