Marina Khan, praktizierende Muslima und Stadtratsmitglied der Grünen, sagt: „Ich erinnere mich, dass es für meine Mutter sehr einsame Tage waren.“ Viele Muslime, die damals nach Deutschland gekommen sind, hätten hier kaum oder gar keine Familie gehabt. An Weihnachten hätten sie das ganz besonders gespürt. „Alle anderen treffen sich mit der Familie, die Gassen sind leer, die Geschäfte geschlossen, und es ist sehr ruhig“, sagt die 32-jährige Zahnärztin, die Mitglied im städtischen Beirat für Migration und Integration ist.
„Weihnachten kann sehr einsam sein“, betont Khan. Aber das betreffe nicht nur Muslime: „Auch viele Christen und insbesondere ältere Menschen sind an Weihnachten einsam“, versichert sie. Auch aus ihrem Umfeld kennt sie das: „In meiner Nachbarschaft leben viele ältere Menschen. Ich schaue immer, dass sie nicht allein sind an Weihnachten“. Viele Muslime würden das so machen.
Ansir Ahmad bestätigt das. Der 32-Jährige ist der Imam der Tahir-Moschee, die auch Khan besucht, und die von der islamischen Gemeinde Ahmadiyya Muslim Jamaat betrieben wird. Er motiviere die Mitglieder der Gemeinde dazu, an Weihnachten Geschenke an die Nachbarn zu verteilen, erklärt er, Grußkarten, Pralinen, Plätzchen – auch um sich zu integrieren.
Viele Muslime treffen ihre Familien und lassen das Jahr Revue passieren
Auch wenn Muslime das religiöse Fest nicht feiern, verbringen es wohl viele gemeinsam: „Weihnachten wird von vielen Muslimen genutzt, um Freunde und Familie zu treffen. Man lässt das Jahr Revue passieren“, sagt Khan. Ansir Ahmad erklärt, er fahre zu seinen Eltern nach Hessen, verbringe dort beide Tage. Auch seine Geschwister sind dann dort. „Wir spielen Spiele, und es gibt gutes Essen.“ Andere würden ihre Eltern in den Heimatländern besuchen, auch weil die Temperaturen dort um diese Zeit meist angenehmer seien.
Manche Muslime gehen es dagegen praktisch an. Kahn erklärt: „Häufig werden die Tage auch für den Jahresputz genutzt, und es wird ausgemistet.“ Und vielerorts, sagt Ahmad, würden Muslime Arbeitsschichten an Weihnachten übernehmen, damit ihre christlichen Kollegen nach Hause gehen können – beispielsweise in Krankhäusern.
Beiden, Khan und Ahmad, gefällt die Atmosphäre an Weihnachten. Ahmad schildert: „Ich finde die Stimmung sehr schön, weil ich sie von Kind auf kenne.“ Er mag die festliche Beleuchtung und auch den Schnee – wenn es denn welchen gibt wie dieses Jahr. Kahn ergänzt: „Schön finde ich, dass die Mehrheitsgesellschaft in so einer guten Stimmung ist an diesen Tagen.“ Muslime, erklärt Ahmad, die sich einen Christbaum aufstellen, kenne er allerdings keine.
Wünschen sich die beiden, dass auch die muslimischen Feiertage in Deutschland offiziell anerkannt werden? „Natürlich wünscht man sich das“, erklärt Ahmad. Er fände es zumindest schön, wenn muslimische Feste mehr Aufmerksamkeit bekämen. An vielen Muslimen würden ihre Feiertage hierzulande „vorbei gehen“, denn man habe nicht frei und müsse arbeiten. „Das fehlt mir an meinen Feiertagen, an Ramadan, am Opferfest“, sagt auch Kahn. „Ich würde mir wünschen, dass es fairer gestaltet wird.“
Weihnachten kann sehr einsam sein.
Marina Khan
Dass Weihnachten so groß zelebriert wird, findet Ahmad aber völlig in Ordnung: „Es ist angebracht, das Fest zu feiern, denn die meisten Menschen in Deutschland gehören dem christlichen Glauben an.“ In islamischen Ländern sei es für Christen umgekehrt. Und auch Kahn wünscht allen Koblenzerinnen und Koblenzern ein frohes Weihnachtsfest.
Wer ist die Ahmadiyya Muslim Jamaat?
Die Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) ist eine islamische Reformbewegung, die 1889 in Indien gegründet wurde. Laut eigenen Angaben hat sie weltweit zehn Millionen Mitglieder verteilt auf 220 Länder. Der Hauptsitz befindet sich in Großbritannien.
In Deutschland ist sie seit 1923 aktiv, betreibt mehr als 50 Moscheen und ist in Hessen seit 2013 als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt. Viele der 40.000 Mitglieder in Deutschland sind seit Mitte der 1970er-Jahre aus Pakistan eingewandert, nachdem die Bewegung dort aus dem Islam ausgeschlossen wurde. Die Bewegung reklamiert für sich, die „ursprünglichen Werte des Islam“ zu vertreten, die laut AMJ wie folgt lauten: „Barmherzigkeit gegenüber allen Menschen, absolute Gerechtigkeit, Gleichwertigkeit von Frau und Mann, Trennung von Religion und Staat, Beendigung gewalttätiger Aktionen im Namen der Religion, sowie die Menschenrechte, wie sie im Koran festgelegt worden sind.“ (Quellen: Studie: Muslimisches Leben in Deutschland 2020; Website Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland) mth