Koblenz – Die Buga verwandelt auch die Festung Koblenz. Einst wenig beachtete Problembauten, dürften die Bollwerke aus preußischer Zeit in den Konzepten der Touristiker eine wichtige Rolle spielen. Doch es gibt noch eine Menge zu tun. Einer der führenden europäischen Festungsforscher fordert jetzt den großen Wurf.
Dr. Hans Rudolf Neumann ist ein Freund klarer Worte. Und er hat schon früh eine Lanze für die Festungsanlagen in Koblenz gebrochen – und das bereits zu einer Zeit, als so mancher Politiker die Reste der preußischen Fortifikation am liebsten beseitigt hätte. Natürlich mit Ausnahme der Festung Ehrenbreitstein: Sie führte in den Konzepten immer ein Eigenleben. „Dagegen war bei den Bürgern die Identifikation mit den Festungsanlagen im Stadtgebiet schon immer groß“, betont der 58-Jährige, der in der Stadt immer noch erhebliche Defizite sieht.
Verdienstkreuz erhalten
Der international aktive Forscher, der für sein Engagement kürzlich mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland geehrt wurde, begrüßt ausdrücklich, dass der Buga-Sog auch bei den Verantwortlichen zu einem Sinneswandel geführt hat. Jetzt hofft der promovierte Architekt, dass es künftig gelingt, die Festungen als ein Markenzeichen der Stadt international zu vermarkten. Hans-Rudolf Neumann ist überzeugt: Möglich ist das nur, wenn über die Stadtgrenzen hinaus gedacht wird und auf den ersten Blick ungewöhnliche Verbindungen hergestellt werden – etwa zur Sayner Hütte: Hier wurde wohl das Eisen gegossen, was beim Ausbau der Festung Koblenz eingesetzt wurde.
In Osteuropa, wo Neumann seit Jahren seinen persönlichen Forschungsschwerpunkt gesetzt hat, tut man sich mit der Herausarbeitung von Wechselbeziehungen leichter. „Da hat man keine Probleme, wieder Kanonen aufzustellen, um den Besuchern verständlich zu machen, wozu die einzelnen Verteidigungsanlagen überhaupt da waren“, so der aus Gensingen bei Mainz stammende Bauhistoriker. Für ihn werden gerade die deutschen Festungen zu halbherzig vermarktet – auch wenn für die Festung Ehrenbreitstein mit ihren europaweit viel beachteten Themen- und Sonderführungen ein besonders originelles Konzept gewählt wurde.
Fehlt angesichts der jüngeren deutschen Geschichte der Mut? Hat man deshalb Schwierigkeiten, sich am Beispiel französischer Städte zu orientieren, die sich in ihrer Eigenwerbung begeistert als Festungsstädte präsentieren? Für Neumann sind das nicht die wahren Gründe. Der Bauforscher sieht eher eine soziale Dimension. Denn bis weit in die 60er-Jahre hinein waren Festungsanlagen Notunterkünfte für soziale Randgruppen. Die Benachteiligten wurden danach besser untergebracht, das Imageproblem blieb. Für Neumann ist klar: Danach verlagerten sich in den Gremien die Schwerpunkte, das Festungsproblem wurde verdrängt – um sich in den 90er-Jahren mit voller Wucht zurückzumelden.
Land engagiert sich
Der folgende Bewusstseinswandel wäre freilich ohne das Engagement von Bürgern nicht möglich gewesen. Sie warben für die Festungen, führten internationale Gruppen durch die Anlagen und zeigten: Festungsanlagen sind Baudenkmäler, deren Erhaltung sich lohnt. Die Folge: Erst flossen die Zuschüsse spärlich, dann reichlicher. Davon hat vor allem die Festung Ehrenbreitstein profitiert. Allein hier ist das weit über die Buga hinauslaufende Sanierungsprogramm 40 Millionen Euro schwer. Hans-Rudolf Neumann begrüßt das Engagement des Landes sehr, ebenso die Tatsache, dass andere Teile der Klassizistischen Großfestung Koblenz jetzt wenigstens gesichert werden können.
In Sachen Dokumentation und Forschung sieht Neumann jedoch nach wie vor Defizite. Während andernorts modernste digitale Vermessungstechnik genutzt wird, um ganze Anlagen aufzunehmen, gab es in Koblenz bislang nur punktuelle Ansätze – zum Beispiel auf Fort Konstantin. Auch in der kunsthistorischen Forschung besteht Nachholbedarf. Über die Festung Koblenz gibt es zu wenig Literatur. Das Standardwerk fehlt immer noch, außerdem fehlt eine Gesamtdarstellung für eine breite Leserschicht. Neumann nennt ausdrücklich das Vorbild anderer Bundesländer, in denen die Denkmalämter eigene Zeitungen herausgeben. Ein großes Thema wären Antworten auf die Frage, wie der Klassizismus nach Koblenz kommt. Nur so viel steht fest: Die Ingenieuroffiziere der damaligen Zeit hatten oft ausgedehnte Studienreisen hinter sich. Zwischen Koblenzer und russischen Anlagen lassen sich oft verblüffende Parallelen ziehen. Das allgemeine Interesse für übergreifende Arbeiten ist da. Bereits in seiner Bibliografie über die Koblenzer Festungsanlagen von 2001 hat Neumann festgehalten, dass sich ein großer Teil der Beiträge nicht mit dem von der Politik favorisierten Ehrenbreitstein, sondern mit den anderen Anlagen befassen, die nur langsam aus dem Dornröschenschlaf erwachen.
Reinhard Kallenbach