Der Musikverein Oberfell hat sich mit der besonderen Geschichte der Oberfeller Frauen beschäftigt – längst überfällig wie Dorfchronist und früherer Bürgermeister Gottfried Thelen findet.
Der 71-Jährige erinnert sich an die Zeiten, in denen die Männer im Ort fehlten. In denen Väter, Ehemänner und Söhne im Frühjahr den Moselort verließen, um in ganz Deutschland zu arbeiten – und erst im November wieder zurückkehrten. Doch wie kam das überhaupt? Mit 44 Hektar Weinbergsfläche gehörte Oberfell – neben Kobern und Winningen – zu den größten Winzerorten an der Untermosel. Nur große Winzerbetriebe gab es nicht. Dafür 135 Kleinbetriebe, jeder mit weniger als 10.000 Stock. Das Winzerdasein, nur Nebengewerbe. Da auch landwirtschaftliche Flächen Mangelware waren, mussten sich die Oberfeller auf etwas anderes spezialisieren: Steinsetzerei. Was für den Wingert wichtig und sinnvoll ist, wird auch an anderen Orten gebraucht. Oberfeller Männer waren deshalb monatelang woanders beschäftigt: auf Nordseeinseln, um Sturmschäden zu beseitigen, im Sauerland, um an Talsperren zu arbeiten. Sobald das Wetter besser wurde, zogen die Männer aus und kamen vorm Buß- und Bettag nicht mehr heim. Um das Wiedersehen gebührend feiern zu können, wurde sogar die Kirmes auf Buß- und Bettag verlegt, so konnte von Mittwoch bis Sonntag durchgefeiert werden.
100 Jahre ist diese Neuterminierung her, und anlässlich dessen hat man in Oberfell wieder gefeiert – und in einer Fotoausstellung zudem die „Frauenpower“ beleuchtet. „Man spricht immer über die Männer, es wird Zeit, dass die Leistung der Frauen gewürdigt wird“, sagt Thelen. Übers Internet und Gemeindeblatt startete der Musikverein Mosella Oberfell im Juni einen Aufruf, sagt zweiter Schriftführer Nicolas Endris. Leute sollten alte Fotos schicken und Geschichten erzählen. Mehr als 200 Bilder – entstanden zwischen 1910 und 1960 – wurden eingereicht, sagt der Vereinsvorsitzende Jan Fischer. Nur manche aus dem Wingert: „Fotoapparate waren eine Seltenheit und noch seltener hat man sie mit in den Weinberg genommen“, sagt Fischer. Was man sieht: Frauen, die hart anpacken, aber auch selbstbewusst in die Kamera lächeln. Die Weinpreise waren gut, sagt Thelen, die Frauen haben mit ihrem Nebenerwerb entsprechend verdient – und sich auch nichts sagen lassen. „Frauen durften damals nicht selbst entscheiden: Wenn der Weinpreis bei 1500 Mark pro 1000 Liter lag, mussten sie ihre Männer anrufen, um zu fragen, ob sie verkaufen durften.“ Mancher Mann entschied aus der Ferne: „Bleiben lassen, der Preis steigt noch weiter.“ Wenn der Preis dann fiel, machte das nichts – denn die Frauen hatten oft heimlich schon verkauft. „Die Oberfellerinnen haben kein großes Aufhebens gemacht, sondern einfach getan, was sie wollten.“ Und was sie mussten, die Arbeit war auch ein Knochenjob: „Meine Oma, Mutter und Tante haben zu dritt die Spritzmittelanlage gebuckelt und in den steilen Weinberg getragen – das war eine Riesenleistung“, erinnert sich Thelen. Auch der Zusammenhalt unter den Frauen war groß – selbst wenn viele nicht aus dem Ort stammten: „Meine Großmutter kommt von der Ahr, meine Mutter aus dem Hunsrück“, sagt Thelen. Die Männer hätten von ihren Reisen oft jemand neuen mit in die Gemeinde gebracht – das habe den Ort geöffnet.
Kamen Gatten, Väter und Söhne dann im Winter zurück, ging es fast jeden Abend in die Wirtschaft, trinken, feiern, es sich gut gehen lassen. Doch die Arbeit einer Winzerfrau endet ja bekanntlich nie: Sie mussten weiter den Weinberg besorgen. Anfang der 1960er Jahre konnten sich die Frauen erstmals für einen eigenen Beruf entscheiden. Die schwere Winzerarbeit blieb liegen. Das Selbstbewusstsein diesen Schritt zu machen, hatten sie ja schon und haben es bis heute. So gibt es viele Geschichten und Gerüchte aus der Zeit, aber die trauen sich Thelen, Fischer und Endris nicht zu erzählen. Das gebe sonst Ärger, mit den Frauen.
Die Ausstellung, die von der LAG Mosel gefördert wurde, ist noch mal bei der Oberfeller Dorfweihnacht am Sonntag, 1. Dezember, zu sehen, eine Erinnerungstafel soll am darauffolgenden Wochenende im Pfarrhaus aufgehangen werden.