Ulrike’s Kulturbackhaus hat die insolvente Thilmann Brot GmbH gekauft - Seit Kurzem arbeiten neue und alte Mitarbeiter gemeinsam
Firmenkulturen treffen aufeinander: So wachsen die Teams von Thilmann und Ulrike's Backhaus in Wolken zusammen
Bäcker wie Patrick Albrecht (links) arbeiten in verschiedenen Schichten – hier formen sie gerade Brotteig.
Peter Meuer

Seit zwei Wochen werden die Brötchen, Brote und Teilchen für die Filialen von Ulrike's Kulturbackhaus am Standort der früheren Großbäckerei Thilmann Brot gefertigt. Ulrike Schmitz hatte die insolvente GmbH Ende 2022 übernommen, verlegt Produktion und Büroräume von Andernach nach Wolken. Die früheren Thilmann-Mitarbeiter und die Bäcker von Ulrike Schmitz müssen nun zusammenfinden. Das ist nicht immer leicht - doch der Bäckerhumor hilft.

Bäcker wie Patrick Albrecht (links) arbeiten in verschiedenen Schichten – hier formen sie gerade Brotteig.
Peter Meuer

Als Michelle Gräf den Teig auf die Reise schickt, da ist er noch fast weiß, fahl, wie frisch geboren. Die Bäckerin und Konditorin kurbelt kleine Röllchen hinein in ein Bad aus gelbem Fett, stupst mit einem Metallstab hier und da nach. Dann übernimmt die Maschine. Während ihrer Reise durchs 170 Grad heiße Goldbiskin werden die kleinen Teigbatzen erwachsen, brutzeln zu runden braunen Quarkbällchen heran. „Direkt an der Maschine ist es ganz schön warm“, sagt Michelle Gräf. Schweißperlen funkeln wie zum Beweis auf ihrer Stirn. Dann lächelt sie. „Aber nur, weil ich nah ran muss. Generell haben wir jetzt viel mehr Platz zum Arbeiten.“

Es ist Nachtschicht in Wolken, und Michelle Gräf, 29 Jahre jung, eine erfahrene Gesellin, ist „gerade erst aufgestanden“ und dann zu ihrem neuen Arbeitsplatz geeilt, wie sie erzählt. Sie gehört zu den rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Ulrike Schmitz und ihrer regionalen Bäckereikette. Die Produktionsmannschaft firmiert unter Ulrike’s Landhausbäckerei, die Filialen laufen unter Ulrike’s Kulturbackhaus.

Heinz-Erich Los ist Ulrike Schmitz' rechte Hand in Wolken. Der erfahrene Bäckermeister arbeitet seit gut einem Jahr für sie.
Peter Meuer

200 Menschen also. Fahrer und Verkäuferinnen, Büroangestellte, Bäcker und Konditorinnen. Gut die Hälfte war schon zuvor bei Ulrike Schmitz angestellt, der Rest arbeitete bis Ende 2022 für die Thilmann Brot GmbH. Thilmann mit Stammsitz in Wolken hatte ein Insolvenzverfahren anmelden müssen. Monatelang war nicht klar, wie es weitergeht. Dann, zum Jahresende hin, kam die für viele entlastende Nachricht: Ulrike Schmitz und ihr Kulturbackhaus übernehmen Thilmann.

Die Maschinen. Das Interieur der Filialen. Den Stammsitz in Wolken (gepachtet). Und vor allem: die Mitarbeiter. „Es war eine angespannte Zeit“, ruft einige Schritte weiter Patrick Albrecht, 30 Jahre alt. Er unterbricht sein Tun dabei nicht, knetet Brotteiglinge, die im Sekundentakt aus einer Maschine fahren. „Es war gut, dass wir dann wussten, wie es weitergeht.“ Der Bäckergeselle sagt, er habe sich stets gut mitgenommen und informiert gefühlt, auch von Insolvenzverwalter Jens Lieser.

Verschiedene Kulturen

Michelle Gräf ist schon seit Jahren bei Ulrike Schmitz, Patrick Albrecht gehörte bislang zu Thilmann. Die Ulrike-Kultur, schmissig-urbanes Marketing, alte Handwerkskunst, spezifische Rezepte: Das bringen Menschen wie Gräf mit. Den Standort in Wolken, an dem nun produziert wird, weil hier viel mehr Platz ist als in der früheren Ulrike-Bäckerei im Andernacher Stadtteil Miesenheim, kennen dafür die früheren Thilmann-Bäcker wie Patrick Albrecht sehr viel besser. Zwei Teams, die bislang in Konkurrenz zueinander standen.

Nun müssen sie zu einer Truppe zusammenwachsen. „Die neuen Kollegen sind nett“, sagt Albrecht. „Es funktioniert, ist aber natürlich eine Umstellung“, ergänzt Michelle Gräf. „Es gibt einen besonderen Bäckerhumor, das schweißt uns zusammen“, sagt sie grinsend.

Dass der Bäckerhumor beim Zusammenwachsen hilft, weiß auch Heinz-Erich Los. Er eilt durch die neuen heiligen Hallen, Teigreste kleben an den Händen. Dann bleibt er stehen, reibt sich über das grüne Shirt, unter dem sich ein Bäuchlein wölbt. „Da merkt man, dass ich schon lange im Job bin“, sagt er und lacht. Naschen ist hier Teil des Geschäfts.

Los spielt eine besondere Rolle beim Zusammengehen von Ulrike und Thilmann. Für Schmitz ist er ihre rechte Hand, er ist fürs Qualitätsmanagement, für Einkauf, für Leitung zuständig. Der Bäcker- und Konditormeister, der früher selbst eine Bäckerei mit mehreren Filialen besaß, ist ständig in der neuen Produktion unterwegs. Er soll das alles so richtig zum Laufen bringen, Leute wollen aneinander gewöhnt, Abläufe eingeschliffen, Techniken erlernt werden.

Der Duft nach Hefegebäck, Mehl, frischem Brot und Wärme wabert um die Maschinen und Menschen, und auch Los, ein freundlicher Mittfünfziger, umschwirrt hier alles. Gerade wirft er einen Blick in die gewaltigen Knetkessel. Im Prinzip sind das große Rührschüsseln. In ihnen türmen sich verschiedene Zutaten zu Landschaften auf, die an ferne Planeten erinnern. „Hier drin ist der Teig für unsere Hexenkruste“, sagt Los und deutet auf einen dieser Zutatenplaneten. Hexenkruste sei ein beliebtes Kürbiskernbrot, ursprünglich für Halloween ersonnen.

Ein Knetkessel: Aus Mehl, Käse, Kürbiskernöl und mehr entsteht hier gerade eine „Hexenkruste“.
Peter Meuer

„Aber die Leute mögen das so, wir machen das jetzt immer.“ In dem genannten Knetkessel gibt es mit Käseflocken bedeckte Mehlberge und grüne Seen aus Kürbiskernöl. Riesige Rührmaschinen warten darauf, alles zu einem Teig zu vermengen.

240 Kilo an Rohstoffen fasst jeder der Kessel. Für die Rezeptmischungen hilft ein Digitalcomputer samt Waage. „Das beugt Fehlerquellen vor.“ Generell fühlt sich Los mit Zahlen wohl, die gehören für ihn – Handwerksbäckergefühl hin oder her – zur Großbäckerei dazu.

Ein halbes Dutzend Öfen

Während er an dem halben Dutzend Öfen, den Gärautomaten, den Maschinen für verschiedene Backwaren vorbeieilt, zählt er auf: 1000 Liter Öl brauchen die Öfen pro Tag, 14 Tonnen Mehl pro Woche werden verarbeitet. Täglich backen sie hier für die Ulrike-Filialen 2200 Brote, mehr als 10.000 Brötchen, Tausende Teilchen. Und nun ist auch noch Karneval, da steigt die Berliner-Nachfrage. „Wir wollen die Produktion noch weiter steigern“, sagt Los. Und die Mitarbeiter? „Das Team muss natürlich noch weiter zusammenwachsen.“ Eines bedingt das andere. „Wir lernen die Rezepte kennen, aber auch einander“, berichtet Los.

Während der Abend voranschreitet, der Zeiger der Uhr auf Mitternacht zutackert, wird die Produktionshalle immer voller, so ist das in einer Bäckerei. Da ist Peter Schenk, wie er Batzen von Teig in die Brötchenmaschine wirft. Im Zweisekundentakt kommen vorportionierte, kugelige Teiglinge heraus. Sie werden sanft gewalzt und gewendet, plumpsen in Stiegen. Schenk stapelt sie auf einen Wagen, höher als er selbst, später werden sie dann in den Filialen aufgebacken. Da ist Klaus Ockenfels, schon lange bei Ulrike, der Schlitze in Laibe von Dinkel- und Weizenmischbrot schneidet und sie mit Wasser besprüht.

„Für den Glanz“, sagt er, bevor er sie in die mehr als mannshohen Öfen schiebt. Da ist Thomas Wodara, früher bei Thilmann, ein erfahrener 62 Jahre alter Bäcker, der davon spricht, dass er bestimmt auch einen anderen Job in der Region gefunden hätte – aber sich dafür entschied, zu bleiben. Einerseits kenne er sich hier aus, andererseits sei es für ihn „eine Herausforderung“, nun für Ulrike Schmitz zu arbeiten.

Und dann ist da noch jene Frau, die sich Michelle Gräf anschließt, sie begrüßt und an die heiße, blubbernde, dampfende Reimelt-Anlage tritt. Sie trägt ein weißes Konditorinnendress und ein Lächeln. Arbeitsreich sind ihre Tage zurzeit, das sieht man. Die Frau ergreift die nun saftigen, warmen, gebräunten Bällchen, die aus dem Fettbad herauspurzeln. Sie nimmt sie mit Links und mit Rechts, immer mehrere zugleich. Als sie die Quarkbällchen schließlich tief in Zucker taucht, entspannen sich ihre Züge.

„Eigentlich habe ich keine Zeit mehr, selbst an den Maschinen zu stehen“, sagt Ulrike Schmitz. Sie tut es dennoch dann und wann.
Peter Meuer

„Ich sollte eigentlich nicht mehr hier stehen“, sagt Ulrike Schmitz. „Dafür habe ich doch eigentlich gar keine Zeit mehr.“ Aber sie tut es trotzdem dann und wann. „Ich brauche das.“ Die Nähe zum Team, auch wenn es nun doppelt so groß ist, die ist ihr wichtig und auch, dass sie weiter ihr Handwerk ausübt.

Dann erzählt sie von den vergangenen Monaten. Dass sie eigentlich schon Mitte Januar die alten Ulrike-Maschinen und die neu erstandenen Ex-Thilmann-Maschinen in der – für sie – neuen Produktionsstätte anlaufen lassen wollte, die Ämter aber noch Auflagen hatten und es erst vor zwei Wochen losging. Dass sie stolz auf ihr Team ist, auf die neuen und die alten Mitarbeiter, aber die Umstellung doch nicht für jeden der Leute einfach sei, sich einige umgewöhnen müssten.

Ulrike Schmitz erzählt davon, dass sie hofft, in Wolken gute Arbeitsbedingungen schaffen zu können, mit Blick auf die Schichtverteilung, aber auch dank der größeren Büros. Sie berichtet, dass es gar nicht so einfach sei, Leute für Produktion und Verkauf zu bekommen. Und dann sagt die 54-Jährige:„Jaja, ich weiß, vor der Halle steht noch das Schild mit Thilmann-Logo. Das müssen wir noch austauschen.“

Der Bäcker-Humor hilft

Zucker rieselt von ihren Händen herab. Gräf beschwert sich noch einmal im Spaß darüber, dass es ganz schön warm sei. Scherzhafte Worte fliegen zwischen der Gesellin und der Chefin, selbst erfahrene Konditorin und Bäckerin, hin und her. Bäckerhumor eben.

Im April wird noch eine Ulrike-Filiale im Löhrcenter eröffnen. Ungefähr 20 der Kulturbackhäuser gibt es dann in der Region in und um Koblenz. 20 Filialen, die nachts mit den fertigen oder noch zu backenden Waren aus Wolken beliefert werden wollen. Im Dezember meinte Schmitz vorsichtig, sie gehe von rund 5 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2023 aus. Nun hat sie nach oben korrigiert, 7 Millionen Euro oder mehr könnten es werden. „Wir haben hier Produktionskapazitäten für 40 Filialen“, ruft gut gelaunt Heinz-Erich Los herüber. „Nun mal langsam“, erwidert Schmitz und lacht. „Das ist zurzeit schon alles etwas anstrengend.“ Dann steckt sie sich ein warmes Quarkbällchen in den Mund. „Aber wir wissen ja, wofür wir das machen.“

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