Prozess Bande produzierte in Koblenz und Köln 399 Millionen Zigaretten - Schwerkranker (72) erhält überraschend milde Strafe
Gefälschte Marlboros: Warum ein Mafiapate (72) alles bereut
Einst Pate der Zigarettenmafia, heute ein kranker Mann: Der Angeklagte (72, rechts) kam mit Rollator und Anwalt Philipp Grassl zum Prozess. Foto: Ditscher
Sascha Ditscher

Koblenz. Einst war er ein Pate der Zigarettenmafia, heute braucht er einen Herzschrittmacher und ist pleite: Der 72-Jährige, der am Mittwochmorgen mit einem Rollator in Saal 105 des Landgerichts Koblenz schlurft, blickt im Zorn zurück auf seine Karriere als Schwerverbrecher. Er war vor gut zehn Jahren führendes Mitglied einer internationalen Bande, die in Koblenz, Köln und Österreich gut eine Milliarde gefälschte Marlboro-Zigaretten produzierte, bis nach Spanien verkaufte und einen Gesamtsteuerschaden von mindestens 170 Millionen Euro verursachte. Jetzt zieht er sein vernichtendes Fazit: „Außer Kummer und Sorgen hat mir das alles nichts gebracht!“

Das Landgericht hat den 72-Jährigen wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer überraschend milden Strafe verurteilt: Er erhielt eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren – obwohl er allein in Deutschland für 19 Millionen Euro Steuerschaden mitverantwortlich ist. Einer der Gründe: Der Mafiapate war bereits 2015 in seiner Heimat Österreich zu elf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden – auch wegen gefälschter Zigaretten. Er gilt als einer der schlimmsten Steuerhinterzieher seines Landes und sitzt dort wohl noch Jahre hinter Gittern, kommt schlimmstenfalls erst 2024 frei – dann ist er 79.

Es war der letzte Prozess gegen die Koblenzer und Kölner Zigarettenmafia: Die Fälscherbande, zu der Deutsche, Bulgaren, Kroaten, Österreicher, Russen und Serben gehörten, war 2004 und 2005 aktiv. Seither wurden allein in Deutschland mehr als 15 Mitglieder zu Strafen bis zu neun Jahren Haft verurteilt. Wenn künftig weitere Mittäter bekannt werden, erhalten sie wohl keine Strafen mehr: Die Tatvorwürfe sind inzwischen verjährt.

Die Bande arbeitete hoch professionell: Die gefälschten Marlboros sahen echt aus, kamen im typisch rot-weißen Karton daher und sollen nicht schlecht geschmeckt haben. Die Stange kostete laut einem Experten zwischen 12 und 20 Euro – der offizielle Preis pro Stange liegt heute bei rund 60 Euro. In Koblenz hatte die Bande in der Andernacher Straße eine Halle angemietet. Dort stellten die Ermittler 2005 eine 400.000 Euro teure Maschine zur Zigarettenproduktion sicher, überdies 300.000 Stangen mit Zigaretten, tonnenweise Tabakfeinschnitt, Zigarettenpapier und Verpackungsmaterial.

Neun Jahre später wurde der 72-Jährige festgenommen. Jetzt behauptete er im Prozess, dass er mit der Halle in Koblenz nichts zu tun hatte. Aber er habe für die Bande eine Halle in Köln angemietet und dorthin eine Produktionsmaschine geschickt. Er verließ die Bande 2004, erhielt 300.000 Euro Schweigegeld und eine Todesdrohung: „Eine Patrone für dich kostet nur 1 Euro!“ Heute ist er laut der Staatsanwaltschaft pleite.

Der Vorsitzende Richter Thorsten Bonin nannte drei weitere Gründe für das milde Urteil gegen den Mafiapaten: Seine Straftaten liegen erstens bis zu 13 Jahre zurück. Zweitens legte er im Prozess ein Teilgeständnis ab. Drittens ist er schwer krank. Der 72-Jährige fuhr im September im Gefangenenbus zum Gericht, erlitt einen Herzinfarkt, bekam später einen Herzschrittmacher und einen Rollator. Im Prozess saß ein Arzt im Saal, der den Gesundheitszustand des einstigen Mafiapaten überwachte.

Von unserem Chefreporter Hartmut Wagner

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