Als seine Tochter dazwischengeht, schlägt er auch sie. Er hört erst auf, als zwei Nachbarn sich mit einem Schlagstock und einer Schreckschusspistole bewaffnen und einschreiten.
Jetzt, fünf Monate später, hat das Landgericht Koblenz den Syrer wegen versuchten Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Vorsitzende Richter Ralf Bock erklärte, was den 61-Jährigen zu der Wahnsinnstat trieb: Er war eifersüchtig, weil er glaubte, seine Frau könnte ihn betrügen. Und er sah sich in seiner Ehre gekränkt, weil er in Syrien das mächtige Oberhaupt einer 18-köpfigen Großfamilie mit zwei Ehefrauen und 15 Kindern war – aber in Deutschland schon wegen Sprachproblemen ständig Hilfe brauchte. Trotzdem machte der Richter klar: Der Syrer erhält im Urteil keinen Flüchtlingsrabatt. Er muss sich an deutsches Recht halten – so wie alle.
Wäre es nach den drei Tatbeteiligten gegangen, wäre das Familiendrama wohl ein Geheimnis geblieben: Der Vater verweigerte im Prozess die Aussage. Ebenso seine Tochter. Und seine Frau ließ ihren Dolmetscher sogar sagen: „Ich möchte meine Anklage zurücknehmen.“ Da erklärte ihr völlig überraschter Anwalt, sie habe das wohl nur gesagt, weil sie einen Anruf aus Syrien erhalten habe – von der Familie ihres Mannes. Und weil man ihr Geld angeboten habe.
Eine Schlüsselrolle in dem Familiendrama spielt ein Mann (69), der eigentlich nur helfen wollte. Ein Ex-Lehrer, der in Bendorf erst eine aserbaidschanische Familie unterstützte, dann eine armenische und schließlich die syrische. Er fuhr deren Kinder zur Schule, füllte stapelweise Formulare für sie aus. Bis ihn das Familienoberhaupt nicht mehr in die Wohnung ließ – aus Eifersucht und Angst um seine Macht in der Familie. Im Prozess beschrieb der Ex-Lehrer die syrische Familie als streng islamisch: Die Frauen tragen Kopftuch, alle beten regelmäßig. Ja, es könne sein, dass der Familienvater auf ihn eifersüchtig war. Aber: „Das ist völlig absurd!“
Die Frau des Familienoberhaupts sagte anfangs, sie werde nicht gegen ihren Mann aussagen. Doch der Richter erklärte ihr, dass sie als dessen zweite Ehefrau dazu kein Recht habe – denn eine zweite Ehefrau gebe es nach deutschem Recht nicht. Sie müsse aussagen. Also schilderte sie, wie ihr Mann seine erste Frau und elf seiner Kinder 2015 in Syrien ließ – und mit ihr über die Balkanroute nach Deutschland floh. Wie er immer eifersüchtiger wurde. Und wie er wollte, dass sie nur noch mit ihm aus dem Haus geht: „Sobald ein Mann in meine Nähe kam, dachte er, ich hab was mit ihm.“ Sie erzählte, wie sie beim Familiegericht über ihre Scheidung verhandelten. Wie sie sich trennten und er drei Tage später ausrastete.
Es ist der 8. September 2017, als der Syrer gegen 7 Uhr morgens am Haus seiner Familie mit einem Spaten die Tür einschlägt – der Knall ist weit zu hören. Der Mann läuft zu einem Zimmer, dort verbarrikadiert sich seine Frau mit seiner Tochter. Er hebelt die Tür auf und schlägt mit einer Gartenharke auf seine Frau ein. Sie nimmt ihm die Harke ab, da prügelt er mit dem Spaten weiter. Vor dem Haus sammelt sich die Nachbarschaft. Einer holt aus seiner Garage einen Schlagstock und geht in die Wohnung – da kommt ihm der Syrer entgegen und lässt sich widerstandslos nach draußen bringen.
Die Frau erlitt eine Wunde am Kopf und 16 Hämatome am Körper. Die Tochter trug elf Verletzungen davon. Der Familienvater fand im Prozess kein Wort der Entschuldigung. Er sagte: „Ich habe nie etwas gemacht, das nicht richtig war.“