Vallendar
Gespräche im Advent: Angst vor verpackten Geschenken

Elisabeth Auers Tochter Silvia leidet an Autismus. Wenn sie nicht weiterweiß, klammert sie sich an einen ihrer Stoff-Löwen.

Ingo Schneider

Vallendar - Als wir Familie Auer das erste Mal in Vallendar besucht haben, gab es viel zu lernen, galt es mit vielen Klischees aufzuräumen. Was genau ist Autismus, die Krankheit, an der in Deutschland etwa 500 000 Menschen leiden - darunter die damals 21-jährige Silvia?

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Vallendar – Als wir Familie Auer das erste Mal in Vallendar besucht haben, gab es viel zu lernen, galt es mit vielen Klischees aufzuräumen. Was genau ist Autismus, die Krankheit, an der in Deutschland etwa 500 000 Menschen leiden – darunter die damals 21-jährige Silvia?

Der Rückzug in eine eigene psychische Welt, die Abwehr von allem, was der Autist nicht einordnen kann: Was bedeutet das für den Alltag der strapazierten Familie? Damals hatte Silvia Auer gerade ein Langzeitpraktikum in der Druckerei des Heinrich-Hauses, einer katholischen Einrichtung in Neuwied, begonnen. Arbeiten im geschützten Rahmen: Für die heute 23-jährige Autistin eine echte Perspektive. Wie sieht es jetzt, eineinhalb Jahre später, aus? Wir haben für unsere Adventsserie mit Elisabeth Auer gesprochen. Sie ist nicht nur Silvias Mutter, sondern auch die Vorsitzende des Verbandes Autismus Westerwald-Mittelrhein.

Wie feiert man mit einer autistischen Tochter Weihnachten?

Silvia wollte früher gar nicht feiern. Heiligabend war bei uns immer ein Schrei-Abend. Silvia hatte wohl Angst – vor allem vor verpackten Geschenken. Wir haben das erst spät verstanden. Vor zwei Jahren kam dann ein Wandel. Was der zentrale Auslöser war, das wissen wir nicht, aber plötzlich war Weihnachten okay. Jetzt beschäftigt sich Silvia intensiv mit dem christlichen Gedanken. Sie findet Jesus „einen tollen Typen“. Er wollte Frieden stiften, den Menschen helfen. Und das möchte Silvia auch so gern. Und Weihnachten will sie ganz traditionell feiern.

Und was bedeutet das konkret?

Sie will an Heiligabend die ganze Familie um sich haben, will einen geschmückten Baum und Lieder singen und höchstens kleine Geschenke bekommen. Und sie macht sich viele Gedanken über ihre Geschenke für andere. Die Angst vor Überraschungen ist geblieben. Deshalb bereiten wir alles gemeinsam mit ihr vor, auch die Geschenke – und verpacken sie nicht mehr.

Überraschungen, neue Situationen, Unruhe: All das sind für Silvia mögliche Auslöser für Krisen?

Ja, deswegen hat sie im Heinrich-Haus das Arbeitsfeld gewechselt. Sie ist jetzt bei den Stuhlflechtern. In der Druckerei gab es manchmal Hektik und natürlich Lärm. Schwer verkraftbar für Silvia. Bei den Stuhlflechtern hat sie keinen Druck, sie kann ihr Arbeitstempo selbst bestimmen, es herrscht eine ruhige Atmosphäre in einem großen, hellen Raum. Die anderen Beschäftigten sind älter als sie. Das behagt ihr und so macht ihr die Arbeit Spaß.

Bei unserem ersten Gespräch war Silvias Idee für die Zukunft das Leben in einer WG mit anderen Behinderten. Ist das realistisch oder reine Utopie?

Wir hoffen darauf, dass wir innerhalb der nächsten vier bis fünf Jahre eine passende Lebensumgebung für sie finden können. Tatsache ist, dass Silvia völlig aufgeschmissen ist, wenn sie sich selbst überlassen bleibt. Sie braucht stetige Zuwendung, braucht vertraute Menschen zum Festhalten, die sie mögen und ihre Interessen fördern. Trifft sie auf jemanden, der ihr Selbstbild nicht kennt, dann kann innerhalb eines Wimpernschlags ihre ganze Welt zusammenbrechen.

Ingo Schneider

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