Rheinland-Pfalz/Istanbul
Erdogan-Kritiker ausgespäht? Spionageprozess in Koblenz

Rheinland-Pfalz/Istanbul. Der Andrang türkischer Medien beim Prozessauftakt um die angeklagte Spionage für die türkische Regierung ist groß. Kritische Türken treibt die Frage um, ob "die Hexenjagd" von Recep Tayyip Erdogan und der Regierungspartei AKP bis nach Deutschland reicht, wie es ein Journalist sagt. 

Von unserer Chefreporterin Ursula Samary

Immerhin gilt es in der Türkei als hinreichend belegt, dass der Hauptangeklagte Muhammed Taha G. (59) in Erdogans Amtszeit als Regierungschef zu dessen Beratern gehörte. Im inzwischen auch blutigen Wahlkampf schauen Journalisten intensiv auf die Vorwürfe und den Prozess, den eine Verteidigerin aber schnell platzen lassen will.

„Großbruder“ in Handschellen

Vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz wird der frühere, aus Istanbul stammende Vielflieger und vermeintliche Kopf der deutschen Spionagezelle in Handschellen vorgeführt. Der „Großbruder“, wie er sich nennen ließ, sitzt seit Dezember 2014 in Frankenthaler U-Haft. Seine beiden mutmaßlichen Komplizen und Zuträger sind auf freiem Fuß – der schmächtige Dachdecker Göcksel G. (34) aus Bad Dürkheim und der korpulente Ahmet Duran Y. aus Wuppertal, gegen den auch wegen bandenmäßigen Handels mit Falschgeld seit 2012 ermittelt wird. Zur Person und Sache wollen sie alle nichts sagen, sich „schweigend verteidigen“, wie der Anwalt des Dachdeckers sagt. Sie alle halten sich für unschuldig. Ein Bruder des Hauptangeklagten betont vor Journalisten, dass die Türkei die Anwälte nicht bezahlt.

Die Anklage, die Bernd Steudl, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, verliest, wirkt vergleichsweise dünn. In nur knapp 15 Minuten spult er die Vorwürfe ab, wonach das Trio von Februar 2013 bis Dezember 2014 Erdogan-Kritiker ausgespäht habe, darunter Jesiden und Kurden. Dabei ist ungeklärt, ob der als Führungsoffizier angeklagte Muhammed Taha G. formal für den Geheimdienst MIT arbeitete oder die in Deutschland wohnenden Landsleute direkt in Erdogans Umfeld anschwärzte. Danach sollen der Dachdecker, angeblich des „Großbruders“ rechte Hand und Fahrer in Deutschland, sowie Duran Y. ihrem Führungsoffizier Namen von „gefährlichen“ Kritikern des „Oberchefs“ (Erdogan) gemeldet haben, um sie abzuhören oder bei der Einreise in die Türkei „sofort fertigzumachen“. Einmal soll man überzeugt gewesen sein: „Man wird sie vernichten.“ Außerdem wurde angeblich ein Papier avisiert, das Fetullah Gülen, den Kopf der rivalisierenden Gülen-Bewegung, als Skandalfigur entlarve. Zudem wurden offenbar Fotos von genehmigten Kurden-Demonstrationen übermittelt. Ob aber Landsleute tatsächlich Repressalien erlitten oder fürchten mussten, scheint unklar. Von einer Gülen-Affäre wurde jedenfalls nichts bekannt. Offiziell will Ankara von den Aktivitäten nichts gewusst haben. Der Wirtschafts- und Finanzberater gilt aber doch als so einflussreich, dass zur Eröffnung des Haftbefehls in Karlsruhe sogar der türkische Generalkonsul erschien. Aber das beeindruckte kaum, wie Steudl auf Anfrage sagt.

Platzt Prozess schnell?

Ricarda Lang (München), Rechtsanwältin des Wuppertaler Angeklagten, will erreichen, dass das Verfahren eingestellt oder zumindest ausgesetzt wird. Grund: Weder dem Senat noch den Verteidigern lägen alle Akten vor, ein faires Verfahren sei daher ausgeschlossen. Dabei geht es um hessische Ermittlungen gegen eine Geldfälscherbande und Tausende von Abhörprotokollen seit Mitte 2012. Über die „Wanzen“ bei ihrem Mandanten hörten die Fahnder auch, wie der „Großbruder“ von den türkischen Abhörkünsten schwärmte. Das war der Beginn für den Koblenzer Prozess. Den hat Vorsitzender Richter Lothar Mille bis heute vertagt, damit alle Beteiligten den ausführlichen Antrag lesen können. Zudem erhofft er sich heute von einem Zeugen Klarheit darüber, ob die Geldfälscherakten bald freigegeben werden können.

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