Koblenz
Entsetzen über qualvolle Tötung in Koblenz: Warum half niemand der 31-jährigen Prostituierten?
Hier im Rauentaler Viertel hinter dem Saarplatzkreisel ist ein mutmaßlicher Mord geschehen. Die Menschen sind erschüttert, dass das Opfer offenbar lange und massiv auf menschenverachtende Weise gequält wurde.
Katrin Steinert

Der mutmaßliche Mord an einer 31-jährigen Prostituierten in Koblenz lässt kaum einen kalt. Viele im Rauental fragen sich: Wie konnte das Martyrium der Frau unbemerkt geschehen?

Hier im Rauentaler Viertel hinter dem Saarplatzkreisel ist ein mutmaßlicher Mord geschehen. Die Menschen sind erschüttert, dass das Opfer offenbar lange und massiv auf menschenverachtende Weise gequält wurde.
Katrin Steinert

Die grausame Tötung einer bulgarischen Prostituierten im Rauental beschäftigt nahezu jeden, der davon hört. Im Viertel hinter dem Saarplatzkreisel, wo Nagelstudio, Hundesalon, Imbiss, Bäckerei, Kiosk und vieles mehr angesiedelt sind, können die Menschen es nicht fassen, dass die 31-Jährige offenbar lange Zeit massiv gequält wurde, ohne dass ihr jemand zu Hilfe kam.

Zwei Bulgaren, eine 40-Jährige und ein 47-Jähriger, gelten als dringend tatverdächtig und sitzen in Untersuchungshaft. Sie lebten im selben Haus, möglicherweise mit dem Opfer zusammen, gehören ebenfalls dem Rotlichtmilieu an.

Dass da niemand etwas gemerkt hat!

Eine Mitarbeiterin vom gegenüberliegenden Landesamt für Soziales

Die Prostituierte starb trotz Rettungseinsatz am 22. November in einem katastrophalen Zustand, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Tat, angestoßen durch Recherchen unserer Zeitung, meldete sich am Freitag auch Roxanne zu Wort. Die Beratungs- und Hilfestelle für Prostituierte in Koblenz postete auf Instagram: „Wir sind zutiefst erschüttert. Unser Mitgefühl ist bei dem Opfer, den Angehörigen und allen Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind.“

Hier in der Baedekerstraße wird am 22. November eine bewusstlose und schwer misshandelte 31-Jährige aufgefunden.
Katrin Steinert

Das Mehrparteienhaus in der Baedekerstraße 15-17, in dem das Opfer wohnte, ist im Rauental als Ort bekannt, wo Prostituierte leben und arbeiten. Ein 41-Jähriger sagt: „Es ist erschreckend, wie nah so etwas Grausames passieren kann.“

Im Landesamt für Soziales, das gegenüber dem Haus liegt, machen zwei Mitarbeiter der Heimaufsicht Pause und kommen über die Fußgängerbrücke spaziert. Einer von ihnen meint: „Schon komisch, dass das direkt gegenüber geschehen ist.“ Und seine Kollegin fügt hinzu: „Dass da niemand etwas gemerkt hat!“

Nach RZ-Informationen war die Fachstelle Roxanne früher regelmäßig mit ihrer aufsuchenden Arbeit in dem Haus mit den 40 Appartements unterwegs, versuchte, Kontakt zu den Frauen zu bekommen, sie auf das Beratungs- und Hilfsangebot von Roxanne aufmerksam zu machen. Doch eine Verbindung aufzubauen, gilt als schwierig, weil viele der Prostituierten Angst haben, jemand aus ihrem Umfeld könnte merken, dass sie Kontakte nach „außen“ haben.

Wenn man die Typen sieht, die die Frauen fahren, dann sind das meistens richtige Schränke.

Eine Verkäuferin über die Männer, die die Prostituierten in dunklen großen Autos am Haus abholen oder zurückbringen.

Eine Verkäuferin aus dem Viertel berichtet, dass sie schon öfter beobachtet hat, wie Frauen in teuren schwarzen Autos mit verdunkelten Fenstern frühmorgens oder nachts am Haus abgeholt oder dorthin zurückgebracht werden. „Wenn man die Typen sieht, die die Frauen fahren, dann sind das meistens richtige Schränke.“ Sie hebt die Arme, um zu verdeutlichen, wie groß die Männer sind.

Eine andere kennt einige der Sexarbeiterinnen vom Sehen, weil sie einst in der Schönbornslusterstraße im Industriegebiet gearbeitet hatte, wo die Frauen ganz in der Nähe auch anschaffen gehen – in einer Anlage mit Sex-Wohnwagen. „Alle zwei Wochen wechseln die Mädels.“ Zwischendrin waren sie in der Heimat bei ihren Kindern und Männern in Bulgarien oder Tschechien, berichtet die Verkäuferin. Eine der Frauen weinte sich mal bei ihr aus, wie schrecklich alles ist.

Eine weitere Person aus dem Rauental kennt einige der Frauen aus einer zurückliegenden Jobzeit in einer örtlichen Spielothek. „Ein paar Mädels kamen immer vorbei und mussten dann wieder rüber, wenn ein Anruf vom Mann oder einem Freier kam.“ Heute sagen sie noch „Hallo“, wenn sie auf dem Weg zum Bäcker sind, um sich einen Kaffee oder ein Brötchen zu holen. „Ich kann mir vorstellen, dass die da unten in dem Haus unter keinen guten Bedingungen leben.“

Eine Wohnungstür im Erdgeschoss ist versiegelt. Ob dahinter der Tatort liegt, bleibt aktuell offen. Möglicherweise wurde das Opfer auch an anderer Stelle gequält und dann in seine Wohnung zurückgebracht, wobei auch unklar ist, ob dies eine Wohnung oder ein Ort ist, an dem gearbeitet wird.
Katrin Steinert

Im Haus selbst zeigt sich: Offenbar waren am Freitag erneut Ermittler im Haus. Die Tür der Erdgeschosswohnung, die zum Ermittlungsverfahren gehört und von der einige sagen, das Opfer habe darin gelebt, ist frisch versiegelt mit Datum 1. Dezember. Ansonsten ist kaum jemand anzutreffen. Ein Handwerker schafft eine Spüle raus, soll eine neue einbauen und hört zum ersten Mal von der Tat.

Ein Bewohner eilt die Stufen rauf und meint, als wir ihn fragen, ob er mitbekommen hat, was in der Wohnung passierte: „Steht doch alles genaustens in Ihrer Zeitung.“ Ob er Geräusche gehört hat, dass jemand gequält wird? „Es ist doch schon alles gesagt“, sagt er aufgebracht.

Insider erklären, dass Nachbarn meist Angst haben, möglicherweise wegen unterlassener Hilfeleistung selbst auf der Anklagebank zu landen, wenn sie etwas äußern. Auf Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft, wie viele Zeugenhinweise bislang eingingen und ob sich die Beschuldigten mittlerweile zum Tatvorwurf geäußert haben, gibt es vorerst keine weiteren Auskünfte. Die Ermittlungen dauern an.

Welche Verbindung hatten die mutmaßlichen Täter und das Opfer?

Unklar bleibt damit auch, in welchem Verhältnis die bulgarischen Landsleute zum Opfer standen, ob sie familiär verbandelt, einst befreundet oder Arbeitskollegen waren und welches Motiv allem zugrunde liegt. Insider berichten, es komme immer wieder vor, dass osteuropäische Familienverbände die Schwächsten ausnutzen und in die Prostitution zwingen. Auch die beiden Beschuldigten sollen dem Rotlichtmilieu angehören.

Ein paar Mädels kamen immer vorbei und mussten dann wieder rüber, wenn ein Anruf vom Mann oder einem Freier kam.

Ehemalige Kraft aus einer Rauentaler Spielothek

Bei einem kurzen Besuch im Haus zeigt sich, dass auch eine weitere Tür in der Vergangenheit versiegelt worden war: An der Zarge eines Zutritts im zweiten Geschoss kleben noch Reste eines alten verblichenen Siegels. Ob es von der Polizei oder einem städtischen Amt stammte, ist nicht mehr zu erkennen. Aber: Es deutet darauf hin, dass im Haus nicht das erste Mal von offizieller Seite gehandelt werden musste.

Die Holztüren haben alle Spione, durch die man von drinnen sehen kann, wer von draußen herein will. Etliche Zutritte weisen zudem Spuren auf, die möglicherweise von Versuchen stammen, diese mutwillig zu öffnen.

Die Rollläden der Wohnungen im Erdgeschoss sind alle heruntergelassen. Auf dem Geländer hängen Teppiche, Tücher, ein rotes T-Shirt.
Katrin Steinert

Zum Hinterhof raus sind die Rollläden der untersten Wohnungen heruntergelassen. Die Bewohner teilen sich augenscheinlich einen großen Balkon. Über dem Geländer hängen Teppiche, Tücher, ein rotes T-Shirt. Ein Wäscheständer und Plastikstühle stehen draußen, ein Grill und ein Fahrrad. Seltsam verloren wirkt ein abgestellter Kinderwagen.

Bislang ist wenig darüber bekannt, was sich hinter den Rollläden abgespielt haben muss. Am Mittwoch, 22. November, gab es um 1.27 Uhr einen Notruf. Die 31-jährige Bulgarin wurde in einer Wohnung im Haus bewusstlos mit Herzstillstand aufgefunden, notärztlich erstversorgt und ins Krankenhaus gebracht, wo sie im weiteren Verlauf der Nacht starb. Sie wies schwerste Verletzungen am ganzen Körper auf.

Die Obduktion ihres Leichnams ergab, dass sie über einen längeren Zeitraum immer wieder massiv und auf menschenverachtende Weise misshandelt und regelrecht zu Tode gequält worden war, teilte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag mit. Die sichergestellten Fotos und das äußere Erscheinungsbild des gequälten Opfers sollen selbst für erfahrene Ermittler zutiefst verstörend sein, heißt es.

Dass das Haus in der Baedekerstraße ein besonderes ist, fällt beim ersten Anblick nicht auf. Es reiht sich ein in die übrige Nachkriegsarchitektur der Umgebung. Doch wer näher tritt, entdeckt: Die Namen auf einigen Klingelschildern der unteren beiden Stockwerke wirken seltsam skurril, wie aus einem Bilderbuch für Kinder: „Engel“, „Herz“, „Wolke“, „Frühling“, „Stein“ steht da. Im Haus weiter oben gibt es auch den Sommer, den Winter und einen Stern.

Vor dem Hintergrund dessen, was hier womöglich über lange Zeit geschah, bilden diese einfachen Worte einen verstörenden Kontrast zu dem Unbeschreiblichen, das sich mutmaßlich in der „Wolke“ ereignet hat.

Statement der Beratungsstelle Roxanne für Prostituierte in Koblenz:

“In Koblenz hat es einen grausamen Mord an einer Sexarbeiterin gegeben, und wir sind zutiefst erschüttert. Unser Mitgefühl ist bei dem Opfer, den Angehörigen und allen Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind.

Umso mehr ist es unser Anliegen, die Sexarbeit nicht weiter am Rande der Gesellschaft stattfinden zu lassen. Menschen, die diese Arbeit ausüben, müssen die Möglichkeit haben, dies in einem geschützten Rahmen und unter menschenwürdigen Bedingungen zu tun.

Ein breiteres Beratungsangebot und der Ausbau von Hilfsangeboten ist dringend notwendig, um Sexarbeitende zu stärken und zu schützen. Es ist erforderlich, Sexarbeitende so zu unterstützen, dass sie ihre Tätigkeit selbstständig und unter sicheren Bedingungen durchführen können. Zudem müssen Umstiegsangebote ausreichend finanziert und ausgebaut werden.

Sexarbeit muss sicher werden."

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